Sahelgürtel und Horn von Afrika: Das lukrative Terrorgeschäft

Nr. 32 –

Von Mauretanien über Nigeria bis nach Somalia operieren terroristische Banden. Gruppen wie Boko Haram und al-Schabab stehen zwar militärisch unter Druck. Doch besiegt sind sie noch lange nicht: Zu viele profitieren von ihrer Existenz.

(Grosse Ansicht der Karte) Grafik: WOZ; Quellen: www.defense.gouv.fr, www.africom.mil, www.stripes.com, www.peaceau.org, www.un.org

Sani Usman kann einen Erfolg vermelden. Es ist Ende Juni, und eine Einheit aus SoldatInnen und Bürgerwehren soll binnen zweier Tage mehrere Dörfer befreit haben, die seit sechs Jahren von Boko Haram beherrscht wurden. «Unsere Truppen gingen entschlossen vor», sagt der Sprecher des nigerianischen Militärs. 5000 Geiseln will die Armee bei dieser Operation befreit haben, vor allem Frauen und Kinder. Unabhängig bestätigen lassen sich Usmans Worte nicht. Die Kampfzone im Norden Nigerias ist abgeriegelt, JournalistInnen haben keine Möglichkeit, dorthin vorzudringen.

Am Horn von Afrika, über 3500 Kilometer östlich, spricht Abdiraschid Janan, Sicherheitsminister der Region Jubaland, ebenfalls von einem Erfolg: In der südsomalischen Hafenstadt Kismayo hat eine Drohne der in Somalia stationierten US-Armee erneut einen Anführer der Terrormiliz al-Schabab getötet. Für Janan ist der Tod dieses Fanatikers, der das Massaker an einer kenianischen Universität mit 148 Toten geplant haben soll, ein schwerer Schlag gegen die Terroristen. Unabhängig bestätigen lässt sich auch das nicht.

Doch trotz der Erfolge, die Armeen und Regierungen Afrikas immer häufiger vermelden, ist ein Ende der Terrorherrschaft von al-Schabab, Boko Haram oder al-Kaida im islamischen Maghreb (AQMI) nicht in Sicht. Seit bald einem Jahrzehnt werden die verletzlichsten Regionen in Afrika von brutalen Banden unterwandert, die behaupten, islamische Gottesstaaten errichten zu wollen. Gemeinsam haben die Gruppen, dass sie einer Übermacht trotzen: In Somalia stehen 5000 Al-Schabab-Milizen 22 000 SoldatInnen aus Äthiopien, Burundi, Uganda, Kenia gegenüber – die «Danab» (Donner) genannte, 570 Mann starke, von US-Sicherheitsfirmen ausgebildete Kommandotruppe der somalischen Armee nicht eingerechnet. Nigerias Armee ist mit 100 000 SoldatInnen eine der grössten Afrikas, Boko Haram wird auf 6000 Mann geschätzt.

Schmuggel dient allen

Noch grösser ist das Missverhältnis in Mali: Die Gruppe al-Murabitun, die sich zu mehreren schweren Anschlägen bekennt, hat kaum mehr als hundert Kämpfer, die Uno-Mission in Mali 10 800 SoldatInnen. Dazu kommen 3000 FranzösInnen der regionalen Eingreiftruppe Barkhane. Zudem kommandiert die US-Armee in Somalia, Mali und Nordnigeria Drohneneinsätze; Franzosen, Briten und US-Amerikaner sind mit ihren Geheimdiensten auch an entlegenen Orten im Sahel präsent. Wie ist es möglich, dass die Terrorgruppen noch nicht besiegt sind?

«Die kenianischen Militärs, die nach Somalia geschickt werden, erhalten selten Sold. Also schmuggeln sie Zucker oder Holzkohle, verkaufen Benzinvorräte oder machen Waffen und Munition zu Geld», sagt Muhammad Abdi, ein früherer Sicherheitsberater der somalischen Regierung, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will. SoldatInnen sind ihm zufolge Teil eines grossen kriminellen Kreislaufs. Die kenianische Organisation Journalists for Justice (JFJ) hat aufgedeckt, wie ein Kartell aus somalischen Milizen, kenianischer Armee und al-Schabab jährlich umgerechnet 200 bis 400 Millionen Franken allein mit illegalem Zuckerhandel macht.

