Kost und Logis: Kompostkosmologie

Nr. 43 –

Bettina Dyttrich über den Film «Wild Plants»

Der Schluss ist Kitsch: Ein kleines Kind trägt ein leeres Vogelnest durch den Schnee. Aber wer «Wild Plants» auf Kitsch reduziert, macht es sich zu einfach. Die Bilder der hundert Minuten davor sind stärker als diese verbrauchte Zukunftssymbolik.

Der Film von Nicolas Humbert zeigt Menschen, die mit Pflanzen arbeiten: die Genfer Gemüsegenossenschaft Les Jardins de Cocagne, das gärtnernde Paar Kinga Osz und Andrew Kemp aus Detroit, den Zürcher Guerillagärtner Maurice Maggi und den Lakota-Aktivisten Milo Yellowhair aus South Dakota. «Wild Plants» ist kein Dokumentarfilm, er erklärt nichts. Man erfährt nicht, dass Yellowhair im Pine-Ridge-Reservat Gemeinschaftsgärten organisiert und sich gegen Uranabbau wehrt oder wie die Jardins de Cocagne funktionieren. Das Weglassen ist offenbar gewollt – der Film konzentriert sich ganz auf die sinnliche Ebene: endlose Güterzüge in ruinierten Industriezonen, Hunde auf zielstrebiger Mission in der Dämmerung, flimmernde Vogel- und Insektenschwärme und immer wieder Körper bei der Arbeit – Hände, die Erde kneten, Gemüse ernten, einen Pilz zerlegen, Füsse, die im Morast waten. Betörend schöne Bilder.

Trotzdem fehlt zu viel, besonders in Detroit: In der Grossstadt, die zwischen 2000 und 2010 ein Viertel ihrer EinwohnerInnen verloren hat, ist Landwirtschaft nicht nur eine Überlebensstrategie, sondern auch eine politische Bewegung geworden. Im Film merkt man nichts davon, weil Humbert nur ein einziges weisses Mittelschichtspaar zeigt. Und Milo Yellowhair kommt nur sehr kurz vor – zu kurz, um das Klischee des weisen, naturverbundenen Indianers zu durchbrechen. Maurice Maggis Streifzüge durch das nächtliche Zürich ziehen sich dagegen in die Länge.

Die Arbeit mit Pflanzen verändert die Menschen. Ein Genfer Gärtner erzählt vom Glück der konkreten Arbeit, Andrew Kemp erlebt den Garten als etwas fast Religiöses, und Kinga Osz hat der Garten-Küche-Kompost-Kreislauf sogar geholfen, die Angst vor dem Tod zu überwinden. Diese Erfahrungen sind nicht banal – aber sie klingen schnell einmal so. Es ist schwer, sie so präzis in Worte zu fassen, wie es etwa dem Schriftsteller John Berger gelungen ist.

In «Wild Plants» gelingt es den meisten nicht so gut. Wer es selbst erlebt hat, weiss, was gemeint ist – aber wer selbst sät, jätet und Holz hackt, muss diese Tätigkeiten nicht im Kino anschauen. Besser als die Worte transportieren die Bilder etwas von dieser ruhigen Freude und unerklärlichen Zuversicht, die die Arbeit mit Pflanzen auslösen kann. Etwa in der ausgelassenen Stimmung des Cocagne-Kollektivs auf dem Heimweg. Oder wenn Andrew Kemp am Ende der Saison zufrieden seine Tomatengerüste abfackelt. Es scheint manchmal, GärtnerInnen seien die letzten zuversichtlichen Menschen. Sie erleben etwas, was sehr vielen mit abstrakter Arbeit Beschäftigten abhandengekommen ist: dass das, was sie tun, einen Sinn hat.

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin und gärtnert dilettantisch. «Wild Plants» läuft ab sofort in den Kinos.