Kriegsmaterial: «Wir dürfen gar nichts verkaufen»

Nr. 10 –

Mit Showgefechten, Patronentorten und Mangosmoothies buhlen 1200 Firmen an der Waffenmesse Idex in Abu Dhabi um die Aufmerksamkeit potenzieller KäuferInnen. Mittendrin auch die Ruag, die dem Schweizer Staat gehört.

In Mount Papakura tobt der Krieg. Schüsse fallen, Autos explodieren, Häuser gehen in Flammen auf. Milizen schiessen aus den Bergen, Soldaten schützen sich hinter einem Güterwaggon, der am Bahnhof des Dorfs zurückgeblieben ist. Dann kreuzen Panzer das Schlachtfeld, und immer wieder greifen Kampfjets ein. Ohrenbetäubender Lärm durchdringt das Szenario. Die Lage beruhigt sich erst, als die feindlichen Truppen flüchten.

Tote gibt es nicht. Sie sind in diesem Spektakel nicht vorgesehen. Niemand will hier schwer verletzte Menschen sehen, die im Wüstensand verenden. Denn das Gefecht um Mount Papakura ist eine Show, die zum Kauf animieren soll. Eine mit dramatischer Musik unterlegte einstündige Inszenierung, mit der am 19. Februar die internationale Waffenmesse Idex in Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), beginnt. Vor gefüllten Rängen demonstriert die Armee des Golfstaats KundInnen aus aller Welt ihre Kampfkraft. Es ist der Auftakt einer fünf Tage dauernden Messe, an der 1200 Rüstungskonzerne teilnehmen: Firmen aus über fünfzig Staaten, aus Deutschland, Pakistan, Südafrika, dem Sudan – und aus der Schweiz.

«The Sniper’s Choice»

Auf 300 Quadratmetern stellen sechzehn Schweizer Firmen Mörser, Gewehre und viel Munition zur Schau. Grosse Konzerne wie die staatseigene Ruag sind ebenso vor Ort wie mittelständische Unternehmen. «Wir stellen hier nicht nur militärische Güter aus, sondern auch solche, die Leben schützen», erklärt Hanspeter Fäh vor dem Stand einer Firma, die Zünder von Sprengfallen entschärft. Fäh, gross, Glatze, redet gerne und ohne Ende. Er ist der Chief Executive Officer (CEO) der Messeagentur Fair Management und verantwortlich für den Schweizer Pavillon. In seinen Worten wirken Waffen so harmlos wie die Bilder schneebedeckter Berge und glasklarer Bäche an den Wänden der «Swiss Lounge», wo potenzielle KundInnen Kaffee oder Orangensaft trinken.

Die Schweizer Unternehmen folgen dem Stil, der die gesamte Messe prägt: Aufwendige Videoinstallationen, modisches Design und appetitliche Häppchen lassen vergessen, was hier verkauft wird. Eine finnische Firma bietet zwischen Panzern Mangosmoothies und Tropenfrüchte an, ein US-Unternehmen lockt mit Rockmusik, die mit Gewehrsalven untermalt ist. Und die Ruag präsentiert ihre Waren, als ob es sich um edle Geschenke für die nächste Geburtstagsfeier handle. «The Sniper’s Choice» (Die Wahl des Heckenschützen) steht auf einem als Torte inszenierten Schmuckstück, das Patronen aller Kaliber wie Kerzen zur Schau stellt.

Im sogenannten Eventbereich ist die Schlacht um Mount Papakura indes wieder aufgeflammt. Kaum jemand lässt sich die Show entgehen. Selbst der sudanesische Staatspräsident Umar al-Baschir, der wegen Kriegsverbrechen in Darfur vom Internationalen Strafgerichtshof verfolgt wird, ist hier. Mit ihm sitzt Abu Dhabis Kronprinz Muhammad bin Zayed al-Nahyan auf der Tribüne, während es unten explodiert und brennt. Später titeln die «Gulf News»: «Die Verteidigungsausstellung beginnt mit einem Knall».

