Aargau: Rassismus im Departement der grünen Regierungsrätin Hochuli

Nr. 40 –

Ein Mitarbeiter im Aargauer Asylwesen meldet den Behörden rassistische Vorfälle im Nachtdienst – und wird abgekanzelt. Der Fall ist exemplarisch für die Missstände in der Flüchtlingsbetreuung.

Asylunterkünfte im Kanton Aargau (hier in Wohlen): Revier von Nachtwächtern, die wohl lieber Polizisten geworden wären.

Nennen wir ihn René Baumgartner. Baumgartner war Nachtbetreuer in Aargauer Asylunterkünften und als solcher vom Kanton angestellt. Bis ihm vor fünf Monaten der Kragen platzte und er plötzlich den Mut zum Reden fand. Da war diese Sitzung mit dem Fachbereichsleiter. Es war René Baumgartners Kollege, der die Gelegenheit zuerst ergriff: Er wolle in Zukunft nicht mehr mit Kollege S. auf Patrouille, meldete er dem Vorgesetzten. S. sei ein Rassist, werde immer wieder grob ausfällig gegenüber Asylsuchenden. René Baumgartner stellte sich erst nur dazu, dann hörte er sich sagen, was er aus Angst vor Schikanen oder gar dem Jobverlust zuvor keinem Vorgesetzten gemeldet hatte: «S. hat einmal gesagt: ‹Man sollte diese Leute einschläfern können.› Er meinte damit einen jungen Pakistani, der wegen eines schweren Kriegstraumas oft Kopfschmerzen hat. Und S. ist nicht der Einzige, der sich rassistisch äussert.»

Heute ist René Baumgartner arbeitslos. Ein weiterer Mitarbeiter, der die Rassismusvorwürfe bekräftigte, ist wegen eines Burn-outs krankgeschrieben. Die Angeschuldigten hingegen sitzen fest im Sattel: Das zuständige Sozialdepartement der grünen Regierungsrätin Susanne Hochuli hat sie von allen Vorwürfen reingewaschen. Es gebe «kein Rassismusproblem im Nachtdienst», wird nach einer internen Untersuchung festgehalten. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden in einer Folienpräsentation zusammengefasst, die der WOZ vorliegt. Daraus geht hervor: Die Untersuchung wurde schludrig geführt, und die Verantwortlichen ergreifen klar Partei.

Die «Jäger» aus dem «Kindergarten»

René Baumgartner wurde bei der Präsentation der Untersuchung schlagartig bewusst: «Das zielt hier vor allem auf dich ab.» Die Präsentation ist vor allem eines: ein leicht genervter Aufruf zur Wiederherstellung der Ordnung. Was im Nachtdienst vor sich gehe, sei ein «Kindergarten», trug Stephan Campi, Generalsekretär des Sozialdepartements, den Nachtdienstmitarbeitern vor – und so steht es auch wörtlich in der Präsentation. Man erwarte von allen Beteiligten, dass sie auf «Diffamierungen und Gifteleien» verzichteten. Ergo: «Rückkehr zum Normalbetrieb». Die von René Baumgartner erhobenen Rassismusvorwürfe sieht das Departement als widerlegt an: Bei den Einvernahmen der Angeschuldigten habe sich zwar gezeigt, «dass menschenverachtende Äusserungen wie ‹Neger›, ‹Tschingg› oder ‹Asylant› unter den Kollegen des Nachtdienstes häufig benutzt werden». Im Team herrsche ein «rauer und respektloser Umgang». Das will das Departement zwar «nicht dulden». Doch weder sei es zu rassistischen Äusserungen gegenüber Asylsuchenden gekommen, noch seien die erwähnten «menschenverachtenden Äusserungen» strafbar, «da sie nicht in der Öffentlichkeit gemacht wurden».

