Wirtschaftskriminalität: Jäger der verborgenen Schätze

Nr. 48 –

Montags unterrichtet er StudentInnen, den Rest der Woche bekämpft er die Finanzzentren der Unterwelt. Jetzt will Mark Pieth die «weltweite Schattenwirtschaft überwinden».

Mark Pieth: «Die schmutzigen Geschäfte werden immer noch von der Schweiz aus organisiert.»

Früher tappte er im Dunkeln. Mark Pieth war als Jugendlicher Höhlenforscher und wollte Archäologe werden. Aber wenn er mit Freunden in Höhlen kletterte, ging es ihm vor allem um die Frage: Was geschieht, wenn es plötzlich dunkel wird?

Mit dunklen Höhlen hat Pieth heute nur im übertragenen Sinn zu tun: Er sucht auf der ganzen Welt nach Schwarzgeld und untersucht die schwarzen Löcher, in denen es verschwindet. Aus dem Archäologiestudium wurde nichts, dafür ist er heute Professor an der juristischen Fakultät der Universität Basel. Pieth hat sich einmal als «Strafrechtsprofessor mit Nebenjobs» bezeichnet – eine Untertreibung. Längst nehmen die Nebenjobs den Hauptteil seiner Zeit ein: Letzte Woche zum Beispiel war er in London und traf sich mit Vertretern der Luftfahrt- und Waffenindustrie, um diese davon zu überzeugen, bei ihren Geschäften mit dem Tod wenigstens auf Bestechungszahlungen zu verzichten; am Wochenende bereitete er sich auf die Universität vor und arbeitete an einem Buch; am Montag hielt er acht Stunden Vorlesungen (sein Hauptjob); am Mittwoch flog er nach Panama, um an einer internationalen Antikorruptionskonferenz teilzunehmen.

Kampf den «Piratenhäfen»

Die Termine hat der 64-jährige Pieth alle von Hand in sein Notizbuch gemalt: farbige Klötzchen mit einer kleinen Notiz. Die Nebenjobs ergeben einen grossen, bunten Kuchen, für die Arbeit an der Uni bleiben Krümelchen. Dazwischen, in einer kleinen weissen Lücke, findet er Zeit für ein Gespräch in seinem Büro gleich beim Basler Bahnhof.

Es ist eine fast todsichere Wette: In jedem grösseren Fall von Korruption oder Wirtschaftskriminalität taucht auf die eine oder andere Weise die Schweiz auf – Schweizer Banken, Schweizer AnwältInnen oder Schweizer Konten. Früher oder später fällt dann auch der Name Pieth – als Experte, Kommentator, Reformer. Wenn sich irgendwo auf der Welt ein grösserer Geldwäschereiskandal Bahn bricht, dauert es meist nicht lange, bis er einen Anruf bekommt.

Zuletzt war das im vergangenen Frühling der Fall.

Am 3. April 2016 veröffentlichte ein internationales Konsortium von JournalistInnen die «Panama Papers», Millionen interne Dokumente der Anwaltskanzlei Mossack Fonseca, eines Offshoredienstleisters mit Hauptsitz in Panama City. «Mossack Fonseca», so fassten die JournalistInnen ihre Recherchen zusammen, «half und hilft einigen der grössten Schurken der Welt bei ihren Machenschaften.»

Weltweit offenbarten die Enthüllungen zahlreiche Skandale: Es ging um Geldwäscherei, Korruption, Steuerhinterziehung, organisiertes Verbrechen. Die «Panama Papers» zeigten, wie dringlich die Regulierung von Steueroasen ist – oder von «Piratenhäfen», wie sie Mark Pieth nennt. Aus dem Piratenhafen Schweiz tönte es freilich anders: Wie ein Parteipressesprecher verteidigte Finanzminister Ueli Maurer damals die Privilegien der Reichen und Reichsten, als wären komplexe Offshorekonstruktionen einfache Notwehr gegen die Gier des Steueramts: «Wir dürfen uns nicht als Obermoralisierer der Welt aufspielen.»

