Mark Fisher (1968–2017): Zukunft war gestern

Nr. 3 –

Zum Interview wartete er an der Endstation: Felixstowe, ein Provinznest mit riesigem Frachthafen in Suffolk. Hier lebte der Kulturtheoretiker Mark Fisher mit seiner Familie, weil London für ihn nicht mehr zu ertragen war, diese neoliberale Metropole par excellence, aufgeblasen zur gigantischen Simulation einer Produktivität, die nichts produziert, «eine ganze Ökonomie aus heisser Luft und fadem Delirium».

So schrieb er in seinem Essayband «Gespenster meines Lebens» (2015), wo er die geisterhaften Sounds von Burial und Filme wie «Memento» umkreiste, um die Gedächtnisstörung als kulturelle Pathologie unserer Gegenwart festzumachen. «Die Zeit hat ihren Geschmack verloren», sagte er im WOZ-Gespräch, zwei Stunden in einem Café mit Meerblick. Wer aber die Retromanie unserer Popkultur bloss für nostalgisch halte, unterliege einem fatalen Denkfehler. Unser Problem, so Fisher, sei nicht «die Sehnsucht nach der Vergangenheit, sondern die Unfähigkeit, ihr zu entkommen».

Seine Analysen als Popkritiker speisten sich aus einer politischen Enttäuschung: der Einsicht, dass das, was er «kapitalistischen Realismus» nannte, zur herrschenden Ideologie unserer Zeit geworden ist. Mitgemeint war dabei der falsche Pragmatismus einer Linken, die Margaret Thatchers Diktum, wonach der Kapitalismus ohne Alternative sei, schleichend verinnerlicht hat. Wer sich aber das Denken in Alternativen abgewöhnt, macht sich auch keinen Begriff von der Zukunft mehr.

Auch die Depressionen, an denen Fisher seit seiner Jugend litt, dachte er stets politisch. Er plädierte für eine Repolitisierung psychischer Krankheiten – gegen die neoliberale Ordnung, die das Subjekt für sein Leid allein verantwortlich mache. Einem bequemen linken Kulturpessimismus hielt er dabei sein Denken in Melancholie entgegen: als Weigerung, sich mit dem Verlust der Zukunft abzufinden.

Am 13. Januar hat sich Mark Fisher das Leben genommen. Und unsere Zeit hat mit ihm noch etwas mehr von ihrem Geschmack verloren.

Das Interview mit Mark Fisher in der WOZ Nr. 8/2015 finden Sie unter www.woz.ch/-5a08. Sein letztes, dieser Tage erschienenes Buch «The Weird and the Eerie» werden wir zu gegebener Zeit besprechen.