Einbürgerungsgeschichten: Früher waren die Italiener gefährlich

Nr. 5 –

Sollen junge AusländerInnen der sogenannten dritten Generation erleichtert eingebürgert werden? Und was verbindet ItalienerInnen mit MuslimInnen? Historikerin Francesca Falk blickt zurück und erzählt von persönlichen Erfahrungen.

Ich wurde als Schweizer Staatsbürgerin in St. Gallen geboren. Kurz vor meiner Volljährigkeit kam ich über meine Mutter in Besitz der italienischen Staatsbürgerschaft. Wäre mein Vater Italiener und meine Mutter Schweizerin gewesen, hätte ich mein Leben nicht als «Eidgenossin» begonnen. Aufgewachsen bin ich in einem Ostschweizer Städtchen an der Grenze zu Österreich. Dies war auch der Ort, wo mein Vater aufwuchs und wo sowohl sein Vater als auch seine Mutter ihre Familiengenealogie bis in das 17. Jahrhundert zurückverfolgen können.

Als Ortsbürgerin war ich Teil jenes kleinen Kreises, der in erster Instanz über die Einbürgerungsgesuche zu entscheiden hatte. Ich erinnere mich, wie bei einer ehemaligen Schulkollegin aus Bosnien (wir hatten die ganze Primarschule gemeinsam besucht) aus unerfindlichen Gründen nur sie und der ältere ihrer beiden Brüder, nicht aber ihre Eltern und der jüngere Bruder zur Einbürgerung zugelassen wurden. Solche Entscheidungen brauchten damals keine Begründung: Wer die staatsbürgerliche Grenze kontrollierte, musste sich nicht rechtfertigen.

In zweiter Instanz befand die Einwohnergemeinde über die von der Ortsgemeinde zur Einbürgerung Zugelassenen. Zur Vorbereitung wurden jeweils Broschüren an alle Wahlberechtigten verschickt, in denen die Einbürgerungswilligen vorgestellt wurden. Dass jemand mit den Verwandten in der Heimat noch in Kontakt stand, wurde negativ vermerkt. Was wäre wohl bei mir gestanden? Schliesslich reisten wir mindestens einmal pro Jahr nach Italien und pflegten zu den Nonni, den zwei Onkeln und zwei Tanten eine sehr enge Beziehung.

Heute sieht dieses Prozedere anders aus. Weil wir dies erkämpft haben. Doch wir sind noch lange nicht da, wo wir sein sollten.

Bedrohte «Schweizer Eigenart»

In Kürze stimmen wir über die erleichterte Einbürgerung für Junge der dritten Generation ab. Eine moderate, aber dennoch nicht zu vernachlässigende Vorlage. Sechzig Prozent jener, die davon profitieren würden, sind heute offenbar Italienerinnen und Italiener der dritten Generation. Doch das ist nicht der springende Punkt: Egal, wer zu dieser Drittgeneration gehört, der Vorlage ist in jedem Fall zuzustimmen. Es ist nicht unser Verdienst, mit welcher Nationalität wir geboren werden. Und ja, die Einteilung in «gute Italiener» und «böse Araber/Afrikaner» ist rassistisch.

Gerade vor diesem Hintergrund ist es wichtig zu wissen, dass das Stereotyp des patriarchalen und gefährlichen Muslims und der unterdrückten Muslimin Züge aufweisen, die aus einer historischen Perspektive allzu vertraut erscheinen. In den öffentlichen Debatten der sechziger Jahre spielte die religiöse Zugehörigkeit von Migrierenden aus der Türkei oder bestimmten Gebieten des ehemaligen Jugoslawien in der Schweiz kaum eine Rolle. Doch wurden damals italienische Staatsangehörige oft in einer ähnlichen Weise dargestellt wie heute die muslimische Bevölkerung.

Da die italienischen Familien als fruchtbarer galten als die schweizerischen, wurde befürchtet, dass eine «Italianisierung» der Schweizer Bevölkerung nicht verhindert werden könne und dass die «Schweizer Eigenart», «wahrlich auch ein kultureller und geistiger Beitrag an Europa» (Parteizeitung der Nationalen Aktion, 1972), untergehen werde. Darüber hinaus galten im Land des Soldatenmessers Italiener als gefährlich, weil sie Stellmesser auf sich trügen. Missbilligt wurden die schwarzen Trauerkleider mancher italienischer Witwen und die Schleier, die einige Italienerinnen in der Kirche trugen.