Zucker ist in Kenia Grundnahrungsmittel der Armen und ständig schwer zu bekommen. Sogar Kenias Parlament untersuchte schon Vorwürfe, Zucker werde bewusst verknappt. Fest steht: Weil die Strafzölle für Zuckerimporte bei hundert Prozent liegen, ist der Schmuggel von Zucker über Somalia hoch attraktiv. Wer vom somalischen Hafen Kismayo Zucker nach Kenia schmuggeln will, um die Strafzölle zu umgehen, muss allein al-Schabab rund tausend Franken Schmiergeld pro Lkw zahlen. Sogar Quittungen werden ausgestellt. Die somalische Clanmiliz, die offiziell al-Schabab bekämpft, verlangt ebenso viel. Die Höhe der Weggelder sprechen Unterhändler der verfeindeten Gruppen miteinander ab. Das Gleiche gilt für Kenias Armee. Geschützt werden die Schmuggler von Geschäftsleuten und hochrangigen PolitikerInnen in beiden Ländern, die ihren Teil am Geschäft verdienen.

Muhammad Abdi wundert das nicht. «Alle kämpfen um ein möglichst grosses Stück vom Kuchen. Dieser Kuchen ist in Somalia seit Jahrzehnten die Kriegsökonomie, der Antiterrorkampf ist ihr Motor.» Deshalb habe auch niemand Interesse daran, al-Schabab endgültig zu besiegen. «Somalia erhält von vielen Staaten und der EU Geld, um al-Schabab zu bekämpfen, und auch Kenia macht sich mit dem Kampf gegen die Terrormiliz unentbehrlich.» Frieden bedeutete für die Profiteure Bankrott: «Al-Schabab darf nicht zu stark, aber auch nicht besiegt werden. Am besten ist ein Gleichgewicht der Unsicherheit, so wie es nun der Fall ist.» Der Tod Unschuldiger, aufgrund von Attentaten oder durch Drohnen, halte den Kreislauf von Gewalt und Profit am Laufen. «Je mehr Unschuldige sterben, desto mehr Leute schliessen sich aus lauter Hass al-Schabab an.»

Dass in Afrika vorgeblich islamistische Terrorgruppen primär Geschäftsinteressen verfolgen, ist bekannt. Gerade AQMI und andere Terrorgruppen in der Sahara sind personell eng mit Schmugglern verbandelt, die alles nach Norden schleusen, was Gewinn verspricht – vor allem Waffen, Drogen und Menschen. Dass Terroristen im Frühjahr 2012 den Norden Malis besetzten, hing nach Ansicht von malischen JournalistInnen auch damit zusammen, dass regierungsnahe Kreise aus dem Süden in den Drogenschmuggel im Norden eingestiegen waren. Beispiele wie Somalia oder Mali erklären auch, warum gerade diese Region von solchen Gruppen heimgesucht wird: Die meisten dieser kargen Länder verfügen über wenig Ressourcen, viel Fläche und weit verstreute Siedlungen, die sich schlecht schützen lassen. Viele Terrorgruppen kämpfen deshalb darum, die Kontrolle über Räume zu erlangen, innerhalb derer sie illegalen Handel, eine der wenigen finanziell attraktiven Branchen, ohne Einmischung des Staats abwickeln können.

Boko Haram vor der Spaltung

Im Norden Nigerias errichtete Boko Haram vorübergehend eine eigene staatsähnliche Struktur, die neue Einnahmen in Form von Steuern ermöglichte und die Kontrolle über die wenigen Ressourcen formalisierte. Dass Boko Haram nach den jüngsten Militäroffensiven viele Städte verloren hat und wieder aus dem Hinterhalt agiert, bedeutet aber kaum, dass die Gruppe «technisch besiegt» ist, wie Nigerias Präsident Muhammadu Buhari im Dezember vollmundig erklärte. «Es kann sich einfach um einen Strategiewechsel handeln», sagt Martin Ewi, Forscher am Institute for Security Studies in Johannesburg. Tatsächlich sei es bedrohlich, dass Boko Haram seine Basen von Nordnigeria ins Nachbarland Niger verlegt habe – eines der ärmsten Länder der Welt, das zudem an Libyen grenzt, wo der sogenannte Islamische Staat grosse Landesteile kontrolliert. Auch dass der langjährige Chef von Boko Haram, Abubakar Shekau, zuletzt von einem Putsch gegen ihn sprach, der sogenannte IS einen neuen Anführer für Boko Haram benannte und die Terrorgruppe sich offenbar spaltet, macht Boko Haram eher noch unberechenbarer. Es droht ein Wettbewerb, wer die blutrünstigere Fraktion ist. Von einem Sieg gegen Boko Haram ist man noch weit entfernt.

