Unternehmenssteuerreform III: Als das Volk nicht gehorchte

Nr. 7 –

Wie ist es möglich, dass eine schlecht finanzierte Linke die Abstimmung über die Unternehmenssteuerreform III gewonnen hat? Ein Einblick in die Kampagne der GegnerInnen und ein Rückblick auf die kuriosesten Momente der BefürworterInnen.

In der Turnhalle Progr in Bern krachten am Sonntag die Konfettikanonen, und SP-Präsident Christian Levrat verkündete, das Ergebnis sei nicht nur ein Sieg gegen die Arroganz der rechten Mehrheit und ihren Klientelismus, sondern auch ein Wendepunkt in der Legislatur: Die Rechte müsse nun einräumen, dass es ohne die Linke keine tragfähige Lösung in diesem Land gebe. Dabei nahm er bereits das nächste Projekt in den Blick: Bei der AHV befänden sich die Bürgerlichen auf einem Himmelfahrtskommando. «Es gibt keine AHV-Reform gegen die Bevölkerung.»

Die BefürworterInnen der Unternehmenssteuerreform – das waren auf der einen Seite die Wirtschaft, die Kantone, die bürgerlichen Parteien mit Unterstützung der Medien von «Weltwoche» bis «Tages-Anzeiger» mit neunzehn Mal so viel Geld für die Kampagne wie ihre GegnerInnen von der SP, den Grünen, den Gewerkschaften. Und trotzdem haben es all diese rechten Frauen und Männer von FDP-Chefin Petra Gössi über SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher bis NZZ-Chefredaktor Eric Gujer, in der Summe Tausende teure Stunden Universitätsbildung, nicht zustande gebracht, im Abstimmungskampf eine simple Frage zu beantworten: Was konkret wären für die Normalbürgerin, den Normalbürger die Kosten der Unternehmenssteuerreform III?

Am Ende waren es die linken Gewerkschaften, die das für die rechten Befürworter der Reform ausrechnen mussten: Während Konzerne von Steuergeschenken in Milliardenhöhe profitiert hätten, hätten die Schweizer Haushalte das Viermilliardenloch mit jährlich tausend Franken pro Haushalt stopfen müssen. Adieu, merci.

Dadaistisches Katastrophenszenario

«Die Abstimmung vom Wochenende ist ein grosser Sieg», sagt Paul Rechsteiner, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds, am Telefon. «Auch wenn jeder Kampf neu geführt werden muss: Es ist hoch einzustufen, dass es uns bei einem geschlossenen Bürgerblock gelang, eine derartige Dynamik zu erzeugen.» Die Chancen für eine linke Politik seien trotz rechter Parlamentsmehrheit intakt, und bei der anstehenden AHV-Revision gehe es dann auch bald nicht mehr nur um Abwehr rechter Abbauträume, sondern um Verbesserungen, um Ausbau – «und dieses Wochenende hat unseren Spielraum vergrössert». Die Linke in der Schweiz habe sich als lebendig erwiesen und habe im Klima von Trump und Brexit mit einer Kombination aus solidarisch und sozial, dem Ja zur erleichterten Einbürgerung und dem Nein zur Unternehmenssteuerreform, ein wichtiges Gegensignal gesendet.

Höhepunkt der dadaistischen Katastrophenkampagne der versammelten bürgerlichen Kräfte war ein Wortspiel von «Blick»-Chefredaktor Christian Dorer: «Kaufen wir lieber die Katze im Sack, als dass wir die Wirtschaft vor die Hunde gehen lassen.» Wer solche Freunde hat, braucht in der Tat keine Feinde mehr. Ein Gegner der Reform konstatierte auf Twitter: «Einen solchen Ja-Kommentar wünsche ich wirklich niemandem.»

Aber doch, natürlich, allen voran Hans-Ulrich Bigler, dem Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands, SVP-naher FDP-Nationalrat und Aushängeschild der Ja-Kampagne, im Volksmund auch «Lügen-Bigler» genannt, dem wünschte man einen solchen selbstzerstörerischen Ja-Kommentar sehr wohl, spätestens seit bekannt geworden war, dass Bigler mangels Argumenten für seine Verbandszeitung zweimal Fotos prominenter GegnerInnen der Unternehmenssteuerreform manipuliert hatte, um deren Nein-Botschaft ins Gegenteil zu verkehren. Und als Bigler kurz nach Bekanntwerden des Abstimmungsergebnisses im nationalen Fernsehen auftrat, da hat ihn SP-Nationalrätin Jacqueline Badran, die in den letzten Monaten den Fake-News-Zeitgeist in unermüdlichem Einsatz mit Bergen von Fakten blossgestellt hat, da hat ihn also Jacqueline Badran vor laufenden TV-Kameras einfach aufgegessen.

