Kommentar von Meret Michel: Geduldsfaden gerissen

Nr. 28 –

Drogen, Teeniemassen, Übergriffe: Die Berner Reitschule hat ihre eigene Schliessung verfügt, weil sie nicht alle städtischen Probleme ausbaden will.

Nachdem die Berner Reitschule am Samstag erklärte, «bis auf Weiteres» ihre Türen zu schliessen, wäre auch der Diskussion um das Kulturzentrum eine vorübergehende Pause zu wünschen. «Hat sich (sic!) in der Berner Reitschule ausgefeiert?», fragte sich der «Blick», der «Bund» diagnostizierte bei den BetreiberInnen «Überforderung» und «totale Hilflosigkeit», und Thomas Jauch, Kommunikationschef der CVP Schweiz, nutzte auf Twitter die Gelegenheit für den abgelutschten Spruch, es sei jetzt «Zeit für eine Umnutzung! An bester Lage der Stadt Bern braucht es einen Neubau (Büro, Wohnungen, Parkanlage).»

Sobald es um die Reitschule geht, treffen die Interessen rechter LokalpolitikerInnen auf jene der news- und skandaljagenden Medienhäuser. Die einen brauchen den ewigen Schuldigen, die anderen einen Aufreger im Titel. Die entscheidende Frage, was die BetreiberInnen ausgerechnet jetzt dazu veranlasst hat, die Reitschule vorübergehend zu schliessen, ist hingegen von sekundärem Interesse.

Nach längerem Schweigen hat sich die Mediengruppe der Reitschule mittlerweile dazu geäussert, was sie zu dem Schritt bewogen hat: «Namentlich haben sich letzte Freitagnacht mehrere gewalttätige Vorfälle im Grossraum Schützenmatte ereignet, bei welchen Menschen in ihrer psychischen und physischen Integrität verletzt worden sind.» Genaueres will die Mediengruppe «aus Respekt vor der Privatsphäre» der Betroffenen nicht sagen. Das Sicherheitspersonal der Reitschule habe sofort Hilfe geleistet, die Personen betreut und professioneller Hilfe übergeben, wie es weiter heisst. Was auch immer genau geschehen ist: Es hat dazu geführt, dass den ReitschülerInnen der Geduldsfaden gerissen ist.

Die Reitschule hat in der Bundeshauptstadt schon lange soziale Aufgaben übernommen, indem sie sich darum kümmert, was auf ihrem Vorplatz und dem davor gelegenen Parkplatz Schützenmatte geschieht. Nicht weil ihr diese Aufgabe offiziell zugeteilt wurde – sondern schlicht, weil sich die sozialen Probleme der Stadt Bern vor ihrer Haustür sammeln.

Wer schon einmal an einem Freitag- oder Samstagabend auf dem Vorplatz war, kennt die Situation: Im Schnitt 500 Leute tummeln sich an jedem Wochenendabend aufs Neue vor den Türen des autonomen Kulturzentrums bis auf die Parkplätze der Schützenmatte: vor allem Jugendliche, aber auch vereinzelt Junkies, Alkis und DealerInnen. Dass es bei so vielen Menschen, ob zugedröhnt oder nicht, zu Gewaltausbrüchen kommen kann, ist nicht verwunderlich. Die BetreiberInnen der Reitschule machen das ihnen Mögliche, damit es auf dem Vorplatz friedlich bleibt, indem etwa ihr eigener Sicherheitsdienst jeweils auf dem Vorplatz interveniert. Doch sie können keineswegs für alles, was in der 500-köpfigen Menge draussen geschieht, verantwortlich gemacht werden.

Ebenso wenig wie dafür, dass all diese Leute überhaupt auf den Vorplatz kommen. Der Drogenhandel hat sich 1998 unter die Brücke vor der Reitschule verschoben. Die rot-grüne Stadtregierung hatte ihn damals durch die Polizeiaktion «Citro» aus der Innenstadt in Richtung Schützenmatte gedrängt. Die Junkies kommen heute jeweils zum Konsumieren unter die Brücke, wenn das Fixerstübli auf der gegenüberliegenden Strasse geschlossen ist, die Wartezeiten zu lang sind oder sie dort Hausverbot haben. Schon seit Jahren fordert die Reitschule deswegen eine Entlastung in Form einer zweiten Drogenabgabestelle an einem anderen Ort. Und für die Jugendlichen fehlen in der Stadt Räumlichkeiten, in denen sie sich ungestört aufhalten können. Auf der Strasse scheinen sie für die StadtbewohnerInnen offensichtlich nicht zumutbar, weswegen sie die Polizei von den meisten öffentlichen Plätzen vertreibt.

Die selbstverfügte Schliessung ist für die Reitschul-AktivistInnen folglich vor allem ein Mittel, um die aufgeheizte Stimmung auf dem Vorplatz abzukühlen. Es ist übrigens nicht der erste Streik der Reitschule: Der fand im Herbst 1988 statt, als die BetreiberInnen aus Frust über den ausufernden Alkoholkonsum anstelle von politischem Engagement einen Bierstreik verordneten und einen Monat lang kein Bier mehr verkauften. Bleibt zu hoffen, dass diesmal die erhitzte Debatte durch die Schliessung wieder nüchterner wird.