Berner Wahlen: Läck mir! #Alec

Nr. 26 –

Sie, Alec von Graffenried, sind nicht nur bernburgischer Patrizier, sondern auch Mitte-grüner Kandidat fürs Berner Stadtpräsidium. Im Wahlkampf ist natürlich ein Account beim Kurznachrichtendienst Twitter Pflicht – dort könne man mit dem Wähler in direkten Dialog treten, heisst es ja allenthalben. Und so durften am Samstag Ihre bereits rund 130 FollowerInnen mitfiebern, wie Sie, das Schweizer Kreuz auf der linken Brust tragend, mit der Fussballnati mitfieberten. Kostproben? «Noch haben wir gegen Polen nicht verloren #hoppschwiz» oder «Läck mir! #Shaqiri».

Anderswo im Land und ungefähr gleichzeitig beschloss die SP-Delegiertenversammlung vielleicht nicht gänzlich Irrelevantes: das Referendum gegen die Unternehmenssteuerreform III. Möglicherweise haben Sies mitbekommen: Es drohen ein Strauss an Steuerprivilegien, Steuerausfälle in Milliardenhöhe und so weiter. Die entsprechende Twitter-Meldung der SP kommentierten Sie, noch während die Nati spielte: «Besser hättet Ihr ein Tor für die CH beschlossen.» Jetzt mal abgesehen vom LOL und/oder ROFL, das Sie damit bei uns FollowerInnen auslösten, interessierte dann doch, wie Sie es als leitender Angestellter des Bauriesen Losinger Marazzi (der wiederum zum französischen Bouygues-Konzern gehört) inhaltlich mit dieser USR III halten. Es könnte ja immerhin sein, dass die Reform relativ konkrete und relativ weitreichende finanzielle Auswirkungen auf Städte wie Bern haben wird.

Auf eine entsprechende Twitter-Nachfrage traten Sie – jetzt ganz der gewiefte Anwalt – materiell erst gar nicht ein. Wichtig sei im Moment der Natimatch. Nach dem Spiel war Ihnen eine Antwort wiederum nicht möglich, da Sie mit der Familie das Freiluftspektakel «Helvetische Revolution» besuchten. Auf eine weitere Nachfrage eines «Bund»-Journalisten am Montag (zu Bürozeiten) antworteten Sie dann nicht einmal mehr mit Anekdoten aus Ihrem Alltag. Seither ist Ihr Account verwaist, und es stellt sich – über die Ausgangsfrage hinaus – langsam eine eher grundsätzliche Frage: Interessieren Sie sich eigentlich für Politik?