Es darf geliefert werden

800 Kilometer entfernt knallt es jeden Tag. Die gleichen Kampfjets, die über dem Ausstellungsgelände ihre Runden drehen, fliegen seit zwei Jahren Einsätze im Jemen. Dort kämpfen die Streitkräfte der VAE mit saudischen Soldaten gegen die Huthi-Rebellen. 10 000 Menschen sind durch die Bombardierungen gestorben, darunter laut Schätzungen der Vereinten Nationen mindestens 4000 ZivilistInnen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch spricht von Verstössen gegen das Völkerrecht und möglichen Kriegsverbrechen der von Saudi-Arabien angeführten Militärkoalition, der neben den VAE auch Katar, Kuwait, Bahrain, Ägypten, Jordanien, Marokko und der Sudan angehören. Das Europäische Parlament forderte deshalb bereits vor einem Jahr ein Waffenembargo gegen Saudi-Arabien.

Auch in der Schweiz gibt man sich zurückhaltend: Kriegsmaterial, das im Jemenkonflikt zum Einsatz kommen könnte, darf nicht exportiert werden, bekräftigte der Bundesrat im April 2016. Was angeblich nicht im Jemen eingesetzt wird, darf geliefert werden: etwa Komponenten für Flugabwehrraketen nach Saudi-Arabien, Ersatzteile für Panzerhaubitzen in die Emirate, Sturmgewehre, Maschinenpistolen und Munition nach Katar, Ägypten und in die VAE.

Wie wirken sich die Restriktionen für Schweizer Unternehmen auf der Idex aus? Hanspeter Fäh scheint genau auf diese Frage gewartet zu haben. «Wir dürfen gar nichts verkaufen, alles ist gesperrt», schimpft er und spricht von wirtschaftlichen Zwängen und falscher Neutralität. Das Argument der Völkerrechtsverletzungen im Jemen kann er nicht nachvollziehen: «Immer geht es um die Menschenrechte von Terroristen. Sollen wir die Leute etwa mit Samthandschuhen anfassen?» Dann geht er rasch weiter zum Stand an der nächsten Ecke, zeigt auf Soldatenmesser, die die Firma Victorinox anbietet: «Überall stehen Schweizer Messer für die Qualität unseres Landes, aber wenn wir sie hier verkaufen, sind wir Mörder.»

Hier in Abu Dhabi unterhält die Ruag seit über zwei Jahren gemeinsam mit lokalen Unternehmen eine Tochterfirma, die Ruag Simulation Company. «Dort werden Simulatoren hergestellt», sagt Ruag-Pressesprecher Jiri Paukert von der Konzernzentrale in Thun am Telefon. «Dabei handelt es sich um Gefechtsausbildung, um Livetrainings mit Häusern und Dörfern.» Also die perfekte Ausbildung für Soldaten, die auf den Schlachtfeldern des Jemen kämpfen. Solche Simulatoren gelten in der Schweiz jedoch nicht als Kriegsmaterial, sondern als «besondere militärische Güter» und fallen damit nicht unter die Kriegsmaterialverordnung (siehe WOZ Nr. 8/2017 ). Dank dieses Tricks kann die Schweiz solche Güter weiterhin an Länder wie Saudi-Arabien liefern.

Das Tochterunternehmen sei nur nötig, weil die Emirate bei Waffeneinkäufen eine Filiale vor Ort forderten, erklärt Paukert. Es gehe um Offset-Vereinbarungen, also darum, dass ein bestimmter Anteil der Investitionen in die VAE zurückfliesst. Zugleich lässt er keinen Zweifel daran, dass die Ruag die Simulationsplattform «für weitere Geschäfte in den Vereinigten Arabischen Emiraten nutzen wollte und will».

