Rechtsterrorismus: Abends in Sachsen

Nr. 9 –

Rumhängen, Bier trinken, Anschläge planen: Am Dienstag beginnt in Dresden der Prozess gegen die Gruppe Freital. Der Versuch einer Rekonstruktion.

Irgendwann im Sommer 2015, als Hunderttausende auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung nach Deutschland reisen, wird eine graue sächsische Kleinstadt zum nationalen Symbol für Fremdenhass. Es ist nur ein Symbol von vielen, doch eines, das gut illustriert, was im Land schiefläuft. Bereits zuvor ist in Freital regelmässig aus Ablehnung gegenüber der Unterbringung Geflüchteter randaliert worden. Als dann Neonazis tagelang vor einer Asylunterkunft wüten, die eben erst in Betrieb genommen worden ist und knapp dreissig Menschen als vorläufiges Zuhause dient, eskaliert die Situation.

Gerade war bekannt geworden, dass ein ehemaliges Hotel zum Erstaufnahmezentrum werden soll, dass also bald mehr Geflüchtete nach Freital kommen. Die Stadt mit knapp 40 000 EinwohnerInnen liegt vor den Toren der Pegida-Hochburg Dresden, Lutz Bachmann, der Gründer der völkischen Bewegung, besucht eine Versammlung von Leuten, die keine Asylsuchenden in ihrer Nähe wollen. «Auf die Strasse, Leute! Wehrt euch!», postet Bachmann auf seiner Facebook-Wall. Die Freitaler Polizei muss das Asylzentrum wochenlang bewachen, den Mob zurückdrängen. Wer die Bilder der Ausschreitungen sieht, fühlt sich unweigerlich an die neunziger Jahre erinnert, an die rassistischen Krawalle in Hoyerswerda, in Rostock-Lichtenhagen. 2015 ist dies in Deutschland ein häufiges Bild.

Treffpunkt: Aral-Tankstelle

Ungefähr zur selben Zeit formiert sich in Freital eine Terrorzelle, der die Polizei mangels Eigenbezeichnung im Nachhinein den Namen «Gruppe Freital» gibt. Vielleicht gibt es sie auch schon länger, genau lässt sich das nicht rekonstruieren, die meisten bisherigen Informationen über den Fall basieren auf Angaben der Behörden. Spätester Gründungszeitpunkt ist für sie der Juli.

Kommenden Dienstag beginnt in Dresden der Prozess gegen acht mutmassliche Mitglieder der Gruppe. In einer ehemaligen Flüchtlingsunterkunft wurde dafür eigens ein Hochsicherheitsgericht gebaut. Sieben Männer und eine Frau stehen vor Gericht, alle zwischen 19 und 38 Jahre alt. Der Vorwurf der Bundesanwaltschaft: Rechtsterrorismus. Es ist das erste Mal, dass Gewalt gegen Flüchtlinge als Terrorismus verfolgt wird, vielleicht ist es sogar eine Wende in Deutschlands Umgang mit rechtsextremer Gewalt. «Gründung einer terroristischen Vereinigung» ist der Hauptanklagepunkt, weitere sind unter anderem: versuchter Mord, gefährliche Körperverletzung, Sprengstoffanschläge.

Zwei der acht Angeklagten gelten als Rädelsführer, beide sind bereits im rechtsextremen Milieu aufgefallen: Der 27-jährige Timo S. soll in der Hamburger Neonaziszene verkehrt haben, gegen den 25-jährigen Patrick F. soll bereits einmal wegen der Mitgliedschaft in einer einschlägigen Gruppierung ermittelt worden sein.

Die Gründungsgeschichte der Freital-Gruppe, die später in Polizeiakten und Medienberichten dargelegt wird, erzählt von einer ungewöhnlich schnellen Radikalisierung. Nach einer Kundgebung gegen Geflüchtete hätten ein paar Leute in der Freitaler «Kellerbar» einen Zirkel ausgerufen, später habe man sich regelmässig nach Feierabend an der örtlichen Aral-Tankstelle gegenüber der Polizeiwache getroffen.

Tagsüber arbeiten sie als Busfahrer, Pizzakurier oder Krankenpfleger. Sie nennen sich Bürgerwehr FTL/360, nach einer Buslinie, die von Zinnwald an der tschechischen Grenze nach Dresden verkehrt. Der Zusammenschluss erklärt auf seiner Facebook-Seite, «Frauen und Kinder vor kriminellen Asylbewerbern» schützen zu wollen. Aus der Facebook-Gruppe entsteht eine «Bürgerwehr», daraus vermutlich eine terroristische Vereinigung. «Aus Gleichgesinnten werden Feierabendterroristen», schreibt «Zeit Online» später.

