Petina Gappah: «Ich mag es, Menschen zuzuhören»

Nr. 2 –

Nach einem Roman und einem Kurzgeschichtenband arbeitet die simbabwische Autorin und Juristin Petina Gappah an einem Buch über die Diener des Afrikaforschers David Livingstone. Ein Gespräch über ihre Werke, ihr Ohr für Dialoge und ihr Schreiben über Kriminalität.

Petina Gappah: «Indem man einfach die Wahrheit erzählt, wird es ein politischer Roman, obwohl es nie ein politischer Roman hätte sein sollen.» Foto: Gary Doak, Alamy

WOZ: Petina Gappah, in Ihrem Roman «Die Farben des Nachtfalters» erzählen Sie gleich drei Geschichten: die der Hauptfigur Memory aus dem Gefängnis heraus, die in der Gegenwart spielt, die Rückschau auf eine besondere Beziehung zwischen einem jungen Mädchen und einem älteren Mann, die in der Vergangenheit spielt, und die Geschichte über ein Familiengeheimnis, die in Vergangenheit wie Gegenwart angesiedelt ist. Inwieweit ist Ihr Roman auch ein politischer Roman über Simbabwe an sich?
Petina Gappah: Das ist eine wirklich schwierige Frage. Wenn man als Autorin über Figuren schreibt, die in einem Land wie Simbabwe leben, das weltweit wegen seiner politischen Krise bekannt ist, dann ist es sehr schwierig, der politischen Realität zu entkommen. Ich wollte aber keinen politischen Roman schreiben, und das Buch ist auch nicht als solcher angelegt. Aber es wäre unehrlich, über das Leben im Gefängnis zu schreiben, ohne zu thematisieren, dass es erhebliche Ungerechtigkeiten gibt. Es wäre unehrlich, über die Lebensbedingungen im Gefängnis zu schreiben, ohne zu erwähnen, dass die Gefangenen nur sehr wenig zu essen haben. Indem man einfach die Wahrheit darüber erzählt, wie das Gefängnisleben aussieht, wird es ein politischer Roman, obwohl es nie ein politischer Roman hätte sein sollen.

Die weibliche Hauptfigur, Memory, ist eine Albinofrau, was aber im Roman an sich keine besonders grosse Rolle spielt …
Mein Buch ist kein Roman über Albinismus, es ist kein Themenroman. Es ist ein Roman, in dem eine Figur Albinismus hat. Der Albinismus erklärt einige der Reaktionen aus der Umgebung auf Memory, und er erklärt, warum ihre Familie so handelt, wie sie handelt – weil sie denkt, dass ihr Aussehen ein Zeichen ist, eine Bedeutung hat. In dieser Hinsicht ist der Albinismus ein Handlungsträger. Ich wollte über eine isolierte Person schreiben, die sehr stark in ihrem Innenleben verhaftet ist, die im Gefängnis sitzt und mit dem Aberglauben aller um sich herum konfrontiert ist. Der Albinismus ermöglichte mir, einige Züge ihres Charakters zu betonen.

Ihr Stil ist sehr lebendig, sehr nahe am Mündlichen. Wie machen Sie das?
Mich interessiert, wie Menschen sprechen. Ich mag es, Menschen zuzuhören und Rollen durchzuspielen. Wenn ich schreibe, lese ich das immer laut, weil ich möchte, dass die Dialoge natürlich klingen. Ich möchte nicht, dass sie gestelzt wirken. Mich inspiriert dabei eine meiner Lieblingsautorinnen, Zadie Smith, die britische Autorin, die ein brillantes Ohr für Dialoge hat. Und sie schreibt perfekt so, wie Menschen sprechen. Es ist mein Prinzip, meine Dialoge dahin zu überprüfen, ob man wirklich so redet. Ich halte es für sehr wichtig, so zu schreiben, wie ich Simbabwer sprechen höre. Es gibt viele Slangausdrücke und solche aus der Shona-Sprache in meinen Dialogen, und das, hat sich gezeigt, gefällt den Simbabwern – meine Dialoge wurden dort sehr gelobt.