Auch die Hochglanzbroschüren, mit denen Ruag am Stand wirbt, sprechen dafür, dass die Firma mit dem Joint Venture auf den gesamten lukrativen Markt in der Krisenregion schielt. «Together ahead» (Gemeinsam voran) heisst es in einem Heft, das unter anderem das Cobra-Mörsersystem anpreist. Kontakt: Ruag Defense, al-Dahfra Street, Abu Dhabi. Alle Ausfuhren entsprächen den Schweizer Gesetzen, betont die Geschäftsführung, und Sprecher Paukert ergänzt: «Obwohl wir nur 49 Prozent der Anteile halten, haben wir alles unter Kontrolle.» Bisherige Erfahrungen mit den VAE lassen daran zweifeln: So verschenkten die Emirate einst Zehntausende Ruag-Handgranaten an Jordanien – später tauchte ein Teil davon im syrischen Bürgerkrieg auf.

Unweit des Schweizer Pavillons zeigt der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall Defence sein Angebot: Militärlastwagen, Drohnen und Lenkwaffensysteme. Obwohl ihr Name nicht auftaucht, spielt die Ruag auch hier eine grosse Rolle: Mit Rheinmetall produziert der Betrieb im Unternehmen Nitrochemie AG im Berner Oberland Treibladung, die Kugeln und andere Geschosse durch Waffenläufe treibt. Wo diese Produkte landen, entzieht sich der Kontrolle des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco). «Weil Rheinmetall die Mehrheit hält, gelten hier die deutschen Gesetze», erklärt Pressesprecher Paukert.

Wo landen die Waffen wirklich?

«Wir sehen die Mission durch deine Augen», droht ein Plakat im Schweizer Pavillon, auf dem ein Soldat durch das Zielfernrohr eines Gewehrs auf den Betrachter blickt. Es ist ein Werbeposter der Ruag Ammotec, die im bayerischen Fürth Patronen produziert. Von dort aus lieferte die Firma ihre Güter direkt in den Krieg: Vier Millionen Schuss Munition soll die deutsche Regierung zur Unterstützung der kurdischen Peschmerga in den Nordirak geliefert haben. Ob sie wirklich nur zum Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat eingesetzt wurden, ist fraglich. Die Bundesregierung gibt zu, dass sie nicht weiss, wo die ebenfalls gelieferten Waffen und die Ruag-Munition gelandet sind. Einige Gewehre sind auf dem Schwarzmarkt im nordirakischen Erbil aufgetaucht. Gerade diese Woche wurde bekannt, dass die Peschmerga offenbar deutsche Waffen gegen jesidische KämpferInnen einsetzen. Ähnliche Wege könnten auch die Sturmgewehre, Maschinenpistolen und Patronen nehmen, die Schweizer Firmen ausliefern.

Auf der Tribüne im Idex-Eventbereich dürfte das niemanden stören. Begleitet von den Trompeten einer Militärkapelle, endet die Auftaktschlacht mit einem Showdown: Hubschrauber kreisen über Mount Papakura, Kampfjets blasen Rauchschwaden in den Farben der Staatsflagge in den Wüstenhimmel, die besiegten Feinde knien auf dem Boden. Die ZuschauerInnen begleiten den Abgang mit stehendem Applaus. Auch die Streitkräfte sind zufrieden. Deren während der Messe täglich erscheinendes Werbeheft «Nation Shield Show Daily» vermeldet zu deren Ende «Meilensteine bei Verträgen auf der Idex 2017», sprich Einkäufe im Wert von über 5,2 Milliarden Franken. Mit dabei: ein Auftrag für die Schweizer Tochterfirma Rheinmetall Air Defence, um die Luftwaffe der VAE technisch zu unterstützen.

Ruag ausser Kontrolle

Die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) kritisierte in einem im Februar veröffentlichten Bericht das Geschäftsgebaren des staatseigenen Rüstungskonzerns Ruag. Das Risiko, dass schweizerische Exportrestriktionen umgangen würden, sei beträchtlich. Die Ruag tue zu wenig, um dieses Risiko zu reduzieren, und übe zu wenig Kontrolle aus.

Ebenfalls bemängelte die EFK, dass sich die Ruag bei Minderheitsbeteiligungen an ausländischen Firmen, wie beispielsweise der Munitionsfirma Nitrochemie, nicht an die Schweizer Exportregeln halte. Der Bericht ist einsehbar unter www.efk.admin.ch (PDF-Datei).