Gesamtarbeitsvertrag: Avantgardisten der Geringschätzung

Nr. 39 –

Nach mehr als zehn Jahren sind die Schweizer VerlegerInnen endlich wieder bereit, über einen Gesamtarbeitsvertrag zu verhandeln. Doch der Entwurf, den sie vorlegen, ist schäbig. Die JournalistInnen sollten sich an ihren Kampfgeist erinnern.

Ein Blick zurück erhellt womöglich den aktuellen Zustand des Journalismus. Vor Ausbruch der sogenannten Medienkrise war die «innere Pressefreiheit» noch ein Begriff. Er meinte: Kein Journalist, keine Journalistin durfte von Vorgesetzten auf Linie gezwungen werden – dazu also, gegen seine beziehungsweise ihre Überzeugung und recherchierten Erkenntnisse zu schreiben. Das war natürlich bloss ein Ideal, aber ein deklariertes, an das man die Chefs erinnern konnte, wenn ihnen ein Kommentar nicht in den Kram passte: «Dann schreiben Sie ihn doch selber!»

Der Begriff der inneren Pressefreiheit mag noch in irgendwelchen Redaktionsstatuten, den Verfassungen von Medien, als Relikt herumgeistern. Seine Bedeutung hat er verloren.

Die Trennung von Werbung und redaktionellen Inhalten war einst eine scharf gezogene rote Linie. Inzwischen haben WerberInnen selbst die Frontseiten von Zeitungen vereinnahmt. Stakkatojournalismus im Netz regt auf, statt aufzuklären. Aussergewöhnliche JournalistInnen sind heute «Marken». Die Branche leidet unter Kolumnitis, Originalitätssucht und einem zwanghaft pseudoschrägen Blick auf die Wirklichkeit. Das ist ungefährlich, verspricht Applaus, Klicks und Ergötzung. Solchermassen generierte Aufmerksamkeit hält man dann für Relevanz. Die technologischen Umwälzungen, Massenentlassungen und Angst vor Arbeitsplatzverlust setzen JournalistInnen unter Druck. Am Dienstag etwa gab Tamedia die Entlassung von 24 JournalistInnen in der Romandie bekannt.

Die vierte Gewalt, die den Mächtigen den Spiegel vorhalten und sie kontrollieren soll, leidet an Schwindsucht. Jene, die sie eigentlich stärken müssten, geben sie lustvoll preis: Der Gewerkschaftsfeind Hanspeter Lebrument, Monopolist im Bündnerland und bis vor kurzem Präsident des Verbands Schweizer Medien (VSM), und «BaZ»-Mitbesitzer und -Chefredaktor Markus Somm forderten unlängst die InserentInnen dazu auf, missliebige Redaktionen mit Inserateboykott zu disziplinieren.

Ausbeutung der Jungen

Lebrument ist ein Avantgardist dieser Geringschätzung eines Berufsstands, ohne den er seine Bündner Somedia-Gruppe schliessen könnte. Als er sein Amt als VSM-Präsident antrat, verkündete er, unter ihm werde es keine Gesamtarbeitsvertragsverhandlungen mehr geben. Er hat Wort gehalten und alle Verhandlungsforderungen des Berufsverbands Impressum und der Mediengewerkschaft Syndicom abgeblockt.

Seit 2004 arbeiten die JournalistInnen in der Deutschschweiz und im Tessin ohne Gesamtarbeitsvertrag. Die Arbeitsbedingungen haben sich seither kontinuierlich verschlechtert. Der Zeitdruck auf die Einzelnen in den ausgedünnten Redaktionen nimmt zu. Als die Branche in einen vertragslosen Zustand geriet, wurde immerhin der Besitzstand der etablierten JournalistInnen gewahrt. Ihre Löhne wurden nicht gesenkt. Dafür wurden die Sozialpläne bei Entlassungen massiv verschlechtert. Ungünstiger sieht es für die jüngere Generation aus. Es gibt zwar keine verlässlichen Lohnerhebungen. Doch wer neu in den Beruf einsteigt, muss mit tieferen Einstiegslöhnen rechnen. Im alten GAV betrug der Einstiegslohn gut 5600 Franken, nach neun Jahren waren es gegen 7000 Franken Minimallohn. Berufserfahrung wurde gewichtet. Inzwischen hat die Gewerkschaft Syndicom Hinweise darauf, dass junge JournalistInnen mit Löhnen selbst unter 5000 Franken einsteigen müssen.