Kein Geld, dafür gute Argumente

«Nüchtern betrachtet haben wir mit der Kampagne gegen die Durchsetzungsinitiative vor einem Jahr bloss ein Stoppsignal gesetzt gegen eine extrem rechte Politik», sagt Andrea Arezina, die Ko-Kampagnenleiterin der SP. «Auch jetzt haben wir in erster Linie eine Verschlechterung verhindert. Trotzdem ist dieser Sonntag ein grosser Erfolg. Das seit den letzten Wahlen rechts dominierte Parlament hat die Unternehmenssteuerreform arrogant überladen. Sie dachten, dass sie damit durchkommen. Doch mit der Durchsetzungsinitiative ist eine Bewegung in Gang gekommen, die sich jetzt unerwartet deutlich ausgezahlt hat.»

Die Arroganz der GegnerInnen habe sich auch in der extrem hart geführten Kampagne ausgedrückt. Arezina: «Ich habe das in all den Jahren als Campaignerin noch nie erlebt. Diese Angriffe mit Fake-News zum Beispiel hatten eine völlig neue Qualität der Härte. Sie hatten das Geld, um mit ihrer Inhaltsleere alles zuzukleistern, aber wir hatten die Argumente und die Leidenschaft auf unserer Seite. Die Leserbriefspalten quollen über, die Leute waren unermüdlich auf der Strasse. Man spürte: Die Leute haben keine Lust mehr zuzuschauen. Sie haben nach einer Phase der Lethargie begriffen, dass sie als Teil von partizipativen Kampagnen politisch etwas bewirken können.»

Teflon gegen Fakten

Der deutliche Sieg, sagt Arezina, sei gerade angesichts des rechten Parlaments extrem wichtig für all die Leute, die sich engagiert hätten. Es könne deswegen auch nicht hoch genug eingeschätzt werden, dass sich im Abstimmungskampf ExponentInnen der Gemeinden, die massiv von Steuerausfällen betroffen gewesen wären, offensiv als GegnerInnen der Reform zu Wort gemeldet hätten, etwa die sozialdemokratische Winterthurer Finanzvorsteherin Yvonne Beutler oder ihr Stadtzürcher Kollege Daniel Leupi von den Grünen.

«Ich würde wie Christian Levrat so weit gehen und angesichts des sehr deutlichen Ergebnisses von einem Wendepunkt sprechen», sagt Arezina, «ein Wendepunkt, der besagt, dass dies nicht die Politik ist, die die Leute wollen, eine Politik, bei der nur ein kleiner Teil von Leuten profitiert.» Mit dem Ja zur erleichterten Einbürgerung und dem Nein zur Unternehmenssteuerreform habe die Schweiz ein wichtiges Signal gesendet in einer Zeit, in der sich die Grenze immer weiter nach rechts verschiebe.

Als Jacqueline Badran Hans-Ulrich Bigler live am TV verspeiste, sagte sie zu ihm: «Du scheinst Teflon zu sein gegen Fakten, im Gegensatz zur Bevölkerung.» Und: «Du verwechselst deinen Job für die KMUs schon lange mit einem Job für den Finanzplatz.» Und: «Auf welchem Planeten lebst du denn?» Wir haben uns gekrümmt vor Lachen auf dem Sofa, vor allem, als dann auch noch Biglers Seitenwagen, der SVP-Nationalrat Thomas Matter, ein Millionär und Privatbankier, erzählt hat, das Votum richte sich gegen die Elite, eine Elite, von der sich der Privatbanker im Angesicht der Niederlage nun selbstverständlich ausnahm. Es war eine Komödie.

Weit weg vom Volk

Man habe die Vorlage sehr genau studiert, sagt Tom Cassee, der bei der linken Mobilisierung wichtig war. «Und dann stellten wir ganz einfache Fragen: Was sind das für Instrumente? Was bedeuten sie für einzelne Gemeinden? Je mehr über die Inhalte und über die Rolle der an der Ausarbeitung des Gesetzes beteiligten Steuerfirmen diskutiert wurde, desto mehr kam die Gegenkampagne ins Rollen, denn die Befürworter waren nicht in der Lage, konkrete Antworten zu liefern.» War man noch im Herbst allgemein von einem Ja ausgegangen, sei die Skepsis plötzlich erheblich gestiegen. «Als sich dann Eveline Widmer-Schlumpf distanzierte, wurde es auch zweifelnden Bürgerlichen einfach gemacht, aus der Deckung zu kommen. Es war der Moment, in dem die Sache definitiv kippte.»

Es habe sich letztlich auch um eine Klassenfrage gehandelt: «Je tiefer das Einkommen, desto höher der Nein-Stimmen-Anteil», sagt Cassee. Und auch wenn er sich über den Rechtsrutsch im Parlament keine Illusionen mache, so teile er die Meinung, dass der Abstimmungskampf der Linken Schub verleihen werde. «Es entspricht dem Zeitgeist, dass man nicht einfach frisst, was die da oben einem vorsetzen», sagt Cassee. «Und am Sonntag konnte man sie sehen, wie sie im Hotel Bellevue in ihren Ledersesseln verschwanden in ihrem luxuriösen Superhotel. Im Moment ihrer Niederlage konnte man plastisch erleben, wie weit weg sie sind von dem Volk, das sie für sich in Anspruch nehmen.»