Sie sind in einem Dorf in der Copperbelt-Provinz im Norden Sambias zur Welt gekommen, haben im britischen Cambridge, in Harare und in Graz studiert, bis vor kurzem in Genf gelebt und sind dann wieder nach Harare gezogen. Wo leben Sie zurzeit?
Ich weiss es ehrlich gesagt selber nicht. Mein Erstwohnsitz wird immer in Simbabwe sein. Ich habe keinen anderen Pass, und ich habe ein Haus in Simbabwe – Simbabwe wird immer meine Heimat sein. Aber im Augenblick reise und schreibe ich sehr viel – ich arbeite an einem Roman über den schottischen Afrikaforscher David Livingstone, «The Last Journey». Deshalb werde ich drei Monate in Edinburgh sein, hauptsächlich in der Schottischen Nationalbibliothek, denn ich möchte mir seine Aufzeichnungen ansehen. Anschliessend werde ich weitere drei Monate irgendwo in Europa sein, Paris vielleicht. Und dann komme ich nach Berlin.

Ihr Buch über David Livingstone – wird das ein historischer Roman, ein Sachbuch oder ein zeitgenössischer Roman?
Es geht darum, dass Livingstone nach seinem Tod – er starb ja an einem Ort im heutigen Sambia – von seinen Begleitern präpariert und in mehr als neun Monaten nach Tansania zur Küste gebracht wurde, damit er in England beerdigt werden konnte. Ich schreibe über die Geschichte dieser Reise. Warum hatten seine Begleiter so entschieden, was geschah während der Reise? Ich will diese historischen Personen in Erinnerung rufen, die weitgehend vergessen sind. Schon als ich jung war, war ich fasziniert von diesen Persönlichkeiten: Livingstones Dienern James Chuma, Abdullah Susi und Jacob Wainwright. Und als ich als Anwältin in Genf zu arbeiten begann, sammelte ich relevantes Material über Livingstone und den Journalisten Henry Morton Stanley: alte Buchausgaben, alte Zeitungen. Und ich wollte schon immer diesen Roman schreiben – ich habe die ganzen Daten noch auf Floppy Disk, so lange ist das schon her! Damals als noch unerfahrene Autorin dachte ich, mir fehle dazu die Reife oder die Fähigkeit, daraus meinen ersten Roman zu machen. Also schrieb ich Kurzgeschichten, schrieb den Roman «Die Farben des Nachtfalters», und ich schrieb mein drittes Buch, die Kurzgeschichtensammlung «Rotten Row», die im November erschienen ist – und jetzt fühle ich mich bereit, diesen Roman zu schreiben.

«Rotten Row» ist Ihr zweiter Kurzgeschichtenband nach «Elegy for the Easterly» …
Ach herrje, «Elegy for the Easterly» ist schon so lange her, 2009, es war mein erstes Buch. Es ist zufällig entstanden und war gar nicht als Buch angelegt – ich hatte achtzehn Monate lang Kurzgeschichten geschrieben, und dann schlug meine Agentin vor, sie in einem Buch zusammenzustellen. Es unterscheidet sich sehr vom Kurzgeschichtenband, den ich jetzt herausbringe und von dem ich ganz begeistert bin. «Rotten Row» ist, glaube ich, das Beste, was ich bisher geschrieben habe. Es sind zwanzig Kurzgeschichten über Verbrechen in Simbabwe – aus allen möglichen Perspektiven. Dieses Buch ist zusammenhängender als alles andere, was ich geschrieben habe, sogar zusammenhängender als «Die Farben des Nachtfalters».