Die «Süddeutsche» schildert die späteren Aktionen so: «Wenn die Gruppe abends an der Tanke zusammensteht und jemand sagt, heute sei ein Haus mit Ausländern ‹dran›, dann fahren sie los, und bald explodieren Sprengladungen, Scheiben gehen zu Bruch, Blut fliesst.» Neben anderen Medien zitiert der «Spiegel» aus Chatprotokollen der Gruppenmitglieder, in denen Hassbotschaften verbreitet werden. «Wir sind Nazis bis zum bitteren Ende!», steht da. Oder: «Nigger! Einer widerlicher als der andere! Alle töten, diese elenden Parasiten!» Die Kommunikationsstruktur fliegt auf, als ein Informant der Dresdner Polizei Screenshots der Unterhaltungen aushändigt.

Kennwort: Obst

In der Anklageschrift heisst es, die Gruppe habe sich «eine grosse Anzahl pyrotechnischer Sprengkörper aus Tschechien» besorgt. Mehr als hundert sollen es sein. In den Chats der mutmasslichen TerroristInnen steht für die Sprengsätze das Kennwort «Obst».

Die von der Bundesanwaltschaft angeklagte Gewaltserie beginnt Ende Juli, als das Auto eines Stadtrats der Linken gesprengt wird. Im September folgen zwei Angriffe: eine Explosion des am Küchenfenster einer Freitaler Flüchtlingsunterkunft angebrachten Sprengsatzes, ein Anschlag auf das örtliche Parteibüro der Linken. Zwar entsteht ein erheblicher Sachschaden, verletzt wird jedoch niemand. Dann ist es einige Wochen ruhig.

Im Oktober folgt dann ein Angriff auf das linke Wohnprojekt «Mangelwirtschaft» in Dresden. Man müsse «Vergeltung üben an den linken Zecken», hiess es zuvor im Gruppenchat. Pflastersteine und Plastikflaschen mit Buttersäure treffen das Gebäude, ein Bewohner wird verletzt. Im Chat ist zu lesen: «Abwasch erledigt. Danke für den schicken Abend. Hoffe, dass wir so ein Obstfest wiederholen können.» Der letzte Anschlag findet laut Anklage in der Nacht auf den 1. November statt, am Fenster einer Asylunterkunft detonieren Sprengsätze. «Ihnen war durch zuvor erfolgte Ausspähungen bekannt, dass sich in den angegriffenen Räumen tatsächlich mehrere Menschen aufhielten», schreiben die Behörden. Ein Bewohner der Unterkunft wird verletzt.

Anfang April übernimmt die Bundesanwaltschaft den Fall von den sächsischen Behörden, zu dieser Zeit sitzen drei Verdächtige bereits seit mehreren Monaten in Untersuchungshaft. Wenige Wochen später schlagen mehr als 200 BeamtInnen der Polizei gemeinsam mit der Antiterroreinheit GSG9 im Morgengrauen zu, nehmen fünf weitere mutmassliche Mitglieder der Gruppe Freital fest.

Freital: Kein Einzelfall

Mit dem öffentlichkeitswirksamen Durchgreifen wollen die Behörden vermutlich ein Zeichen setzen, sie wollen sich nicht vorwerfen lassen, auf die Welle rechtsextremer Gewalt nicht angemessen zu reagieren. Sachsen war schon einmal die Keimzelle des Terrors: Mehr als ein Jahrzehnt lang operierte hier der Nationalsozialistische Untergrund (NSU), ermordete während dieser Zeit insgesamt zehn Menschen und blieb unbehelligt. Die Behörden ermittelten jahrelang im Umfeld der migrantischen Opfer des rassistischen Trios. Erst als zwei NSU-Mitglieder tot aufgefunden wurden, gingen die Ermittlungen in eine andere Richtung. Der Prozess gegen das dritte Mitglied Beate Zschäpe läuft noch.

Bei einer Verurteilung drohen den acht Angeklagten im Freital-Prozess langjährige Haftstrafen. Politisch bleiben derweil viele Fragen offen: Wie kann aus Ressentiment und Hass so schnell Strassengewalt und vielleicht Terror werden? Wieso fallen die Reaktionen der deutschen Behörden auf fremdenfeindliche Taten oft so lasch aus? Und wieso wird nur ein geringer Teil der Angriffe überhaupt aufgeklärt?

Denn seit den Taten der Gruppe Freital hat sich die Lage kaum entspannt – im Gegenteil. Angriffe auf Geflüchtete nehmen immer weiter zu. Allein im Februar hat die antirassistische Amadeu-Antonio-Stiftung fünf Vorfälle registriert: In Sachsen-Anhalt etwa bedrohte eine Frau zuletzt drei jugendliche Flüchtlinge mit einem Hockeyschläger, in Nordrhein-Westfalen zündeten Unbekannte eine Asylunterkunft an. Gemäss aktuellen Zahlen gab es in Deutschland im vergangenen Jahr mehr als 3500 fremdenfeindliche Vorfälle. Im Durchschnitt sind das 10 pro Tag.