Mark Pieth ist Maurers Gegenstück, der «Obermoralisierer», wenn man so will. Seit bald drei Jahrzehnten beschäftigt er sich mit Wirtschaftskriminalität – und die führt ihn immer wieder in die Offshorezentren dieser Welt.

Draussen wird es langsam dunkel, unten rattern die Züge vorbei, und Mark Pieth bittet in sein Büro. Er trägt Jackett und Hemd, keine Krawatte – das Krawattentragen wurde ihm schon in der Kindheit verleidet, weil er als Fünfjähriger in Manchester, wo er zur Schule ging, jeden Tag eine umbinden musste.

Nach seinem Jusstudium wollte Pieth eigentlich Strafverteidiger werden, aber dann warnte 1989 die damalige Bundesrätin Elisabeth Kopp ihren Mann vor Ermittlungen der Bundesanwaltschaft, im Bundesamt für Justiz mussten einige Leute ihre Posten räumen, und Mark Pieth wurde zum Chef der Sektion Wirtschaftsstrafrecht berufen und erarbeitete eine Geldwäschereigesetzgebung. «Meine Karriere war eigentlich Zufall», sagt er.

Seine Laufbahn im Zeitraffer: Der Bund schickte Pieth in internationale Arbeitsgruppen gegen Geldwäscherei, 1993 kehrte er zurück an die Universität, er übernahm das Präsidium der OECD-Arbeitsgruppe gegen Korruption, legte sich mit Tony Blair und Silvio Berlusconi an, verhalf der Antikorruptionskonvention zum Durchbruch, ermittelte Millionenbestechungen im Rahmen des Uno-Programms «Oil for Food» im Irak, half bei der Rückführung von Potentatengeldern aus der Schweiz, und vor ein paar Jahren machte er sich daran, den Weltfussballverband Fifa zu reformieren.

Pieths Arbeit ist ein Balanceakt: Schnell wird aus einer angekündigten Reform eine Propagandaaktion und Pieth zum Feigenblatt. Als die Fifa im Korruptionssumpf versank, holte sie 2011 Pieth als Reformer an Bord – was ihn beinahe Ruf und Glaubwürdigkeit kostete. Viele BeobachterInnen schüttelten den Kopf darüber, dass sich Pieth vor Blatters Karren spannen liess. Pieth findet seine Entscheidung bis heute nicht falsch, aber seine Zweifel erkennt man schon daran, wie er heute über das Mandat spricht, das 2013 endete: «Ich bedaure es nicht, aber …», sagt er und verliert sich dann in Erklärungen. Er habe die Emotionalität unterschätzt «und wie tief die Fifa im Schlamassel steckte».

Pieth erzählt es nicht so, aber es ist klar, dass ihm die «Panama Papers» gelegen kamen, um sein Bild in der Öffentlichkeit wieder zu korrigieren. Als der Skandal Schlagzeilen machte und die panamaische Regierung eine internationale Expertenkommission ankündigte, die Reformen ausarbeiten sollte, nahmen zwei prominente Figuren Einsitz in der Kommission: Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und Korruptionsexperte Mark Pieth.

Ganz so international, wie die Regierung behauptete, war die Kommission dann aber doch nicht. Ausser Pieth und Stiglitz sassen fast nur lokale Vertreter in der Kommission. «Die haben uns gelinkt», sagt Pieth heute. Er ist überzeugt, dass die Kommissionsmitglieder – darunter der ehemalige Finanzminister Panamas oder der Exchef des Panamakanals – in erster Linie damit beschäftigt waren, die Arbeit der Experten Pieth und Stiglitz zu sabotieren und Interna an die Regierung weiterzugeben. Im August eskalierte der Konflikt, unter anderem weil es plötzlich hiess, dass der Bericht der Kommission je nach Ergebnis gar nicht erst veröffentlicht werden sollte. Pieth und Stiglitz traten aus der Kommission aus und führten ihre Arbeit alleine fort.

