Unternehmenssteuerreform III: Eine reine Frechheit

Nr. 5 –

Ein kleines Bekenntnis vorweg: Als ich ein junger Wirtschaftsstudent war, glaubte ich an die Wunder des Steuerwettbewerbs. Er zwinge Regierungen, gerade so viel Geld einzutreiben, wie sie wirklich brauchen, das schienen die Modelle, die ich stundenlang durchrechnen musste, klar zu belegen. – Eine Heiligsprechung der Schweiz, die den Steuerwettlauf seit Jahrzehnten zuvorderst mitantreibt. Mit der Unternehmenssteuerreform III, über die in wenigen Tagen abgestimmt wird, würde das Land nochmals einen draufsetzen.

In Wahrheit ist die Schweiz mitverantwortlich für eines der grössten Probleme unserer Zeit: Während die Entfesselung des Kapitalismus in vielen Ländern die Ungleichheit verschärft, entzieht der Steuerwettlauf den Staaten zunehmend die Mittel, um die sozialen Gegensätze zu bekämpfen. Das Resultat: Die Regierungen müssen sich verschulden. Seit 1980 sind die Schulden der zwanzig reichsten Länder (G20) von 41 auf 113 Prozent des Bruttoinlandsprodukts geklettert. Mit der Finanzkrise 2008 ist diese Schuldenblase fast geplatzt – das hat die Welt an den Abgrund geführt. Und irgendwann wird die Blase richtig platzen.

Die Wirtschaftskrise, in der die Welt steckt, legt den Boden für den Aufstieg der Le Pens, Petrys und Trumps, die die Welt mit ihrem Hass überdecken – und in deren Schatten inzwischen regelmässig Moscheen in Flammen aufgehen. In einigen Ohren mag das pathetisch klingen: Doch inzwischen fragt man sich als Vater oder Mutter mit zunehmender Sorge, in was für eine Zukunft man seine Kinder da schickt.

Die grossen Profiteure des Steuerwettlaufs sind die AktionärInnen, die Milliarden dazuverdienen. Allerdings hat auch die Schweiz als Ganzes bisher gut davon gelebt: Dank Firmenansiedlungen ist das Steueraufkommen aus Unternehmen seit 1990 trotz Steuersenkungen von 7,5 auf 20 Milliarden Franken gestiegen. Vom Mittelstand an abwärts haben alle mitprofitiert. Doch die Rechnung geht nicht mehr auf: Seit 2008 stagnieren die gesamtschweizerischen Steuern von Firmen beinahe – in Basel-Stadt, Glarus oder Luzern sind sie sogar regelrecht eingebrochen. Kein Wunder: Inzwischen locken auch andere Länder mit tiefen Steuern. Hinzu kommen die wirtschaftlichen Folgen der Finanzkrise – die wiederum durch den Steuerwettbewerb mitverschuldet wurde.

Die Schweiz könnte sich für eine globale Steuerharmonisierung starkmachen. Mit der vorliegenden Steuerreform ergreift sie jedoch die hirnlose Flucht nach vorn: 2015 schlug der Bundesrat vor, Steuerprivilegien, die die Schweiz auf ausländischen Druck hin streichen muss, durch neue zu ersetzen. Um die Ausfälle etwas aufzufangen, sollte die letzte Reform von 2008, seit der Grossaktionäre nur noch die Hälfte ihrer Dividenden versteuern müssen, ein Stück weit rückgängig gemacht werden. Doch die bürgerliche Parlamentsmehrheit will das Maximalprogramm: Sie strich die Ausfallkompensation fast vollständig und packte die zinsbereinigte Gewinnsteuer oben drauf. Nun, da auch die Schweiz im Steuerwettlauf an Grenzen stösst, scheint auch der letzte Rest ihrer Kompromissfähigkeit verflogen zu sein.

In der heutigen Form wird die Reform laut Schätzungen der Kantone über drei Milliarden Franken kosten. Bezahlen werden das alle vom Mittelstand an abwärts – in Form von Steuererhöhungen und Sparmassnahmen bei der Kultur, der sozialen Sicherheit oder der Bildung.

Um der Steuerreform dennoch zu einem Ja zu verhelfen, schreckt unter anderem auch SVP-Finanzminister Ueli Maurer nicht vor Trump-Methoden zurück: Im «Blick» behauptete er etwa, dass seit der Umsetzung der letzten Reform von 2008 die Einnahmen von Firmen stärker zugenommen hätten als jene von natürlichen Personen. Das stimmt für die Einnahmen des Bundes, doch die Steuerreform betraf vor allem die Kantone. Nimmt man diese hinzu, sind die Einnahmen von Firmen weniger stark gestiegen als jene der natürlichen Personen.

Was Bundesrat Maurer und das Parlament mit der vorliegenden Unternehmenssteuerreform bieten, ist keine bürgerliche Politik mehr. Es ist nur noch eine Frechheit.