Linker Populismus: Jeremy Corbyns kühner Sinneswandel

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Nachdem es in den vergangenen Monaten auffällig still geworden war um Jeremy Corbyn, begann der Labour-Chef das neue Jahr kühn: Zunächst trieb er die Regierung wegen verheerender Engpässe in der Notfallmedizin in die Defensive. Und am Dienstag sorgte er für Schlagzeilen, als er in einer Rede zum Brexit für eine Beschränkung der höchsten Löhne plädierte. Jede Firma, die einen öffentlichen Auftrag will, soll ihrem Direktor maximal das Zwanzigfache des tiefsten Lohns zahlen dürfen, so der Politiker.

Corbyn scheint fürs neue Jahr einen Plan zu haben: Den Populismus von rechts will er mit einem ebenso wirksamen Populismus von links kontern. Bernie Sanders hat mit seinen Attacken gegen die Exzesse der Wall Street gezeigt, wie erfolgreich eine solche Politik sein kann. In Britannien, wo die Einkommensungleichheit höher ist als praktisch im gesamten Rest Europas, wird Corbyn mit der Forderung nach einem Maximallohn viele Leute ansprechen – gerade auch Brexit-AnhängerInnen. Ebenso entscheidend ist, dass der Parteichef damit jene prinzipienfeste Politik weiterführt, mit der er zwei überwältigende Wahlerfolge erzielte: den Einsatz für eine faire Gesellschaft und die Bereitschaft, den neoliberalen Konsens direkt herauszufordern.

Genau hier liegt das Problem einer Aussage, die Corbyn in der gleichen Rede machte: Labour fühle sich der Personenfreizügigkeit nicht aus Prinzip verpflichtet, sagte er. Damit widerspricht der 67-Jährige so ziemlich allem, was er in den vergangenen Jahrzehnten gesagt hatte. Bei aller Kritik an der EU setzte sich Corbyn stets für offene Grenzen ein. Auch in den Monaten nach dem EU-Referendum weigerte er sich, für eine Kontrolle der Immigration einzustehen, um Ukip-Wähler und Brexit-Anhängerinnen zurückzugewinnen.

Zwar versuchte Corbyn klarzustellen, dass er sich in erster Linie für ein Ende des Lohndumpings einsetzen wolle, wodurch die Einwanderung automatisch beschränkt würde. Aber der Sinneswandel bezüglich der Personenfreizügigkeit, sollte er denn definitiv sein, wird die Labour-Basis bitter enttäuschen, während er auf Ukip-WählerInnen kaum Eindruck machen wird.

Wer sich einer linkspopulistischen Strategie verschreibt, darf rechten Populismus nicht kopieren. In einem Land, in dem der Gesundheitsdienst darbt, in dem Millionen Angestellte in schlecht bezahlten Jobs schuften, das unter einem katastrophalen Mangel an bezahlbarem Wohnraum leidet und in dem Milliarden von Pfund in Steuerschlupflöchern verschwinden, gibt es schliesslich keinen Mangel an Themen, die sich anbieten würden.