«AHV plus»: Mit der Säge an deine Rente

Nr. 32 –

Vor der AHV-plus-Abstimmung schwingen die Bürgerlichen die Demografiekeule und prophezeien den Untergang der AHV. Ihr Ziel: Rentensenkungen. Dabei ist ein Ausbau angesagt. Er ist in einem reichen Land weniger eine Frage der Demografie als viel mehr eine des politischen Willens.

Die AHV ist tatsächlich eine geniale Erfindung: Sie verteilt Reichtum von oben nach unten um, nimmt Arbeitende und Unternehmen in die Pflicht und kann daher seit bald siebzig Jahren zuverlässig Renten auszahlen, inzwischen an 2,2 Millionen Pensionierte. Die demografische Entwicklung hat sie bislang locker weggesteckt. Die Alters- und Hinterbliebenenversicherung ist solidarisch, kollektiv und kostengünstig konzipiert. Die von Versicherungen und Banken verwaltete Pensionskasse setzt hingegen auf individuelles Sparen und hohe, die Arbeit belastende Lohnabzüge und ist den Verwerfungen der Kapitalmärkte stärker ausgesetzt. Wer viel verdient, ist im Vorteil. Wer wenig verdient, hat das Nachsehen.

Der intelligente Weg ist daher eine Stärkung der AHV. Und so funktionierts: Im Wesentlichen wird die AHV von den Versicherten und den Unternehmen getragen. Von der gesamten Lohnsumme werden je 4,2 Prozent abgezogen, Bund und Kantone steuern einen geringeren Teil aus der Staatskasse bei. Beim Umlageverfahren wird im Gegensatz zum Kapitaldeckungsverfahren der Pensionskasse nicht über Jahre Kapital angehäuft, die Beiträge werden sofort für die laufenden Renten verwendet. Überschüssige Mittel fliessen in den AHV-Fonds.

Dieses Geld wird angelegt und steht bereit, um Schwankungen bei den Einnahmen auszugleichen. Die Deckelung der Renten hat zudem einen erheblichen Umverteilungseffekt. Deckelung bedeutet, dass niemand mehr als (derzeit) 2350 Franken (Ehepaare maximal 3525 Franken) Rente erhält. Alle Löhne, auch die Millionensaläre von TopmanagerInnen, sind AHV-pflichtig, diese SuperverdienerInnen liefern erheblich mehr ab, als sie jemals an Rente erhalten. Menschen mit kleinem und mittlerem Einkommen erhalten mehr, als sie in die AHV einbezahlen.

Frivole Verachtung

Dieses im besten Sinn sozialistische und zuverlässig funktionierende Prinzip missfällt den Bürgerlichen naturgemäss. Seit deren Einführung reden sie die AHV in frivoler Verachtung für die kleinen Leute schlecht. In dieser Optik waren die Renten schon immer unsicher. Ob vor sechzig, vor dreissig Jahren oder heute: Es war und ist die Rede davon, dass wir bei der Pensionierung keine Rente mehr erhalten.

Die Realität zeigt: leeres Geschwätz. Hinter diesem verantwortungslosen Defätismus steckt eine klare Absicht: Besonders die Rechtsbürgerlichen wollen ihre Klientel entlasten, die Reichen und GrossverdienerInnen. Und natürlich möchten sie einen geschäftlichen Vorteil für Versicherer und Banken herausholen, für die private Vorsorgeelemente in der AHV ein Bombengeschäft wären, aber für die Versicherten ein bombenmässiger Nachteil. Wovon träumen sie? Von obdachlosen Alten, die an Suppenküchen anstehen und auf die milden Gaben der Reichen und den Goodwill ihrer Nachkommen angewiesen wären?

Ihr einziges Argument ist die demografische Entwicklung, die bevorstehende Pensionierung der geburtenstarken Jahrgänge. In dieser schlechten argumentativen Gesellschaft befinden sich selbst manche SozialdemokratInnen. Um die Zukunft halbwegs realistisch zu erkennen, sollte man die Vergangenheit konsultieren: Die AHV war seit ihrer Gründung ein stabiles Unterfangen. Die Lohnabzüge wurden – im Gegensatz zu den Pensionskassenabzügen – seit 1975 nicht mehr erhöht, und Ende der neunziger Jahre musste ein Mehrwertsteuerprozent zur Sicherung eingesetzt werden. Zudem haben Zuwanderung und Produktivitätszuwächse die AHV-Renten der wachsenden Alterskohorte problemlos finanziert. Der notorische Blick auf den AHV-Fonds, der im vergangenen Jahr einen Anlageverlust von 500 Millionen Franken auswies, ist borniert. Verluste gehören wie Gewinne zum Geschäft. Der Fonds ist gut gefüllt.