Im alten GAV war es selbstverständlich, dass die Medienhäuser die Ausbildungskosten von VolontärInnen vollumfänglich übernahmen. Heute tragen sie in der Regel noch die Hälfte der Ausbildungskosten. Besonders schlecht sieht es für freie JournalistInnen aus, die für Tageszeitungen schreiben. Vor allem die Aufträge und mitunter die Honorare sind eingebrochen. Mehrfachverwertungen eines Artikels waren früher gang und gäbe. Heute ist das deutlich schwieriger. Freie JournalistInnen sind auf Fachzeitschriften, PR-Aufträge und freie Redaktionsarbeit für Broschüren und Behördenzeitschriften ausgewichen. «Ich verdiene daher plus/minus gleich viel wie vor zehn Jahren», erzählt der freie Journalist Pieter Poldervaart, der in der Freien-Kommission (FreKo) der Mediengewerkschaft Syndicom mitmacht und einen neuen GAV unterstützt, der jetzt in Aussicht steht. «Das Tageszeitungsgeschäft lohnt sich nicht mehr wirklich. Fachzeitschriften haben hingegen die Honorare nicht gekürzt und bezahlen anständig. Wer nur noch von Journalismus im engeren Sinn leben möchte, kann das zwar, wenn er jung ist und keine Familie hat – aber zu einem schlechten Lohn.»

Vorbild Romandie

Der GAV wird nicht mehr das Niveau des Vertrags aus dem Jahr 2000 erreichen, so viel steht wohl bereits fest. Es gleicht schon einem kleinen Wunder, dass nun nach mehr als einem Jahrzehnt überhaupt über Vertragsverhandlungen geredet wird. Der Vorstand des VSM, in dem die Grossverlage das Sagen haben, tut es nicht freiwillig. Als der Journalistenverband Impressum an der Mitgliederversammlung im vergangenen Jahr einen Antrag einreichte, Vertragsverhandlungen zum Jahresziel zu erklären, klemmte Hanspeter Lebrument ab. Dann stand Kaspar Surber als Delegierter der WOZ auf und erklärte Lebrument, Pietro Supino und Co. die Vereinsstatuten: Nicht der Vorstand bestimmt, worüber geredet wird, das tut die Versammlung. Also kam das Traktandum zur Abstimmung. Und wurde angenommen. Danach hörten Syndicom und Journalistenverband Impressum trotz mehrerer Briefe lange nichts.

An der diesjährigen Versammlung hat der Vorstand nun eingelenkt und einen Verhandlungsvorschlag präsentiert. Er muss als schäbig bezeichnet werden, sichert er doch grösstenteils, was bereits im Arbeitsgesetz steht.

Da haben es die Medienleute in der Romandie besser. Sie haben einen GAV. Und der kann sich sehen lassen im Vergleich zum Verhandlungsvorschlag der Deutschschweizer VerlegerInnen. Die Romands erhalten einen Einstiegslohn von 5863 Franken und eine Tagespauschale für Freie von 563 Franken – der VSM will weder Mindestlöhne noch Mindesthonorare. So wie die VerlegerInnen jetzt in die Verhandlungen steigen, wäre kein 13. Monatslohn vorgeschrieben. Sozialplanregelung, Mutter- und Vaterschaftsurlaub – dass sich der VSM an die gesetzlichen Minimalregelungen hält, erinnert an eine «Herr im Haus»-Mentalität aus dem 19. Jahrhundert. Mit dem Verhandlungsvorschlag zeigen die VerlegerInnen, was sie von ihren Mitarbeitern halten: wenig bis nichts.

Streik als letztes Mittel

Impressum und Syndicom drängen auf einen raschen Vertragsabschluss – und können die Standards in einem neuen GAV vom Kellerniveau der VerlegerInnen hoffentlich in eine zivilisierte Höhe heben. Wie eine Umfrage von Syndicom zeigt, ist ein Gesamtarbeitsvertrag praktisch allen JournalistInnen ein zentrales Anliegen. Ein neuer GAV könnte eine Kehrtwende einleiten. Dann wären JournalistInnen wieder ernst zu nehmende SozialpartnerInnen. Denn die JournalistInnen sind in den letzten zehn Jahren nicht schlechter geworden, im Gegenteil. Es sind die von einem Teil der VerlegerInnen aus Renditegründen bewusst verschlechterten Rahmenbedingungen, die auf die Qualität drücken. Das sah im vergangenen Jahr selbst die bürgerliche Bundesrätin Doris Leuthard so. Sie drängte die VerlegerInnen, endlich einen GAV abzuschliessen.

Sollten die VerlegerInnen um den neuen Verbandspräsidenten und Tamedia-Chef Supino weiterhin auf Hinhaltetaktik und Obstruktion setzen, bliebe den JournalistInnen das Mittel des Streiks. Das ist zwar vorläufig Wunschdenken. Aber so viel Selbstbewusstsein müsste sein: Ein Streik würde die VerlegerInnen Millionen kosten. Sie sässen ziemlich rasch am Verhandlungstisch.