RebellInnenrätsel: Der streitbare Dichter

Nr. 9 –

«Sie haben unseren Traum von der Freiheit verraten. Sie sind keine Revolutionäre mehr, sondern nur noch korrupt», wetterte er, als er 1994 aus der Partei austrat. Elf Jahre hatten sie – gegen alle Destabilisierungsversuche der USA – das Land reformiert, nun trugen die alten Weggefährten die neoliberale Politik der neuen Regierung mit und bereicherten sich, während die sozialen Errungenschaften eingestampft wurden. Der suspendierte Priester war zornig.

1925 in Granada geboren, stammte er aus gutem Hause, was ein Mönchsleben nicht vorausahnen liess. Er studierte in New York und Mexiko-Stadt Philosophie und Literatur, reiste durch Europa, sah sich auch die Schweiz an (die er heute noch gern besucht), schrieb Gedichte, genoss das Leben. Seine Opposition zum Somoza-Regime brachte schliesslich die Wende. Ein schlecht vorbereiteter Aufstand kostete 1954 vielen seiner Freunde das Leben; ihm selbst, der Spottgedichte gegen die Diktatorenfamilie geschrieben hatte, gelang die Flucht. Er schlüpfte in einem US-amerikanischen Trappistenkloster unter und fand zur Theologie. Als er sich 1965 in Managua zum Priester weihen liess, schwebte ihm ein Evangelium der Befreiung vor: Warum sollte er die Armen auf das Himmelreich vertrösten, wenn man im Diesseits für eine gerechte Gesellschaft kämpfen konnte? Die Schriften von Karl Marx wiesen ihm den Weg.

Auf einer Insel im Nicaraguasee rief er eine urchristliche Gemeinschaft ins Leben, die auf Solidarität und Gerechtigkeit gründete und bald zu einer Keimzelle des Widerstands wurde. Ein missglückter Aufstand 1977, der von der Insel ausging und mit der Zerstörung der Anlage endete, zwang ihn erneut ins Exil, doch kurz danach stürzte die Diktatur. Die sandinistische Revolutionsregierung ernannte ihn zum Kulturminister, er startete unter anderem ein erfolgreiches Alphabetisierungsprogramm. Ein Embargo des Westens und die von den USA alimentierten paramilitärischen Angriffe (die 30 000 Leben kosteten) brachten das Land jedoch an den Rand der Erschöpfung. 1990 siegte bei den Wahlen ein konservatives Bündnis.

Wie heisst der mit 92 Jahren noch immer hoch verehrte Befreiungspoet, der sich vom Neuen Testament zur Revolution anstiften liess und dafür vom Papst bestraft wurde?

Wir fragten nach dem 1925 geborenen nicaraguanischen Dichter, Befreiungstheologen und Politiker Ernesto Cardenal Martínez. Zu seinen bekanntesten literarischen Werken zählen die «Psalmen» und das «Evangelium der Bauern von Solentiname». Am 12. März liest Cardenal, begleitet von seinem Grupo Sal Trio, ab 18 Uhr im Kloster Dornach..