Aber schon heute wollen die bürgerlichen AstrologInnen wissen, dass die AHV im Jahr 2030 unter der Last der geburtenstarken Jahrgänge zusammenbricht. Hört man sich ihr apokalyptisches Gefasel an, könnte man glauben, die Schweiz sei ein «failed state» und nicht eines der reichsten Länder der Erde. Dabei waren solche Prognosen bereits in der Vergangenheit nichts wert. Selbst der ansonsten nüchtern auftretende Bundesrat stimmte immer wieder in diese Untergangsgesänge ein und lieferte Mal für Mal Prognosentrash: Etwa 2005 – damals waren Hans-Rudolf Merz und Christoph Blocher im Bundesrat – sagte die Regierung voraus, dass die AHV im Jahr 2011 rote Zahlen schreiben werde. Nichts davon ist eingetroffen.

Rentenalter 71?

Das ficht besonders die Rechtsbürgerlichen nicht an. Erst recht nicht, seit sie nach den Wahlen im vergangenen Herbst im Parlament das Sagen haben. Was das Volk möchte und mehrfach deutlich an der Urne zum Ausdruck gebracht hat, nämlich eine anständige Rente und keinen Abbau, ignorieren diese sogenannten VolksvertreterInnen. In den Wochen vor der Abstimmung über die AHV-plus-Initiative, die die Anhebung der Renten um zehn Prozent verlangt, schiessen sie aus allen Rohren gegen die Initiative und gegen Bersets Altersvorsorge 2020, die selbst auf pessimistischen Prognosen fusst und die Renten im Grunde auf dem heutigen Niveau einfrieren möchte.

Diese «alternativlose» Sicht ist einfältig. Worum es den VertreterInnen von FDP, SVP, GLP und BDP einzig und allein geht: drastische Rentensenkungen. Sie wollen den Umwandlungssatz bei den Pensionskassen senken, selbstverständlich das Rentenalter der Frauen auf 65 erhöhen und anders als Bundesrat und Ständerat diese faktischen Rentensenkungen nicht durch Ausgleichszahlungen abfedern. Der Ständerat hat im vergangenen Herbst eine Rentenerhöhung für künftige RentnerInnen von monatlich siebzig Franken in Bersets Vorlage eingebracht. Das entspräche einer Rentenerhöhung von sechs Prozent.

Ein Gesicht, das man sich in diesem Zusammenhang merken muss, gehört einem Hinterbänkler: Bruno Pezzatti, Zuger FDP-Nationalrat. Er hat in der nationalrätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) einen Automatismus durchgebracht, der, sollte er in Alain Bersets Vorlage Eingang finden, der Anfang vom Ende der AHV wäre, wie wir sie heute kennen. Dieser Automatismus würde greifen und das Rentenalter um zwei Jahre erhöhen, sobald der AHV-Fonds unter achtzig Prozent der Ausgaben für ein Jahr fällt. Also Rentenalter 67. Aber das ist nicht alles. Hat sich der Fonds wieder erholt, wird das Rentenalter nicht mehr gesenkt, und fällt der Fonds abermals unter achtzig Prozent, erhöht sich das AHV-Alter auf 69 Jahre, das nächste Mal auf 71 und so fort …

Das wäre das Ende der wichtigsten sozialpolitischen Errungenschaft und damit das Ende des Schweizer Sozialstaats. Es entlarvt die wahren Absichten der Rechtsbürgerlichen, aber es zeigt auch, wie fern der gesellschaftlichen Realität sie sich bewegen. Selbst wenn sie damit im Parlament durchkommen – ein Referendum und eine Volksabstimmung liessen diese neoliberalen Träume mit einem lauten Knall bersten.

Nicht zu hoch, zu tief!

Die AHV ist eine gute Sache. Über ihre Ausgestaltung muss man offen reden. Dass die Babyboomergeneration in Rente geht, stellt sie vor neue Herausforderungen. Aber die sind lös- und finanzierbar. Rentenabbau ist der falsche Weg. Denn selbst die aktuellen Renten reichen für viele nicht, um ihren Existenzbedarf zu decken, wie es die Verfassung verlangt.

Besonders Frauen können aufgrund ihrer Erwerbsbiografie nicht mit einer guten Pensionskassenrente rechnen – manche haben gar keine. Die steuerfinanzierten Ergänzungsleistungen steigen in Milliardenhöhe, weil die Renten zu tief, nicht weil sie zu hoch sind. Hier setzt die AHV-plus-Initiative der Gewerkschaften an. Sie verlangt eine generelle Erhöhung der Renten um zehn Prozent. Finanzieren liesse sich das etwa durch eine moderate Erhöhung der AHV-Abzüge – oder am besten durch eine Dividendenbesteuerung. Nehmen wir den Reichen ein bisschen von ihrem Taschengeld weg. Geld liegt genug herum, es ist bloss falsch verteilt. Am 25. September kann die Stimmbevölkerung bei der AHV-plus-Abstimmung ein Zeichen setzen. Das sehen selbst die bürgerlichen RentnerInnenverbände so: Sie empfehlen ein Ja.