… einer Partei beitreten: Wir können es uns nicht leisten, den Staat zu ignorieren

Nr. 12 –

Sich in einer Partei zu engagieren, ist anstrengend und zeitraubend – aber es macht auch viel Spass und hilft gegen die Ohnmacht.

Liebe Leserin. Ich wollte Ihnen eigentlich darlegen, wieso es gut und wichtig ist, sich in einer Partei zu engagieren. Nun habe ich heute leider überhaupt keine Lust, das zu tun. Heute ist so ein Tag, an dem ich die Parteiarbeit am liebsten an den Nagel hängen würde. In einer Partei engagiert zu sein, ist anstrengend. Die SP ist ein Etikett, das haften bleibt; in den Medien gilt man pauschal als linke Klassenkämpferin, in der ausserparlamentarischen Linken als rechts und institutionell. Man trägt in den Augen vieler die Verantwortung für alles, was die Partei tut, selbst wenn man nicht die gleiche Haltung vertritt.

Ich würde also heute austreten, mein SP-Frauen-Kopräsidium niederlegen mit den Worten: «Wisst ihr was? Das wars von meiner Seite. Auf Wiedersehen, ich schreib einige von euch dann vielleicht auf den Wahlzettel!» Mein Leben wäre auf einen Schlag einfacher. Ich würde besser schlafen, hätte mehr Zeit für meine FreundInnen und meinen Neffen, und vermutlich wäre meine Wohnung ordentlicher.

Wo ist ausserhalb?

Ich würde mich am ersten sonnigen Frühlingstag auf eine Blumenwiese setzen und Hannah Arendt lesen, weil ich glaube, dass sie in diesen Zeiten von Hass, erstarkenden Ideologien, zunehmender Polarisierung und abnehmender Dialogfähigkeit eine wichtige Ratgeberin ist. «Das Ziel von Politik ist Freiheit», schreibt Arendt an einer Stelle. Nun kann man natürlich fragen: Wessen Freiheit? Nehmen wir die aktuelle Asylpolitik des Zürcher SP-Sicherheitsdirektors Mario Fehr: Für mehr Freiheit bei den Betroffenen sorgt sie ganz sicher nicht.

Linke Feministinnen hatten, das zeigt ein Blick in die Geschichte der Frauenbewegung, immer schon ein umfassenderes Politikverständnis, indem sie die Trennung von privat und öffentlich grundlegend infrage stellten. Ein Politikverständnis, das leider bis heute bei vielen, auch bei vielen linken Männern, noch nicht angekommen ist. Feministinnen waren Pionierinnen darin, Lebensbereiche zu politisieren, die schwierig politisierbar sind. Lag der Fokus auf Erwerbsarbeit, zeigten Feministinnen mit dem Finger auf die unbezahlte Arbeit und jene, die sie leisten. Und über die Politisierung von Sexualität gelang es, neue Möglichkeiten in Liebesbeziehungen zu erkämpfen und den traditionellen Familienbegriff infrage zu stellen. Feministische Politik, so, wie ich sie vertrete, bedeutet auch, marginalisierte Stimmen sicht- und hörbar zu machen und Machtkritik zu üben.

Seit der zweiten Frauenbewegung entwickelten Feministinnen zudem ein starkes Selbstverständnis, in Formen ausserhalb der etablierten Politik zu handeln. «Aber anders als einige ihrer gegenkulturellen Genossen lehnten die Feministinnen staatliche Institutionen nicht einfach als solche ab», schreibt die US-Politologin Nancy Fraser in einem 2009 erschienenen Text. Es gehe vielmehr darum, diese Institutionen mit feministischen Werten zu füllen und einen partizipatorischen und demokratischen Staat zu denken. Denn welche staatliche Politik umgesetzt wird, wohin das Geld verteilt wird, betrifft gerade die Frauen im Kern. Ist beispielsweise Schwangerschaftsabbruch strafbar, so müssen sich Frauen illegal darum kümmern, können auf keine Gesundheitsversorgung zurückgreifen und bringen sich selber in Gefahr.

Aus dieser Sicht ist die in der Linken teilweise bis heute verbreitete revolutionäre Abgrenzungsidee, dass sich eine politische Identität und ein starkes «wir» einzig durch Ablehnung von Institutionen konstituieren, eine sehr männliche und privilegierte Vorstellung. Denn man kann genau dann «aus dem System treten», wenn man nicht darauf angewiesen ist. Als Feministin frage ich daher, wann immer mir ein solches revolutionäres Subjekt begegnet, ganz neugierig, wo denn dieses «ausserhalb» sei und ob man mich mitnehmen könne, wenn man das nächste Mal da hingehe. Demgegenüber steht die feministische Erkenntnis, dass ein solches identitäres «wir», egal ob als Partei oder ausserparlamentarisch, immer schon prekär ist. Es ist wichtig, Vielfalt und Differenz zuzulassen und sie zum Ausgangspunkt des politischen Handelns zu machen. Und manchmal sind temporäre Zusammenschlüsse die richtige Strategie.

Parteien entromantisieren!

Wieso also Parteien? Weil man sie genau aus dieser feministischen Perspektive etwas entromantisieren und auch entideologisieren kann. Parteien sind Gefässe in einem grösseren Machtgefüge, die versuchen, etwas an den Rädchen zu schrauben und schrittweise Veränderung zu bewirken. Das ist etwas, was die SP tut, indem sie sich gemeinsam mit vielen ganz grundsätzlich mit Politik befasst: im Kleinen, wenn es zum Beispiel um Tempo-30-Zonen oder um Krippenplätze geht, oder im Grossen bei der Ausarbeitung eines Parteiprogramms oder Wirtschaftspapiers, bei der sich die Mitglieder ganz grundsätzlich die Frage stellen, in welcher Gesellschaft sie leben wollen. Nicht nur das Parteiprogramm ist wichtig, sondern auch der Prozess des Ausarbeitens.

Wenn ich diese Arbeit in der SP leiste, hat sie einen stärkeren Effekt, als wenn ich meine Ideen einfach nur im Lesegrüppli mit Gleichgesinnten bespreche. Parteien haben zudem die Funktion, Wissen zu bündeln und zu vermitteln. Müssten wir all die politische Arbeit, die in Parteien täglich geleistet wird, als Individuen selber leisten, wir hätten für nichts anderes mehr Zeit und würden leider bald in Gesetzesparagrafen ertrinken. Oder hätten Sie Lust, sich im Detail mit der Altersreform oder der Hundesteuer zu befassen? Eben.

Und so habe ich mich nun, indem ich diesen Text verfasste, spätestens mit dem Beispiel der Hundesteuer wieder selber überzeugt. Nun möchte ich Sie ebenfalls dazu bewegen, der SP, den Grünen oder der AL beizutreten. Denn der wichtigste Aspekt zum Schluss: Es gibt in einer Partei ganz konkrete und gelebte Solidarität. Sie ist ein Ort für grossartige Freundschaften und eine persönliche Strategie gegen die Ohnmacht. Es macht Spass, gemeinsam mit anderen Menschen etwas zu bewegen. Und auch wenn die Auseinandersetzungen manchmal anstrengend sind, so wäre mir ohne Partei spätestens nach zwei Tagen langweilig. Und nun setze ich mich auf eine Blumenwiese und lese Hannah Arendt.

Natascha Wey ist Zentralsekretärin der Gewerkschaft VPOD und seit 2016 Kopräsidentin der SP-Frauen*.