Fussball und andere Randsportarten: Songs statt Nationen

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Etrit Hasler über nationale Identitäten und Hymnen

Es gibt wenig, mit dem man in der Schweiz das Sportpublikum so auf die Palme treiben kann, wie wenn sich einE SportlerIn, der oder die hier lebt, dafür entscheidet, für die Nationalmannschaft oder das olympische Kader einer anderen Nation anzutreten. Die Diskussionen darüber, ob Valon Behrami, Xherdan Shaqiri oder Granit Xhaka dereinst vielleicht für den Kosovo spielen dürften, hielten zumindest das grösste Boulevardblatt des Landes einen ganzen Sommer bei der Stange. Zwar gipfelten diese bisher noch nicht in der politischen Forderung der Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft, wie das derzeit in Deutschland diskutiert wird, aber das ist wohl nur eine Frage der Zeit.

Dabei haben diese beiden Themen eigentlich gar nichts miteinander zu tun. AthletInnen beantworten die Frage, für welches Land sie antreten wollen, nach denselben Kriterien wie die Frage, für welchen Klub sie spielen wollen – nicht nach nationalistischen, sondern nach Kriterien der Karriereplanung, so wie dies zum Beispiel Mladen Petric einst getan hat. Doch viel bedeutender als dieser subjektive Grund ist der folgende: Die Nationalität muss überhaupt nichts mit dem olympischen oder dem Landesverband zu tun haben.

Paradebeispiel dafür ist natürlich das Vereinigte Königreich, das sich je nach Sportart keinen Deut darum schert, wo seine Landesgrenzen sind. In vielen Sportarten, darunter Fussball und Darts, tritt die Nation mit den vier Mannschaften der autonomen Gliedstaaten England, Wales, Schottland und Nordirland an, im Rugby sind es noch die drei von der grossen Insel stammenden Teams, während das olympische Team jeweils diese drei gleich ganz zusammenfasst und als Team Great Britain auftritt. Nun gut, mag man argumentieren, das ist immer noch ein Team pro Staat im Maximalfall.

Den umgekehrten Weg gehen jedoch die IrInnen. Da das irische olympische Komitee gemäss der olympischen Charta die gesamte Insel umfasst, dürfen unter ihrer Flagge sowohl BürgerInnen der Republik Irland als auch des United-Kingdom-Gliedstaats Nordirland antreten. Die Regelung betrifft nicht nur die Olympischen Spiele, sie wurde seit der Unabhängigkeit Irlands 1922 auch auf diverse andere Sportveranstaltungen ausgeweitet, etwa jene der diversen irischen Rugbyteams.

Dass dies nicht ganz reibungslos verlaufen kann, liegt bei der schwierigen Geschichte der Inseln auf der Hand. Insbesondere an der Frage, mit welcher Flagge und – noch emotionaler – mit welcher Hymne die Mannschaft jeweils einlaufen soll, scheiden sich die Geister teilweise bis heute. So wurde bis in die neunziger Jahre bei Heimspielen in Dublin jeweils die irische Nationalhymne «Amhrán na bhFiann» (Lied der Soldaten) gespielt, bei Heimspielen in Belfast die britische Hymne «God Save the Queen» (die übrigens auch bis 1961 als Nationalhymne der Schweiz doubelte).

1995 gab der irische Rugbyverband beim Songwriter Phil Coulter eine Komposition in Auftrag, die als Hymne für beide Inselteile funktionieren soll – mit Erfolg. Coulter hatte unter anderem «Puppet on a String», den Siegersong des Eurovision Song Contest 1967, geschrieben. Das daraus resultierende «Ireland’s Call» wurde seither nicht nur von den Rugbyteams übernommen, sondern wird auch bei Hockey-, Cricket- und Korbballmatches gespielt.

Worauf ich damit eigentlich hinauswill: Anstatt uns alle paar Monate wieder zu fragen, zu wem denn die ganzen Kosovaren, Kroaten, Serben und Thurgauer, die unser Land (speziell, aber nicht nur) im Fussball repräsentieren, eigentlich «wirklich» gehören, wäre es doch eigentlich viel sinnvoller, unsere Verbände zu erweitern und sie grundsätzlich allen SportlerInnen aus benachteiligten Regionen offenstehen zu lassen. Anscheinend braucht es dafür nur einen Song. Wir könnten ja Lara Stoll fragen. Oder Jack Stoiker. Bessere Eurovision-Songs als die beiden hat in diesem Land jedenfalls noch niemand geschrieben.

Etrit Hasler empfiehlt zum Anhören: Jack Stoiker, «Di Tütsche sind blöd», und Lara Stoll, «Europa (Neurodance)». Beide Songs wurden unverständlicherweise vom Schweizer Fernsehen abgelehnt und sind auf Youtube zu finden: www.youtube.com/watch?v=WljSYauYirs und www.youtube.com/watch?v=PPshqC6je5Q