Durch den Monat mit Heidi Specogna (Teil 4): Warum sind Sie mit zwei Ausrüstungen unterwegs?

Nr. 8 –

Wenn Heidi Specogna nicht an ihren eigenen Projekten arbeitet, unterrichtet sie FilmstudentInnen. Was sie ihnen weitergeben möchte und welcher Filmemacher sie selber am meisten geprägt hat.

Heidi Specogna: «Heute produziert man viel mehr Rohmaterial, und die Entscheidungsprozesse haben sich vom Dreh zum Schneidetisch verlagert.»

WOZ: Heidi Specogna, Sie unterrichten an der Filmakademie Baden-Württemberg angehende Dokumentarfilmemacher. Welche Fähigkeiten muss eine Dokumentarfilmstudentin mitbringen?
Heidi Specogna: Dokumentarfilmemacher gehört zu den härtesten und schwierigsten Berufen überhaupt. Deswegen braucht man neben Talent vor allem eine grosse Leidensfähigkeit, und man muss bescheiden leben können. Abgesehen davon braucht man einen langen Atem, sei es für die Recherche, für die Finanzierung eines Projekts oder beim Dreh.

Was versuchen Sie den Studentinnen und Studenten mitzugeben?
Was mich interessiert, ist, ihre persönliche Handschrift kennenzulernen. Deswegen finde ich es wichtig, dass sie ohne Verwertungsdruck an der eigenen Filmemacherpersönlichkeit schaffen können und zu ihrer eigenen Ausdrucksform finden. Das ist ein zeitintensiver Prozess, denn es ist Arbeit an sich selber. Natürlich ist es ebenso wichtig, das ABC des dokumentarischen Handwerks zu lernen: die Recherche, die Interviewtechniken, Erzählmethoden. Wenn ich fernsehe, erschrecke ich manchmal, wie arm an Gestaltungsmitteln die dokumentarischen Formate geworden sind.

Können Sie das genauer erklären?
Ein Beispiel, das mir neulich auffiel: Die Überblendung ist ein filmisches Stilmittel, das – als Übergang von einer Einstellung zur andern – einen Zeitsprung oder einen Ebenenwechsel erzählt. Heute wird die Überblendung oft nur noch als Spielerei oder Effekt wahrgenommen – wie in Videoclips, inhaltlich sinnentleert.

Es gibt mittlerweile viele Filme, die sich weder als Dokumentarfilm noch als Spielfilm festlegen lassen. Ist eine klare Trennung heutzutage überhaupt noch sinnvoll?
Nicht unbedingt … Junge Filmschaffende sind sehr interessiert an hybriden Formen, darin finden sie den Freiraum, um die komplexen Lebensrealitäten ihrer Generation greifbar machen können. Ich finde die Ergebnisse oft sehr interessant und mutig, auch wenn ich selber eher zu den Zuschauern gehöre, die wissen möchten, in welcher Art von Film sie sitzen und ob das auf der Leinwand nun eine reale Person mit einer realen Geschichte ist oder ob ich fiktiven Charakteren folge.

Sie arbeiten seit über dreissig Jahren als Dokumentarfilmemacherin. In dieser Zeit haben sich Technik und Material stark verändert …
Ja. Durch die günstigen Kameras und Materialien hat sich der gesamte künstlerische Prozess verändert. Ob man die Kamera laufen lässt oder nicht, ist nicht mehr existenziell, sondern man kann laufen lassen, ohne teures Material zu verschwenden. Wenn man noch vom Zelluloidfilm kommt, hat man gelernt, in Metern zu denken. Ich überlegte mir damals immer dreimal, ob ich die Kamera laufen lasse oder nicht.

Heute produziert man viel mehr Rohmaterial, so bekommt die Montage eine viel entscheidendere Bedeutung. Ich hatte schon Drittjahresstudenten, die für einen dreissigminütigen Film mit über 150 Stunden Material am Schneidetisch kämpften. Das ist kaum zu organisieren – weder mental noch praktisch.

Wie viele Stunden Material hatten Sie bei «Cahier africain», Ihrem aktuellen Film?
Im Vergleich zur jüngeren Generation produziere ich immer noch sehr wenig Material. Es waren circa 60, 70 Stunden nach über acht Jahren Dreh. Bei «Pepe Mujica», über den damaligen Präsidenten von Uruguay, hatte ich nach sechs Wochen 25 Stunden Material. «Tupamaros», den ersten langen Film über Pepe Mujica, habe ich 1996 auf Film gedreht. Da kamen wir mit 12 Stunden Material zurück. Damit würdest du heute denken, das reiche gerade mal knapp für den Trailer.

Aber ich möchte die Zeit auf keinen Fall zurückdrehen. Der Vorteil, wenn du nonstop filmen kannst, ist ja, dass du immer für «den Moment» parat bist. Den habe ich früher ab und zu verpasst. Zudem ist die Ausrüstung heute viel günstiger, was uns auch entgegenkommt: Bei unseren Drehs in Zentralafrika und im Tschad für «Cahier africain» waren wir immer mit zwei Kameraausrüstungen unterwegs.

Warum?
Wir hatten öfter erlebt, dass uns bei Drehs das Equipment beschlagnahmt wurde. Einmal wurden wir von einem Armeelaster angehalten, die Soldaten waren betrunken, und wir wussten: Wie diese Situation ausgeht, hängt davon ab, welchen Geldschein wir zücken – ist er zu klein, gibt es Stress, ist er zu gross, gibt es auch Stress. Meistens muss man dann die Ausrüstung mitten in der Nacht in irgendeiner Kaserne abholen – was sehr unangenehm ist, vor allem als Frau. Diese Willkür beim Arbeiten hat mich persönlich jeweils am meisten mitgenommen. Da kann ich dann die Sicherheit und Ordnung zurück in Berlin wieder sehr schätzen.

Zum Schluss noch: Welcher Filmemacher hat Sie selber am meisten geprägt?
Kein Dokumentarfilmer, sondern Alain Tanner. Aber seine Arbeitsweise mit den Schauspielern ist sehr dokumentarisch, und er erzählt in seinen Filmen Geschichten aus dem Leben der kleinen Leute. Seine Filme haben für mich immer noch grosse gesellschaftliche Relevanz.

Heidi Specogna (58) lebt seit über dreissig Jahren in Berlin. Ihr Sohn hat wie sie die Deutsche Film- und Fernsehakademie in Berlin besucht und ist ebenfalls Filmemacher. Specognas «Cahier africain» läuft zurzeit in den Kinos.