Vor zwei Wochen stellten sie ihre Ergebnisse in Brüssel vor. In diesen Tagen präsentieren sie ihre Forderungen an der weltweit grössten Antikorruptionskonferenz in Panama. Die Schlussfolgerungen von Pieth und Stiglitz sind nicht alle neu, aber für viele Finanzplätze tönen sie nach wie vor radikal. Der Titel des Berichts: «Die Überwindung der Schattenwirtschaft».

Weltweite Regeln

«Wie Wasser, das immer zum tiefsten Punkt fliesst», erklärt Pieth die Überlegungen hinter dem Bericht, «fliesst dreckiges Geld immer zum am tiefsten regulierten Finanzplatz.» Es reiche nicht, neue Regeln für Panama aufzustellen, das System der Schattenwirtschaft sei global: In Russland verschwindet Geld, in Genf bestellt ein Anwalt Briefkastenfirmen bei einem Offshoredienstleister wie Mossack Fonseca, ihren Sitz haben diese Firmen auf den British Virgin Islands, und die dazugehörigen Konten laufen bei einer Bank auf Zypern.

Die Antworten, die Pieth und Stiglitz formulieren, sind deshalb ebenfalls global: ein weltweites Register, in dem die wirtschaftlich Berechtigten von Offshorestrukturen öffentlich einsehbar und überprüfbar sind; ein automatischer Austausch von Steuerinformationen zwischen Behörden; Unternehmen müssen ihre Gewinne dort deklarieren, wo sie sie erwirtschaften (und auch dort Steuern zahlen, wo die sozialen Kosten anfallen). Zudem sollen Finanzintermediäre (also auch AnwältInnen) strengeren Gesetzen unterworfen, WhistleblowerInnen dafür besser geschützt werden. Wer nicht mitmacht, soll auf schwarzen Listen landen und vom globalen Finanzkreislauf abgeschnitten werden.

Rigorose Transparenz und das Ende der Steuertricks, gerade für transnational tätige Unternehmen – Stiglitz’ und Pieths Forderungen gehen in die entgegengesetzte Richtung zur Gesetzesreform, die demnächst in der Schweiz zur Abstimmung steht. «Die Unternehmenssteuerreform III ist eine Schlaumeierei auf einer neuen Ebene», sagt Pieth. «Das Problem liegt hier nicht bei der Transparenz, sondern bei den Steuersätzen und den Schlupflöchern. Weil die Schweiz in Konkurrenz zu anderen Finanzplätzen steht, setzt sie auf tiefe Steuersätze. Das kann man versuchen. Aber es ist ein Spiel auf Zeit: Früher oder später wird auch hier der Druck grösser. Und dann bricht die nächste Regulierungswelle über die Schweiz herein.»

Für die Schweiz ist es eine bekannte und dennoch ständige Gefahr, erneut auf einer grauen oder schwarzen Liste zu landen, weil sie immer nur so viel von ihrem Geschäftsmodell preisgibt, wie international gerade noch akzeptiert ist. «Die Schweiz hat die ganz schmutzigen Geschäfte abgegeben, an andere Finanzplätze verlagert, aber sie werden immer noch von hier aus organisiert», sagt Pieth.

Pieth klang nicht immer so. Als er begann, sich mit Wirtschaftskriminalität zu beschäftigen, sass er auf der Seite des Gesetzgebers. Mit der Rückkehr zur Uni kamen die kritische Distanz und der eigene Blick auf die Schweiz als «Piratenhafen». «Warum leistet es sich die Schweiz eigentlich, sich seit Jahrzehnten so zu exponieren? Raubgold, Raubkunst, illegaler Waffenexport, Geschäfte mit dem Apartheidregime, Geldwäscherei, Potentatengelder, Goldschmelzerei, Rohstoffhandel, internationale Sportverbände … Wenn man es freundlich ausdrückt, dann ist die Schweiz einfach etwas arg liberal. Aber man könnte auch sagen: Wir stellen unser Terrain seit einem halben Jahrhundert halbseidenen Typen und Geschäften zur Verfügung.»