Nationalliga B: Eine Kurve gegen Handys und Homophobie

Nr. 33 –

Der FC Wohlen, seit fünfzehn Jahren zweitklassig, hat erst seit einigen Monaten eine Fankurve. Sie macht Stimmung, aber nicht gegen andere.

  • Mittwoch, 10. August, Sportplatz Niedermatten: Impressionen des Fotografen Milad Ahmadvand aus der Wohlener Fankurve.

Es ist nicht das Spiel, das sie sich erhofft haben. Chiasso ist zu Besuch, die müssten doch zu schlagen sein, haben kein Geld, keinen Plan, erst einen Punkt. Aber nein, 0 : 2 zur Pause. Die Abendsonne hat sich schon nach einer Viertelstunde verzogen, nach dem ersten Gegentor. Es wird kühl. Die Ersten holen ihre Jacken aus dem Rucksack. Einer tippt etwas in sein Smartphone. «Handy abstelle i de Kurve!» Ein verschämtes Schmunzeln, Gelächter rundherum. Und dann weiter, für den Verein, für das Anschlusstor, gegen die Kälte: «Noi vogliamo questa vittoria!» Schräg gegenüber, in hundert Meter Distanz, winken die acht aus Chiasso. Hämisch – oder etwa doch aus Rührung über die Italienischkenntnisse?

Raunen, Würste, Kafi Schnaps

Mittwochabend auf dem Sportplatz Niedermatten, fünfzehn Gehminuten vom Bahnhof Wohlen AG. Die Fans des FC Winterthur legen diesen Weg jeweils zurück, nachdem sie der Bremgarten–Dietikon-Bahn entstiegen sind. Die passiert kurz vor Wohlen die Station Erdmannlistein, und das finden die WinterthurerInnen so niedlich, dass sie stets einen Halt verlangen, aussteigen, in einer Polonaise zur nächsten Tür wieder reinwatscheln und dazu «Erdmannlistein, Erdmannlistein» singen.

Es hat sich für Gästefans jeweils empfohlen, selbst für Unterhaltung zu sorgen, weil in Wohlen sonst nicht viel passiert. Ein paar Hundert Zuschauer, auch einige Zuschauerinnen, ein leises Raunen bei Chancen, Würste, Stumpen, Kafi Schnaps, und verdankt werden die Matchballspender Chäber und Hufi, Edgar Hügli und das Café Bank. Fussball in der Schweizer Provinz, überschaubar, männlich, gemächlich. Und dann kommt an diesem Ort plötzlich Bewegung ins Spiel.

Der erste Rentner geht vorbei zu seinem Platz, schaut kurz hoch, zieht an seinem Rössli-Stumpen und nickt anerkennend: «Bravo, Kurve, wiitermache!» Kurz darauf der zweite: «Gueten Obig mitenand», dann der dritte, unter einer Motorex-Mütze: «Ihr möched da guet!» Und von oben schauen sie herunter, nicht ohne Stolz, grüssen zurück, schwenken ihre Fahnen und recken ihre Doppelhalter gegen den Himmel. Und diese Fahnen sind nicht nur blau-weiss, sondern auch regenbogenfarben, und auf den Doppelhaltern steht nicht nur «FC Wohlen 1904», sondern auch «Kein Fussball den Rassisten!» Es ist etwas passiert auf dem Sportplatz Niedermatten. Und es fragt sich, wer von den offiziell 766 Anwesenden an diesem Abend versteht, worum es geht.

«Nein», räumt einer aus der Kurve ohne zu zögern ein, «wenn die Rentner wüssten, wofür wir einstehen, sie würden wahrscheinlich nicht mehr so freundlich grüssen.» Aber müssen sie es denn alle wissen? Es gefällt ihnen, was sie sehen: Dass der FC Wohlen endlich auch eine eigene Fankurve hat, so wie alle andern, eine bunte und laute, die zwanzig verschiedene Lieder im Repertoire hat und davon kein einziges gegen den Gegner. Mehr wollen sie vielleicht gar nicht wissen.

Die Kurve gibt es so seit einem halben Jahr. Sie besteht aus rund zwanzig Leuten in zwei Gruppierungen, den GS14 und den «Teilzeitfans» (Leitspruch: «Es gibt Wichtigeres als Fussball»). Sie machen Stimmung, aber nicht gegen andere. Sie wünschen den Gegnern keinen Beinbruch und den gegnerischen Fans nicht Tod und Hass. Sie drohen dem Schiedsrichter nicht, sich an seiner Mutter zu vergehen, und wünschen sich einen Fussball ohne Rassismus. Und als wäre das alles nicht schon genug, verzichten sie auch auf schwulenfeindliche Äusserungen jeder Art. Und das, so erzählen sie, geht einigen in Wohlen offenbar zu weit.

Der zwölfte Mann ist auch eine Frau

Der Schlusspfiff ist längst verklungen, mehr als ein Tor hat der FC Wohlen nicht mehr geschossen. Im Pissoir hat man durch die Lüftung gehört, wie die Spieler des FC Chiasso in der Kabine singend den Sieg feiern. Jetzt sitzen wir beim Bier auf der hölzernen Stehrampe, die sich die Fans aus einem guten Dutzend Paletten selber gebaut haben. Der Platzwart hat das Flutlicht ausgemacht, es ist finstere Nacht, doch ein junger Fan springt mit seinem Handy ein und macht den Beleuchter. «Die Kleber gegen Homophobie wurden gezielt überklebt», erzählen sie, und Pöbeleien gebe es auch. «Homo» oder «Schwuchtel» gehöre zum Fussball, das sei normal, hören sie. «Und, wie reagiert ihr? Gibt es Kurvenverbote wegen Homophobie?», frage ich. Die jungen Frauen und Männer sind nicht strikt auf einer Linie. Aber, das sagen alle, es müsse eine Bereitschaft spürbar sein, etwas dazuzulernen, sich auf Argumente einzulassen. «Ich habe mit fünfzehn auch noch ‹Homo› gerufen hier im Stadion», erzählt einer. Jetzt tue er es nicht mehr und wisse, weshalb. Weniger Spass habe er deshalb nicht. Im Gegenteil: «Wenn wie heute die Stimmung gut ist und sogar andere in unsere Lieder einstimmen, verkrafte ich auch eine Niederlage.»

Es ist in der Schweiz nicht üblich, dass sich Fankurven offen gegen Diskriminierung positionieren. Während der Kampf gegen Überwachung und Repression kurvenübergreifend zum guten Ton gehört, gelten Parolen gegen Rassismus oder Sexismus als «politisch» und deshalb fehl am Platz. Wer wie die Wohlen-Fans klar Stellung bezieht, muss deshalb mit Anfeindungen rechnen. In Deutschland erleben dies linksgerichtete Ultras bei vielen Vereinen seit Jahren, es kommt zu Ausgrenzungen, Übergriffen durch rechte Hooligans, gar zu Überfällen am Wohnort. Und zwar vornehmlich dort, wo die Vereine keine Farbe bekennen oder sich gar hinter die Aggressoren stellen.

Im Faltblatt des FC Wohlen zum Spiel gegen Chiasso bezeichnet der Präsident das Spiel als echten Test für den Formstand der Mannschaft, aber auch der Fans: «Der 12. Mann könnte den Unterschied machen.» Damit richtet er sich klar an die neue Kurve, der er dem Vernehmen nach wohlgesinnt ist. Dass der zwölfte Mann auch eine Frau sein darf, wie es die Ultras der Schickeria München einmal auf einem Transparent festgehalten haben, wird sich in Wohlen mit Sicherheit herumsprechen.