Asyl und Sozialdemokratie: Mario Fehr plagt Menschen

Nr. 6 –

Das Irrlichtern geht weiter. In Malta trafen sich am vergangenen Freitag die Regierungschefs der EU, um Massnahmen gegen die «illegale Migration aus Afrika» zu treffen. Seit die Balkanroute letzten Frühling geschlossen wurde, ist das Mittelmeer wieder zur Hauptroute für Menschen auf der Flucht nach Europa geworden. Nun will das reiche Europa die Mittelmeerroute dichtmachen. In Libyen werden schutzsuchende Menschen unterdessen in Lagern gefangen gehalten, in denen laut Menschenrechtsorganisationen gefoltert, getötet, vergewaltigt wird. Hauptsache, wir müssen uns nicht kümmern.

Auch in der Schweiz herrscht ein Geist der Abwehr. Im Jahr 2016 wurden so viele Menschen in andere Staaten abgeschoben wie noch nie. Die meisten von ihnen fängt das Grenzwachtkorps des Bundes bereits bei der Einreise ab – um sie umgehend zurückzuschaffen. Der Bund setzt zudem die Kantone unter Druck, damit sie die Schraube gegenüber abgewiesenen Asylsuchenden anziehen.

Von gewählten SozialdemokratInnen erwartete man eigentlich, dass sie sich in diesem zunehmend repressiven Klima zur Wehr setzen – und für humanitäre Werte einstehen. Nicht so Mario Fehr. Einmal mehr erweist sich der Zürcher Justizdirektor als beflissener Streber, der in seinem Kanton in vorauseilendem Gehorsam die schärfsten Regeln erlässt. Seit dem 1. Februar müssen sich abgewiesene Asylsuchende im Kanton Zürich schikanösen Vorschriften unterordnen. Fehr lässt Nothilfeleistungen nur noch auszahlen, wenn sich die Betroffenen morgens und abends in der zugewiesenen Unterkunft melden. Bisher konnten die Nothilfeempfänger die ihnen täglich zustehenden acht bis zehn Franken drei Mal pro Woche abholen. Schon die alte Regelung gehörte schweizweit zu den schärfsten. Fehrs neue Auflagen entbehren nicht nur jeglicher rechtlichen Grundlage – sie sind auch aus ethischer Sicht scharf zu verurteilen.

Menschen, die im Kanton Zürich Nothilfe beziehen, sind oft in unterirdischen Bunkern untergebracht. Manche von ihnen ziehen es deshalb vor, bei Freunden oder Bekannten zu übernachten. Das will die Sicherheitsdirektion mit ihrer Weisung verhindern. Doch viele Betroffene leben nicht nur einige Monate von der ausgerichteten Nothilfe, auch wenn die Praxis, ihnen nur noch das absolute Minimum an lebensnotwendiger Unterstützung zukommen zu lassen, auf eine schnelle Ausreise abzielt. Tatsächlich gibt es in der Schweiz zahlreiche Menschen, die in der Nothilfe gefangen bleiben: weil sie keine Chance auf Asyl haben – und gleichzeitig nicht in ihre Heimat zurückkehren können. Es fehlen ihnen die nötigen Papiere oder einfach die Perspektive auf ein sicheres, menschenwürdiges Leben. Mit der kürzlich beschlossenen Verschärfung gegenüber eritreischen Asylsuchenden – die nur noch aufgenommen werden, wenn sie in Eritrea bereits zum Militärdienst aufgeboten wurden – wird es künftig deutlich mehr solche Fälle geben.

Fehr drangsaliert Menschen, die aufgrund der immer repressiveren Asylgesetzgebung ohnehin schon in einen rechtlosen Status gedrängt wurden. Fehr nimmt bewusst in Kauf, dass diese Leute eventuell jahrelang in einem Bunker ohne Tageslicht leben müssen. Fehrs Massnahme verstösst gegen das verfassungsmässig garantierte Recht auf Bewegungsfreiheit, das nur eingeschränkt werden darf, wenn dafür eine gesetzliche Grundlage sowie ein öffentliches Interesse besteht und wenn die Einschränkung verhältnismässig ist.

Mario Fehr ist Jurist – er müsste also wissen, was er tut. Doch dem Sozialdemokraten scheinen Grundrechte weniger wichtig zu sein als die Anbiederung an rechte Kräfte. Bei «delinquenten» abgewiesenen Asylsuchenden wendet der Kanton Zürich bereits länger die umstrittene Eingrenzung ein: Betroffene dürfen ihre Gemeinde nur noch mit Ausnahmebewilligung verlassen.

Mit den neuen Erlassen verschärft sich die Situation für alle abgewiesenen AsylbewerberInnen weiter. Europa ist zur Festung geworden. Der Kanton Zürich wird ein Gefängnis.

Nachtrag vom 23. Februar 2017 : Ein Gefängnis namens Zürich

Die Festung Europa wird nicht nur an den Grenzen ausgebaut. Auch in ihrem Herzen wird fleissig gemauert. Besonders hervor tut sich dabei die Zürcher Sicherheitsdirektion unter SP-Regierungsrat Mario Fehr. Seit Frühling 2016 erhielten zahlreiche der rund 800 abgewiesenen Asylsuchenden im Kanton Zürich eine sogenannte Eingrenzungsverfügung: Ohne eine Ausnahmebewilligung dürfen sie je nach Fall die Gemeinde oder den Bezirk, in der ihre Unterkunft liegt, nicht verlassen. Und seit Anfang Februar gilt in den Notunterkünften (NUK) eine Präsenzpflicht. Wer nicht morgens und abends zur Anwesenheitskontrolle erscheint, erhält keine Nothilfe (8.50 Franken pro Tag).

Diese Weisungen schränken abgewiesene Asylsuchende in ihrer Bewegungsfreiheit ein und verunmöglichen ihnen soziale Kontakte ausserhalb der Notunterkünfte, die oft in unterirdischen Bunkern ohne Tageslicht eingerichtet sind und sich somit kaum mehr von einem Gefängnis unterscheiden. Nun hat das Zürcher Verwaltungsgericht den SP-Regierungsrat vergangene Woche zurückgepfiffen und die Eingrenzung eines Äthiopiers als rechtswidrig eingestuft. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig; die Behörden überlegen sich einen Weiterzug ans Bundesgericht.

Der krasse Druck auf die NUK-BewohnerInnen sei zermürbend und ein Angriff auf die Menschenrechte, sagte Hanna Gerig vom Solinetz Zürich an einer Pressekonferenz diesen Montag. Sie seien aber auch ein Angriff auf solidarische Strukturen wie die Autonome Schule Zürich oder das Solinetz, die unter anderem Sprachkurse anbieten, die die Leute aus den NUKs nun nicht mehr besuchen könnten. Das Bündnis «Wo Unrecht zu Recht wird» hat darum eine Petition lanciert, die den sofortigen Stopp von Eingrenzungsverfügungen und Anwesenheitszwang in den NUKs fordert: www.wo-unrecht-zu-recht-wird.ch/de/petition.

Noëmi Landolt