Den Normalbetrieb im Nachtdienst schildert René Baumgartner: «Es gab in unserem Team eine Gruppe, die wir andern ‹die Jäger› nannten.» Auf ihren nächtlichen Patrouillen hätten es «die Jäger» in erster Linie darauf abgesehen, die Asylsuchenden bei einem Regelübertritt zu erwischen. «Wenn etwa um Viertel nach zehn noch Besuch da war, obwohl das den Bewohnern der Unterkünfte nur bis zehn Uhr abends gestattet ist, erteilten sie sofort ein endgültiges Hausverbot, auch wenn es sich beim Besuch etwa um die Tochter einer Bewohnerin handelte. Brauchte jedoch ein Asylsuchender ein Notfallmedikament, hat sich S. demonstrativ vor die Tür gestellt, um eine Zigarette zu rauchen.» Die scharfen Patrouillengänger seien bei den Vorgesetzten angekommen; wer wie René Baumgartner mit mehr menschlichem Ermessen an die Arbeit gegangen sei, habe mit Anschwärzungen rechnen müssen. Doch nicht nur das: Die Einstellung, mit der die Regeltreuen ans Werk gingen, widerspiegle eine spezielle Auffassung der eigenen Aufgabe: Nicht wenige seien verhinderte Polizisten, sagt Baumgartner. Mehrere Nachtdienstmitarbeiter seien früher für grosse Sicherheitsfirmen tätig gewesen. Offen rassistisch habe sich neben S. auch der jetzige Teamleiter geäussert – nennen wir ihn R. Mehrere Zeugen werfen ihm vor, über Schwarze gesagt zu haben, sie würden stinken. «Als R. im Frühling zum neuen Teamchef befördert wurde, meinte ich, ich spinne», sagt Baumgartner.

Fehlende Zeugenaussagen

«Aufgabe der Nachtdienstmitarbeiter ist in erster Linie, die Unterkünfte zu kontrollieren und einen geregelten Betrieb sicherzustellen», sagt Stephan Campi vom Sozialdepartement. Bei ihren nächtlichen Patrouillen sind die Teams aber auch mit Betreuungsaufgaben konfrontiert, und sie müssen auf brenzlige Situationen reagieren, etwa wenn Streit ausbricht. Eine sozialpädagogische Ausbildung hat im Aargauer Nachtdienstteam niemand, verlangt wird lediglich eine abgeschlossene Berufsausbildung. In der Nachtbetreuung zeigt sich damit zugespitzt, welche Probleme bei der Betreuung von Asylsuchenden generell vorherrschen: ein Mangel an qualifiziertem Personal, unscharfe Jobprofile, Überinvestitionen in die Sicherheit auf Kosten der Betreuung. Asylsuchende hätten Glück, «wenn sie an eine Institution geraten, die den Dienst am Menschen in den Mittelpunkt stellt», sagt Matthias Rysler von der Menschenrechtsgruppe Augenauf. «Fokussiert eine Zentrumsleiterin hingegen auf polizeilich-disziplinarische Aufgaben, kann leicht ein rassistisches Klima entstehen.»

Anfang Juli schreibt René Baumgartner ein E-Mail an Regierungsrätin Susanne Hochuli: Er kündigt darin seinen Austritt aus dem Nachtdienst per Ende Oktober an, «weil ich nicht mehr bereit bin, in Strukturen zu arbeiten, in der menschenverachtender, rassistisch motivierter Menschenhass von oben geduldet wird». Im E-Mail schildert Baumgartner der Sozialvorsteherin zudem detailliert die Situation in seinem Team – die sich nach dem Gespräch mit dem Fachstellenleiter in keinster Weise verbessert habe. Und Baumgartner führt zwei Kollegen auf, die bereit seien, rassistische Ausfälligkeiten zu bezeugen. Hochuli leitet daraufhin eine interne Untersuchung ein, mit der sie ihren Generalsekretär Stephan Campi betraut. Dieser lädt fast das gesamte Team zur Einvernahme ein – nicht jedoch den von Baumgartner vorgeschlagenen Hauptzeugen. Der zweite Mitarbeiter, der die Anschuldigungen bekräftigte, wurde zwar befragt. Doch wegen beanstandeter Unstimmigkeiten weigerte er sich, das Gesprächsprotokoll zu unterzeichnen. Campi sagt dementsprechend: «Wir hatten nur eine einzige belastende Aussage: die von Herrn Baumgartner selbst.»

