Religion: «Der Islam gehört zur Schweiz!»

Nr. 45 –

Die kürzliche Razzia in der Winterthurer An-Nur-Moschee befeuert die Warnrufe vor dem Islam. SP-Nationalrat Cédric Wermuth fordert nun eine Umkehrung der Debatte.

WOZ: Herr Wermuth, Sie fordern die staatliche Anerkennung des Islam. Was wollen Sie damit erreichen?
Cédric Wermuth: Ich fordere vor allem die grundsätzliche politische Anerkennung, dass wir in einem multikulturellen Land leben – die offizielle staatliche Anerkennung ist eine Option. Der Islam ist genauso Teil der Schweiz wie das Christentum oder der Atheismus. Heute wird die Vorstellung wieder salonfähig, dass nur weisse Christen dazugehören. Die Zugehörigkeit zur Schweiz darf jedoch nicht an eine Sprache, Kultur oder Religion gekoppelt sein. Die Anerkennung würde den Muslimen helfen, sich als vollwertige Bürger zu fühlen.

Sie planen einen Vorstoss im Nationalrat. Wie soll er aussehen?
Der Bund soll von den Kantonen drei Dinge verlangen: die Nichtdiskriminierung von Religionsgemeinschaften, ihre Gleichbehandlung und die Forderung an die Gemeinschaften, sich an den Rechtsstaat zu halten. Die Kantone könnten die strikte Trennung von Staat und Kirche wählen oder alle Religionen nach gleichen Kriterien anerkennen. Sie könnten aber nicht mehr das Christentum privilegieren.

Die staatliche Anerkennung des Islam wäre auch eine Antwort auf den Islamismus, wie er in der Winterthurer An-Nur-Moschee bisher propagiert wurde.
Mir geht es in erster Linie um den Kampf gegen die Diskriminierung. Es ist absurd, dass wir nur über den Islam reden, wenn es um Sicherheit geht. Wir sollten dafür schauen, dass alle ihre Kultur frei ausleben können. Das ist die Debatte, die wir brauchen! Allerdings kann die Anerkennung des Islam ein Teil der Antwort sein: Wir stehen heute genauso einem radikalen Islam gegenüber wie einem reaktionären Nationalismus. Wir brauchen eine Koalition aller progressiven Kräfte. Die Anerkennung wäre ein Angebot an die muslimischen Menschen, sich der Koalition anzuschliessen.

Was würde die Anerkennung ganz konkret für die Vereine bedeuten?
Erstens wäre es Symbolpolitik im positiven Sinn. Die Botschaft: Ihr gehört zu uns! Zweitens würde es möglich, Imame an den Hochschulen auszubilden. Drittens könnten die Kantone die Finanzierung der Vereine kontrollieren. Wir müssen unterbinden, dass etwa Saudi-Arabien hiesige Moscheen finanziert. Ich bin weder ein Anhänger eines übergriffigen Staates noch eines Laisser-faire-Laizismus, der sagt: «Religion ist Privatsache, das geht mich nichts an.» Der Staat hat ein legitimes Interesse, zu wissen, was innerhalb religiöser Gemeinden läuft.

In einem liberalen republikanischen Modell hat er lediglich die Grenzen zu setzen, innerhalb derer sich die Religionen frei bewegen dürfen …
Frankreich mit seinen zahlreichen Moscheen, in denen sich viele junge Muslime radikalisieren, zeigt die Grenzen dieses Modells.

Die Jungen, die sich radikalisieren, tun dies individuell anhand eigener Vorbilder. Reguliert man die Moscheen, werden sie im Internet fündig.
Einverstanden. Doch wie gesagt geht es mir erstens nicht um die Sicherheitsdiskussion, und zweitens wirkt auch die reine symbolische Anerkennung des Islam dem Radikalismus entgegen: Der Schweizer Islamist Nicolas Blancho kann sich nichts Besseres wünschen als CVP-Präsident Gerhard Pfister, der die Schweiz zum christlichen Land proklamiert. Blancho sagt seinen Anhängern, dass der Westen sie nicht will, Pfister liefert ihm den Beweis. Hinter dieser Strategie stehen konkrete Machtinteressen. Diesen Dualismus müssen wir brechen.

Der Staat sollte die Muslime doch in ihrer Eigenschaft als Staatsbürger ansprechen, die sie mit Nichtmuslimen verbindet. Spricht er sie als Muslime an, drängt er sie in diese Rolle.
Ja, die Gefahr besteht. Heute dominiert aber die Vorstellung einer weissen, christlichen Mehrheitsgesellschaft – und daneben gibt es noch die anderen. Demgegenüber ist die Situation, in der der Staat Muslime sowohl als Bürger als auch als Muslime anerkennt, ein Fortschritt. Ob man nun dieses Modell will oder den strikten Laizismus, in dem der Staat die Leute nur als Bürger anerkennt, ist für mich zweitrangig. Aber ja, es besteht die Gefahr, dass der Staat Leute als Muslime anspricht, die sich selber zuvor nie primär als Muslime gesehen haben.

Cédric Wermuth, SP-Nationalrat: «Wir müssen den Blancho-Pfister-Dualismus brechen.»

Zumal das die ganz grosse Mehrheit ist …
Nochmals: Mir geht es darum, dass sich die progressiven Kräfte dafür einsetzen, dass alle, die in diesem Land leben, sich zugehörig fühlen und teilhaben: ökonomisch, politisch, kulturell. Wie wir das erreichen, da bin ich für bessere Ideen offen. Gleichzeitig haben wir in verschiedenen Kantonen entsprechende Anfragen von muslimischen Gemeinden auf dem Tisch. Was wollen Sie denen sagen?