Spitäler in St. Gallen: Die Entmachtung des lästigen Stimmvolks

Nr. 27 –

Im Kanton St. Gallen arbeitet die rechtsbürgerliche Parlamentsmehrheit auf eine schleichende Privatisierung der öffentlichen Spitäler hin. Im Weg steht ihr dabei nicht nur das sonst so gern beschworene Volk, sondern auch die linke Gesundheitsdirektorin Heidi Hanselmann.

Im Kanton St. Gallen entlädt sich gerade eine offenbar über Jahre angestaute Wut der Rechtsbürgerlichen über einer erfolgreichen linken Gesundheitsdirektorin, die sich Privatisierungstendenzen verweigert. SP-Frau Heidi Hanselmanns Credo lautet: Kooperation statt Wettbewerb.

Zwei eher marginale, von der bürgerlichen Monopolzeitung «St. Galler Tagblatt» zu Skandalen hochgeschriebene Personalien rückten sie in den letzten Wochen in ein schiefes Licht. Einmal ist da Hanselmanns ehemaliger Departementssekretär Roman Wüst, der über Jahrzehnte Ferienguthaben anhäufte, dafür bei seiner Pensionierung rund 230 000 Franken Entschädigung einforderte und diese im vergangenen Jahr von der Gesamtregierung auch zugestanden bekam. Rechtlich war die Sache zwar einwandfrei, aber für einen gut bezahlten Kadermann schien dieses Verhalten fragwürdig. Hanselmann hatte ihren Personalchef in dieser Sache nie kontrolliert. Inzwischen hat Wüst das Geld unter öffentlichem Druck wieder zurückbezahlt und Hanselmann sich für ihr Versäumnis entschuldigt.

Und dann ist da noch die Besetzung des Präsidiums des Spitalverwaltungsrats. Die Regierung wählte Marianne Mettler, eine SP-Frau und Ökonomin mit HSG-Abschluss, worauf der Eindruck entstand, Hanselmann habe eine Parteikollegin ins Amt gehoben. Die Bürgerlichen liessen kein gutes Haar an ihr und wollten die Bestätigung der Wahl im Parlament verweigern. Mettler zog sich zurück. Schuld an allem, so der Tenor: Heidi Hanselmann. Obwohl, wie sich später herausstellte, nicht Mettler Hanselmanns Favoritin gewesen war, sondern der CVP-Mann Roman Wüst, der sich ebenfalls fürs Amt beworben hatte.

Wer verstehen will, weshalb diese Skandälchen hochkochten, muss in die jüngere Vergangenheit blicken. Als Heidi Hanselmann vor zwölf Jahren die Geschäfte von Gesundheitsdirektor Anton Grüninger übernahm, trat sie ein schweres Erbe an. Der CVP-Regierungsrat hatte zwei von neun Spitälern – Flawil und Altstätten – schliessen wollen. Bereits die Ankündigung führte zu massiven Protesten in den beiden ländlichen Regionen. Grüninger hielt dennoch an den Schliessungen fest – und bezahlte dafür mit seiner Abwahl. An seine Stelle setzten die St. GallerInnen die SP-Frau Hanselmann. Ihr Wahlkampfversprechen: Sie werde keine Spitäler schliessen. Daran hält sie sich bis heute – und bekennt sich zu einem starken öffentlichen, allen zugänglichen Gesundheitswesen. Diese Konsequenz wird ihr von den Bürgerlichen als Sturheit angelastet.

Bürgerliches Abstimmungsdesaster

Anders als bei ihrem Amtsantritt verfügen SVP und FDP heute über eine solide Mehrheit im Kantonsparlament. Sie können dort schalten und walten, wie es ihnen passt. Die linke Frau, die für die SP den zweiten Sitz in der Regierung zurückerobert hatte, war ihnen von Anfang an ein Dorn im Auge. Zunächst rechneten sie damit, dass die Primarlehrerin und Logopädin dem Amt nicht gewachsen sein und wieder abgewählt würde. Das Gegenteil war der Fall: Die passionierte Bergsteigerin Hanselmann arbeitete sich rasch ein, übernahm die brauchbaren Teile der Strategie («Quadriga») ihres Vorgängers, entwickelte sie weiter und modernisierte das Spitalwesen ohne Spitalschliessungen. Statt auf Konkurrenz unter den neun Spitälern setzt sie auf eine Netzwerkstrategie, Kooperation und Leistungsschwerpunkte – also auf Synergien statt Wettbewerb.

Aus neun Akutspitälern wurden vier Spitalunternehmungen und schliesslich aus vier politisch besetzten Verwaltungsräten ein fachlich besetzter Spitalverwaltungsrat, der die vier Spitalunternehmungen kontrolliert und strategisch ausrichtet. Offensichtlich macht die Magistratin ziemlich viel richtig: Sie hat vierzehn von fünfzehn Abstimmungen gewonnen, und die St. GallerInnen bestätigten sie von Wahl zu Wahl mit guten Resultaten im Amt. Anders als in anderen Kantonen gelang der Umbau in St. Gallen ohne Spitalschliessungen, die St. GallerInnen sind nach wie vor wohnortsnah medizinisch gut versorgt.

Die Abstimmung, die den Rechten in die Knochen fuhr, ereignete sich vor zwei Jahren. Die Regierung legte den StimmbürgerInnen den Neu- und Umbau von sechs der neun Spitäler vor. Kostenpunkt: eine Milliarde Franken. Im Vorfeld der Abstimmung versuchte die Industrie- und Handelskammer St. Gallen, mit einer Studie die Vorlage der Regierung zu Fall zu bringen. Die Studie riet dazu, die Spitalstrategie der Regierung zu überdenken. Statt Sanierung und Ausbau der bestehenden Spitäler sollte es bloss noch fünf Akutspitäler geben (drei neu gebaut auf der grünen Wiese), die anderen Spitäler sollten zu ambulanten Gesundheitszentren umfunktioniert werden. Es war ein Vorschlag, der die Vorstellungen des gescheiterten Gesundheitsdirektors aufnahm und weiterentwickelte. Und hätte bedeutet: Marginalisierung und Schliessung von Regionalspitälern.