Zum Lügner gestempelt

Das Departement macht sich auch nicht die Mühe, mit Aussenstehenden zu reden, die mutmassliche Vorfälle hätten bezeugen können. «Wir haben nur Mitarbeiter des kantonalen Sozialdienstes befragt», sagt Campi. Mit Flüchtlingen oder VertreterInnen von Polizei, Securitas oder externen Organisationen gab es keine Gespräche. Am 22. September lädt Campi die Nachtdienstmitarbeiter zu einer Orientierungssitzung über die abgeschlossene Untersuchung ein. Als Baumgartner klar wird, dass aus der Untersuchung keinerlei Konsequenzen resultieren, fragt er Campi, ob Euthanasiefantasien von Asylbetreuern also keine Rolle spielten. Solche Fantasien gebe es nicht, antwortet Campi. Daraufhin legt Baumgartner Schlüssel und Dienstausweis auf den Tisch und verlässt die Veranstaltung mit den Worten, er sei hier wohl im falschen Film. Die anstehende Nachtschicht tritt er nicht an.

Baumgartner hatte seine Stelle bereits auf März 2017 gekündigt. Seinen Abgang legen ihm seine Arbeitgeber nun als sofortige Kündigung aus. «Ich hätte ohnehin nicht mehr im Team arbeiten können», sagt er. «Schliesslich wurde ich nun zum Lügner gestempelt.» Baumgartners Zeuge hat ebenfalls gekündigt und ist krankgeschrieben. Zu gross sei die Angst vor Repressionen im Team gewesen.

Und was meint die letztlich verantwortliche Susanne Hochuli zu den Ereignissen? Möglichen Hinweisen auf rassistisches Verhalten werde in ihrem Departement konsequent nachgegangen. «Es ist mir ein Anliegen, dass Vorwürfe sorgfältig abgeklärt und die Ergebnisse ebenso bewertet werden. Das war im vorliegenden Fall so.» Die Vorwürfe hätten sich nicht bestätigt, die Mitarbeiter aus freien Stücken gekündigt, sagt Hochuli.

Nachtrag vom 13. Oktober 2016 : Verfahren wegen Zivilcourage

Die WOZ-Recherchen zu den Rassismusvorwürfen im Departement der Aargauer Regierungsrätin Susanne Hochuli haben ein politisches Nachspiel: Die Kantonalpartei der Grünen fordert eine gründliche Aufklärung. «Unsere Fraktion wird Frau Hochuli im Grossen Rat mit Fragen konfrontieren», sagt Parteipräsident Daniel Hölzle. Im Raum stehen die Aussagen mehrerer Asylbetreuer des kantonalen Nachtdiensts. Sie werfen ihren Kollegen vor, sich gegenüber Flüchtlingen mehrfach rassistisch geäussert zu haben. Eine interne Untersuchung wäscht die Angeschuldigten rein, weist aber erhebliche Mängel auf. «Nach Gesprächen mit den Zeugen halten wir es für plausibel, dass es tatsächlich rassistische Vorfälle gab», sagt Hölzle. Das Sozialdepartement stehe unter grossem Spardruck. «Gerade für den schlecht bezahlten Nachtdienst lässt sich nur schwer gutes Personal finden.»

Die Verantwortlichen schweigen seit Bekanntwerden der Vorfälle – und verweisen auf das laufende Verfahren wegen Amtsgeheimnisverletzung. Ein solches läuft gegen den Mitarbeiter, der mit dem Fall an die WOZ gelangt war: Ihm drohen eine hohe Geldstrafe sowie ein Eintrag ins Strafregister. Hölzle kritisiert das Departement dafür: «Wenn jemand aus Zivilcourage zum Whistleblower wird, sollte er dafür nicht bestraft werden.» Die grüne Fraktion werde deshalb versuchen, ihre Regierungsrätin zu einer Einstellung des Verfahrens zu bewegen.

Sarah Schmalz