Italienische Migrierende nutzten zudem gerne die Bahnhöfe als Treffpunkte. Solche Zusammenkünfte wurden kritisch betrachtet, und zwar auch deshalb, weil italienische Männer den Ruf hatten, Schweizerinnen sexuell zu belästigen. 1983 weigerte sich etwa eine Imbissstube in der Stadt Wil, die Italiener im vorderen Teil der Räumlichkeiten sitzen zu lassen – mit der Begründung, dass unbegleitete Frauen es sonst nicht mehr wagen würden, einzutreten.

Unabhängig von den eklatanten Mängeln der Schweizer Gesellschaft hinsichtlich der Geschlechtergleichheit (das fehlende Frauenstimmrecht ist dabei nur das bekannteste Element) wurden italienische Familien oft als patriarchalisch charakterisiert. Bemerkenswerterweise findet sich auch bereits damals die Vorstellung der «isolierten fremden Frau» wieder. In einem 1976 von der Eidgenössischen Konsultativkommission für das Ausländerproblem veröffentlichten Bericht wurde beispielsweise anerkannt, dass die Erwerbsquote bei verheirateten ausländischen Frauen viel höher war als bei Schweizerinnen. Dennoch hätten, so der Bericht, Frauen aus den südlichen Regionen wenig Möglichkeiten zu Kontakt mit der Aussenwelt.

All diese Beispiele bedeuten natürlich nicht, dass es keine Unterschiede gibt zwischen der damaligen Darstellung der italienischen und der gegenwärtigen Repräsentation der muslimischen Migration. Zum Beispiel wurden italienische Staatsangehörige nicht auf ihre Religion reduziert, ihr Bild oszillierte vielmehr zwischen Konservatismus und Kommunismus. Darüber hinaus wurden ItalienerInnen nicht so eng mit dem Thema Terrorismus verknüpft, wie es heute bei der muslimischen Bevölkerung der Fall ist, auch wenn die in der Schweiz arbeitenden italienischen KommunistInnen insbesondere zu den Zeiten der Brigate Rosse nicht selten als Sicherheitsbedrohung galten.

Nichtsdestoweniger hat die italienische Migration unseren Lebensalltag nachhaltig geprägt. Heute sind wir alle «Spaghettifresser». Wir schlürfen unseren Espresso im Strassencafé – und selbst die Älplermagronen, das traditionelle Schweizer Sennengericht, das gerne auf dem Speiseplan der Armee steht, wurde erfunden, als die italienischen Gotthardtunnelarbeiter Teigwaren in die Schweiz brachten. Selbst den Ausbau einer Kita-Infrastruktur verdanken wir in der Schweiz zu einem grossen Teil der Nachkriegsmigration, wie ich in einer kürzlich fertiggestellten Studie aufzeige.

Qualität der Demokratie nimmt ab

Doch zurück zur Einbürgerungsfrage. An jener Sitzung, als die Eltern und der Bruder meiner Schulkollegin von der Ortsgemeinde nicht zur Gemeindeabstimmung zugelassen wurden, waren wir vielleicht zwanzig Personen, die darüber (und über ähnliche Gesuche) befinden konnten. Wir sassen hintereinander, und alle konnten sehen, wie jene, die vor einem platziert waren, ihren Abstimmungszettel ausfüllten. Ich erinnere mich, wie eine Familie, die vor uns sass, bei allen Einbürgerungskandidierenden das Kreuz beim Nein setzte, wohl aus Prinzip.

Durch eine erleichterte Einbürgerung schaffen wir ein Mehr an Demokratie. Davon profitieren nicht nur die so Einzubürgernden, sondern wir alle. Denn der Ausschluss vom BürgerInnenstatus unterminiert die demokratische Deckungsgleichheit zwischen jenen, die politische Herrschaft ausüben, und jenen, die der politischen Herrschaft unterstehen. In dieser Hinsicht hat sich die Qualität unserer Demokratie in den letzten Jahrzehnten sehr verschlechtert.

Nicht zuletzt dagegen gilt es, schleunigst etwas zu unternehmen. Denn Apartheid kommt schneller, als wir denken.

Francesca Falk (40) ist promovierte Historikerin. Im Moment untersucht sie die Vermittlung italienischer Arbeitskräfte an Schweizer Bauern zwischen 1945 und 1965.