Die rechtsbürgerlichen PolitikerInnen kämpften im Sinn dieser Studie gegen die sechs Sanierungs- und Ausbauvorlagen, zuvorderst die SVP. Angesichts des enormen Investitionsvolumens bestand grosse Unsicherheit, ob diese Vorlagen in einem bereits kaputt gesparten Kanton an der Urne durchkommen würden. Der Ausgang der Abstimmung war für die Rechtsbürgerlichen und zuvorderst für die VolksversteherInnen von der SVP ein Desaster: Alle sechs Vorlagen wurden angenommen, mit Ja-Stimmen-Anteilen zwischen 72,9 und 90 Prozent.

Eine schmerzhafte, bis heute nicht verkraftete Niederlage. Die rechten ParlamentarierInnen machten sich umgehend daran, das Volk auszuschalten. Inzwischen ist es beschlossene Sache, dass die Spitalbauten am 1. Januar 2017 ins Eigentum der vier Spitalunternehmungen übergehen. Sanierungen, Neu- und Umbauten sind damit künftig allein Sache der Spitalunternehmungen und des Spitalverwaltungsrats. Die StimmbürgerInnen haben nichts mehr zu sagen.

«Lex Hanselmann»

Schon vorher hatte das Parlament beschlossen, dass künftig GesundheitsdirektorInnen nicht mehr von Amtes wegen den Spitalverwaltungsrat präsidieren. Böse Zungen sprechen von einer «Lex Hanselmann». Die Rede ist von Interessenkonflikten. Als Beispiel wurde unter anderem ein Gerichtsfall angeführt: Die private Hirslanden-Gruppe, die im Kanton Ausserrhoden und in der Stadt St. Gallen Kliniken betreibt, rekurrierte 2014 gegen die Spitalliste des Kantons, weil ihr vierzehn Leistungsgruppen nicht erteilt worden waren, und unterstellte Hanselmann Befangenheit. Das Bundesverwaltungsgericht entkräftete diesen Vorwurf allerdings im April dieses Jahres.

Doch nun ist das lästige Volk ausgeschaltet, die Regierung in die Schranken gewiesen – jetzt gibt es noch eine entscheidende Frage zu klären: Sie heisst Eigentümerstrategie. Die Regierung arbeitet sie im Auftrag des Parlaments aus. Von ihrer Ausgestaltung hängt ab, ob im Kanton St. Gallen das öffentlich finanzierte Gesundheitswesen in den kommenden Jahrzehnten weiter unter den Einfluss von Privaten gerät – oder in der Hand des Kantons und damit der Bevölkerung bleibt. Noch erbringen die staatlichen Spitäler und ihre 8000 MitarbeiterInnen 85 Prozent der Leistungen.

Mit Interessenkonflikten in den eigenen Reihen nehmen es die Bürgerlichen nicht so genau. Ins Auge stechen dabei beispielsweise die diversen Rollen des freisinnigen Wirtschaftsanwalts Adrian Rüesch. Er vereinigt in seiner Person wirtschaftlichen Einfluss, mediale Macht und damit politischen Einfluss. Er ist unter anderem: Verwaltungsratspräsident der Tagblatt Medien AG, Verwaltungsratspräsident der staatsnahen Sozialversicherungsanstalt St. Gallen – und Verwaltungsrat der St. Galler Kantonalbank. Deren ehemalige Tochterbank Hyposwiss machte Jagd auf vermögende US-amerikanische Kunden. Ein teurer Spass, der die Staatskasse schädigte: Anfang 2016 verurteilte das US-Justizministerium die HSZH Verwaltungs AG, vormals Hyposwiss Privatbank Zürich, zu einer Busse von 50 Millionen Dollar. Das hat die Kantonalbank zu bezahlen, die bereits selber eine Busse von 9,5 Millionen Dollar aufgebrummt bekommen hatte.

SP und Grüne forderten Ende Juni den Rücktritt des Kantonalbank-CEOs Roland Ledergerber, der auch Verwaltungsratspräsident von Hyposwiss war. Im «St. Galler Tagblatt» kam der Skandal zwar vor, geschrieben waren die Artikel aber von der Schweizerischen Depeschenagentur. Die Kantonalbank versuchte, per Mail weitere Publikationen zu unterbinden: Es sei doch schon alles gesagt. Auf Rücktrittsforderungen der Linken reagierte dann allerdings ein «Tagblatt»-Redaktor sehr verständnisvoll: Jeder könne doch mal einen Fehler machen. Von solch liebevoller Behandlung kann Heidi Hanselmann bloss träumen.

Nachtrag vom 14. Juli 2016 : Gegendarstellung

Im Artikel «Die Entmachtung des lästigen Stimmvolks» in WOZ Nr. 27/16 stand, die St. Galler Kantonalbank (SGKB) habe per Mail versucht, «weitere Publikationen» der SDA zum US-Geschäft der SGKB «zu unterbinden». Dies trifft nicht zu. Die St. Galler Kantonalbank hat in ihrem Mail lediglich Fragen zum Publikationsdatum und Detaillierungsgrad des Artikels gestellt. Sie hat jedoch keinerlei Druck auf die Redaktion bezüglich künftiger Publikationen ausgeübt.

Simon Netzle, Mediensprecher St. Galler Kantonalbank