Anschläge in Istanbul: In schwindelerregender Geschwindigkeit

Nr. 50 –

Für die Menschen in der Türkei endet das Jahr genauso blutig, wie es begonnen hat. Im Januar hatte sich inmitten von Istanbuls historischem Zentrum ein Attentäter in die Luft gesprengt. In den darauffolgenden Monaten explodierten in der Metropole am Bosporus weitere Bomben, auch die Hauptstadt Ankara sowie Orte in weiteren Landesteilen wurden mehrfach von Anschlägen getroffen. Am Samstagabend detonierten in Istanbul dann erneut zwei Sprengsätze. Die Terrorbilanz dieses Jahres ist verheerend: Hunderte Menschen kamen bei den Attentaten ums Leben.

Verantwortung für den Anschlag vom vergangenen Wochenende übernahmen die Freiheitsfalken Kurdistans (TAK), eine Splittergruppe der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Sie habe auf Militäroperationen im Südosten des Landes aufmerksam machen wollen, schrieb die Gruppe in ihrer Erklärung. Die Regierung drohte mit Vergeltung und liess ihren Worten umgehend Taten folgen: Am Montag verhafteten die Behörden im ganzen Land weit über 200 Personen, darunter zahlreiche LokalpolitikerInnen der zweitgrössten türkischen Oppositionspartei HDP. In Istanbul verwüstete die Polizei die HDP-Parteizentrale. Und im Nordirak flogen türkische Militärjets erneut Angriffe gegen Stellungen der PKK.

Seit der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den Friedensprozess mit den KurdInnen begraben hat, folgt auf die Gewalt der einen Seite immer nur noch mehr Gewalt der anderen Seite. Anschläge wie derjenige vom Samstagabend sind nicht zu rechtfertigen. Doch die Regierung trägt zumindest die politische Verantwortung – schon allein deshalb, weil sie die Menschen in Istanbul (wieder einmal) nicht zu schützen vermochte. Nicht zuletzt rächte sich in diesem Fall wohl auch die Entlassungswelle im Staatsapparat.

Zugleich spielt das harte Vorgehen der Regierung den TerroristInnen in die Hände. Seit dem gescheiterten Militärputsch ist eine Hexenjagd auf kurdische PolitikerInnen im Gang. Inzwischen befindet sich die gesamte HDP-Führungsriege im Gefängnis. Die Repressionen schüren die Verzweiflung vieler KurdInnen und nähren damit auch den Hass auf das Regime. Gerade im Südosten des Landes, wo das Militär ganze Städte dem Erdboden gleichgemacht hat, treibt diese Politik so manch desillusionierten Jugendlichen in die Rekrutierungszentren der PKK. Und jeder neue Anschlag liefert der Regierung wiederum einen Vorwand, noch repressiver vorzugehen. So dreht sich die Gewaltspirale immer weiter, mit immer schwindelerregenderer Geschwindigkeit. Doch wo es einzig um Rache geht, rückt der Frieden in immer weitere Ferne.