In Nigeria ist das jedenfalls vielen recht. Seit Jahrzehnten hatte das Militär nicht mehr so viel Einfluss: Die Zahl der SoldatInnen soll verdoppelt werden, obschon ein Viertel des Haushalts bereits für das Militär reserviert ist. Auch anderswo stärkt der Antiterrorkampf autoritäre Strukturen. Ugandas langjähriger Präsident Yoweri Museveni sitzt nicht zuletzt wegen der Bedeutung seiner Armee in der regionalen Terrorabwehr fest im Sattel. Das kleine Dschibuti, bis 1977 französische Kolonie, beherbergt nicht nur den grössten französischen und den nach offiziellen Angaben einzigen US-Militärstützpunkt auf dem Kontinent. Auch China will dort in naher Zukunft mehrere Tausend SoldatInnen stationieren, die türkische Armee ist bereits vor Ort. Die Basen machen den autoritär herrschenden Präsidenten Ismail Omar Guelleh für die ausländischen Militärmächte unentbehrlich, obwohl seinem Clan vorgeworfen wird, die Staatsressourcen zu plündern.

Für Länder wie Frankreich, Britannien und die USA ist die Terrorgefahr auch die Legitimation, die Präsenz in Afrika auszubauen. Die US-Armee verfüge inzwischen über elf sichere Kooperationsbasen, räumte David Rodriguez, Chef des Afrikakommandos der USA, vor einem Jahr ein: «Das ermöglicht uns, innerhalb von vier Stunden an fast jedem noch so risikobehafteten Ort zu sein.» Mit Spezialisten ist sie zudem in vielen afrikanischen Ländern vor Ort. Zudem tragen auch die zahlreichen Uno-Missionen zur Militarisierung des Kontinents bei, auch wenn viele von ihnen mit dem vermeintlichen Antiterrorkampf nichts zu tun haben.

Eine Truppe, die niemand kennt

Vor den Anschlägen in den USA vom 11. September 2001 verlangten etliche westafrikanische Regierungen den definitiven Abzug ehemaliger Kolonialarmeen. Heute fordern sie ausländische Streitkräfte an – auch, weil diese ihren Machterhalt garantieren. Wer keine islamistischen Terrorgruppen hat, erschafft sich deshalb womöglich welche. Im Südsudan, der nach einer kurzen Friedensphase seit Ende 2013 wieder im Bürgerkrieg versunken ist, machte die Regierung die «Islamische Bewegung zur Befreiung von Raja» für ein Massaker in der Stadt Wau verantwortlich, bei dem über fünfzig Menschen starben. Von der angeblich 700 Mann starken Gruppe hatte bis dahin niemand gehört. Der Anführer ist indes bekannt: Ali Tamim Fartak war Minister in mehreren Regierungen, bei den jüngsten Friedensverhandlungen ging er allerdings leer aus. Hat Fartak aus seiner Stammesmiliz, aus Söldnern aus der sudanesischen Provinz Darfur und Kämpfern der Lord’s Resistance Army eine islamistische Bewegung geformt, wie die südsudanesische Regierung behauptet? Oder sucht die Regierung in Juba nur einen Grund, um internationale Unterstützung gegen einen vermeintlichen inneren Feind zu bekommen? Diese Fragen sind kaum zu beantworten. Denn auch im Südsudan werden JournalistInnen daran gehindert, aus den Bürgerkriegszonen zu berichten. Die Monopolisierung von «Wahrheit» ist Teil des Systems, das Sahel und Horn zu Afrikas Terrorgürtel gemacht hat.

Marc Engelhardt ist Autor des Buchs «Heiliger Krieg, heiliger Profit. Afrika als neues Schlachtfeld des internationalen Terrorismus». Christoph Links Verlag. Berlin  2016 (3. Auflage). 224 Seiten. 22 Franken.