Sie beschreiben darin die vielfältigen Formen von Kriminalität in Simbabwe.
Ich schreibe über verschiedene Aspekte von Kriminalität, von kriminellem Verhalten und von den Folgen von Kriminalität. Ich schreibe aus der Sicht eines Henkers, eines Verbrechensopfers, eines unbeteiligten Zeugen …

Haben Sie sich dazu von Ihrer Arbeit als Rechtsanwältin inspirieren lassen?
Nein, überhaupt nicht! Ich bin keine Strafverteidigerin. Ich habe noch nicht einmal als Anwältin in Simbabwe gearbeitet. Ich befasse mich mit internationalem Handelsrecht, ich berate Regierungen von Entwicklungsländern in Asien, Lateinamerika und Afrika in Handelspolitik und Handelsgesetzen. So gesehen probiere ich neue Fähigkeiten aus, indem ich mir vorstelle, ich wüsste etwas über Kriminologie.

Die simbabwische Autorin Petina Gappah (45) studierte Rechtswissenschaften an der University of Zimbabwe und in Cambridge und promovierte an der Universität in Graz. Sie arbeitet als Juristin und Journalistin in Genf und wird in diesem Jahr Gast des Berliner Künstlerprogramms DAAD sein.

Petina Gappah: Die Farben des Nachtfalters. Roman. Aus dem Englischen von Patricia Klobusiczky. Arche Verlag. Zürich, Hamburg 2016. 346 Seiten. 29 Franken

«Die Farben des Nachtfalters» : Erinnerungen aus dem Gefängnis

Memory sitzt seit zwei Jahren, drei Monaten, sieben Tagen und dreizehn Stunden im Chikurubi-Gefängnis in der simbabwischen Hauptstadt Harare ein, als sie beginnt, ihre Geschichte aufzuschreiben. Man wirft ihr vor, Lloyd Hendricks, einen Weissen, der sie mit neun Jahren aufgenommen und in dessen Landhaus Summer Madness sie lange gelebt hat, getötet zu haben. Nach Nächten der Folter hat sie ein Geständnis unterzeichnet, sie wird zum Tode verurteilt. Viel zu spät betreibt ihre Anwältin das Berufungsverfahren und bringt sie mit einer US-amerikanischen Journalistin in Kontakt, die eine Reportage über sie schreiben will. Für sie versucht sich Memory zu erinnern.

Das Besondere an Memory ist, dass sie ein Albinomädchen ist. Ihre spezifische weisse Haut macht sie in einer Umgebung, die auf Hautfarben fixiert ist, zur Aussenseiterin. Arm und ohne Angehörige, versucht Memorys Vater, seine Kinder vor der unberechenbaren Mutter zu schützen. Der älteste Sohn starb als Säugling, die Jüngste ertrinkt unter mysteriösen Umständen. Memory wird von einem Traum vom Ertrinken verfolgt und einer Schimäre, die noch im Gefängnis die Stimme ihrer Mutter in Erinnerung ruft. Schliesslich wird das Mädchen, obwohl ihr das später niemand glaubt, an Hendricks verkauft. Sie hat als Neunjährige miterlebt, wie das Geld die Seiten wechselte. Es ist ein Trauma, das ihr Leben mit diesem Fremden in einer weissen Umgebung bestimmen wird.

Petina Gappah erzählt in «Die Farben des Nachtfalters» aus der Sicht Memorys alternierend aus der stupiden und gewalttätigen Gegenwart des Gefängnisses und der Vergangenheit in der Township, deren Lärm und Lebendigkeit sich von der späteren Stille von Summer Madness nicht deutlicher abheben könnte. Memorys traumatisch verschlossene Erinnerungen werden erst zaghaft, dann immer farbiger ins Bewusstsein gehoben, da ist der Geschmack von Brausepulver oder geklauten Pfirsichen oder der Schmerz der ungepflegten rissigen Haut, wenn das Sonnenlicht sie trifft. Gappah berichtet von einem Land, das in schweren Kämpfen zwar die Unabhängigkeit errungen hat, nun aber vom Nebeneinander von christlichem Fundamentalismus und atavistischem Aberglauben, von Gewalt und Misswirtschaft geprägt ist.

Ulrike Baureithel