Kleine Verwahrung: Weggesperrt, bis die Therapie nichts mehr bringt

Nr. 51 –

Bei der sogenannten kleinen Verwahrung liegt vieles im Argen. Eine Studie der Universität Bern zeigt: Es herrschen Willkür, Platzmangel und ein kontraproduktives Sicherheitsdenken.

StraftäterInnen haben keine Lobby, schon gar nicht StraftäterInnen, die verwahrt sind. Vor allem die sogenannte kleine Verwahrung schafft einen Schattenbereich, wo nicht mehr so genau hingeschaut wird, wer wie lange weggesperrt ist (siehe WOZ Nr. 50/2016 ).

Das Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Bern hat nun – im Auftrag der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter – in einer Studie untersucht, wie in der Schweiz die kleine Verwahrung angewendet wird.

Die kleine Verwahrung betrifft StraftäterInnen, die als psychisch gestört, aber therapierbar gelten und deshalb aufgrund von Artikel 59 des Strafgesetzbuchs zu einer stationären Massnahme verurteilt worden sind.

Das System macht krank

Für die Studie hat das Berner Institut 75 Fälle detailliert analysiert, Menschen, die in unterschiedlichen Gefängnissen und Massnahmezentren untergebracht sind. Das Ergebnis knapp zusammengefasst: Es herrschen Platzmangel und Willkür. Einige Kantone und Institutionen gehen mit den Betroffenen vorbildlich um, andere verwalten sie, fürchten sich vor der Öffentlichkeit, gewähren deshalb nur sehr restriktiv eine Lockerung des Vollzugs und nehmen in Kauf, gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) zu verstossen.

Es steht nicht explizit in der Studie, aber die zahlreichen prekären Fälle, die auf den über achtzig Seiten aufgelistet sind, machen deutlich: Es hat viel mit Glück zu tun, ob ein Verurteilter eine gute Therapie erhält und bald wieder draussen ist oder ob er für Jahre im System verschwindet, weil die Therapie verschlampt wird, er keine Fortschritte macht und man deshalb die sogenannte Massnahme immer und immer wieder verlängert.

Die Berner Studie schildert Fälle, die zeigen, dass das herrschende Strafsystem die Verurteilten manchmal kränker macht, als sie schon sind, weil man ihnen die dringend nötige Therapie vorenthält. In einem geschilderten Fall hätte der Verurteilte dringend in einer psychiatrischen Klinik behandelt werden sollen, doch fand sich nach dem rechtskräftigen Urteil während zweier Jahre keine Klinik, die ihn aufnahm. So blieb er über ein Jahr in einem Untersuchungsgefängnis, danach wurde er in eine Strafanstalt verlegt. Vor der Verurteilung hatte sich der Mann schon zwei Jahre in Untersuchungs- respektive Sicherheitshaft befunden. Er war also jahrelang in Haft, ohne dass er adäquat behandelt wurde.

Nach Meinung der StudienautorInnen verstösst dies gegen die EMRK, «da nach einer solch langen Zeit eine Vereitelung des Massnahmenzwecks droht» – anders ausgedrückt: Weil der Mann so lange nicht behandelt wurde, wird die Therapie, die er erst mit grosser Verzögerung bekam, vermutlich nichts mehr bringen.

Kein Interesse an Resozialisierung

Einige Fälle machen deutlich, dass die Resozialisierung gar nicht mehr angestrebt wird, was eigentlich gesetzeswidrig ist. Denn das Ziel der kleinen Verwahrung ist klar definiert: Der Täter soll lernen, «mit seiner Störung sozialverträglich umzugehen», damit er möglichst schnell wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden kann, wie in einem Merkblatt des Ostschweizer Strafvollzugskonkordats steht.

Oft zögern die zuständigen Behörden, eine Vollzugslockerung zu bewilligen, weil sie das Restrisiko scheuen: Jemand könnte im Freigang vielleicht doch ein Delikt begehen. Die «therapeutischen Massnahmen» nach Artikel 59 können aber nur erfolgreich sein, wenn die Verurteilten auch auf die Freiheit vorbereitet werden.

Das Sicherheitsdenken der Behörden führt manchmal zu einer absurden «zirkulären Argumentation», wie es die AutorInnen der Studie nennen: Ein Gefangener bekommt keine Hafterleichterung, weil er nicht mehr an die Freiheit gewöhnt ist. Wie aber will sich jemand an die Freiheit gewöhnen, wenn er keine Vollzugslockerung gewährt bekommt?

Da kann die kleine Verwahrung faktisch in eine lebenslängliche Verwahrung übergehen, wie die Studie in einem konkreten Fall schildert. Der Verurteilte beging seine Tat vor über zwanzig Jahren. Auf therapeutischer Ebene werde lobend erwähnt, er habe viel erreicht, trotzdem darf er nur begleitet in den Urlaub. Es falle auf, schreiben die StudienautorInnen, dass eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft in diesem Fall gar nicht mehr angestrebt werde. Die Behörden argumentierten, es sei schwer möglich, ein realistisches Integrationsziel zu nennen, da der Insasse nach Ablauf der Massnahmenverlängerung 65 Jahre alt sein werde.

Offensichtlich geht man davon aus, dass RentnerInnen kein normales Leben in Freiheit mehr aufbauen können. Was seltsam anmutet, da Verurteilte es für gewöhnlich schwer haben, sich wieder einzugliedern, gerade weil sie nach dem Gefängnis kaum einen Job finden.

Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter, die vom Bundesrat eingesetzt ist, hat sich zur Studie selbst noch nicht geäussert. Sie wird aber nach eigenen Angaben Anfang 2017 Empfehlungen zu diesem Thema publizieren.

Jonas Weber, Jann Schaub, Corinna Bumann, Kevin Sacher: «Anordnung und Vollzug stationärer therapeutischer Massnahmen gemäss Art. 59 StGB mit Fokus auf geschlossene Strafanstalten bzw. geschlossene Massnahmeneinrichtungen». Bern 2016.