Auf allen Kanälen: Spuk im Teletext

Nr. 16 –

Luca Schenardis Teletext sandte plötzlich irritierende Meldungen. Der Illustrator hat daraus einen hintersinnigen Kommentar zur Nachrichtenlage verfasst.

Aus Luca Schenardis «Meyer spricht von Gratiskaffee»

Das World Wide Web entstand bekanntlich 1989 am Cern in Genf, als sich der Physiker Tim Berners-Lee überlegte, wie er Daten einfacher zwischen den Laboratorien in der Schweiz und Frankreich austauschen könnte. Daraus entwickelte er ein Hypertext-Projekt mit Links, das zum weltweiten Netz führte, wie wir es heute kennen. Nun gibt es aber einen Vorläufer, der schon einiges älter und allen Wandlungen zum Trotz immer noch in Betrieb ist: der Teletext.

1974 nutzten Techniker der BBC erstmals die sogenannte Austastlücke. Ein analoges Fernsehbild hatte 625 Bildzeilen. Für die Übertragung benutzt wurden aber nur 576 Zeilen. In der Austastlücke kehrt der Elektronenstrahl in der Bildröhre zum Ausgangspunkt zurück. In diese Lücke hinein wurde nun der sogenannte U.K. Teletext Standard geschickt. Möglich waren pro Nachrichtenseite nur 25 Zeilen zu je 40 Zeichen. Aufgerufen werden die Seiten bis heute über die Eingabe einer dreistelligen Zahl. Thematisch betreffen sie meist Politik, Sport und Wetter (sowie Sexangebote bei den Privatsendern).

In der Schweiz erteilte der Bundesrat 1984 die Konzession für den Teletext. Dieser gilt in der Selbstdarstellung der SRG als «Schweizer Navigator in der digitalen Transformation». Ein Zeitstrahl in die digitalisierte Medienwelt von heute beginnt mit dem Teletext – dann erst folgen das Web, die SMS, das Streaming, die Cloud und so weiter.

Eurogruppe in Amriswil

So kann es nicht verwundern, dass im Teletext, der heute auch im Netz und via App zu empfangen ist, erstmals Fake News auftauchten – zumindest beim Illustrator Luca Schenardi. Nach der Umstellung von analogem auf digitales Fernsehen fielen ihm bei der Benutzung des Teletextes rätselhafte Satzkombinationen auf. Die Titel der Nachrichten waren senderübergreifend falsch zusammengesetzt. Schenardi zückte sein Zeichenbuch, um die merkwürdigen Nachrichten mit Filzstift festzuhalten und sie mit einer Illustration zu versehen. 800 davon hat er transkribiert. Woher der Spuk kam, der offenbar nur auf seinem Gerät auftrat, bleibt ihm bis heute ein Rätsel. Die besten Meldungen und Skizzen hat er nun im Buch «Meyer spricht von Gratiskaffee» versammelt.

«Eurogruppe trifft sich erneut in Amriswil», heisst es beispielsweise. Wovon die erste Nachricht ursprünglich handelte, die Verhandlungen der Eurogruppe, mag man sich noch denken, vermutlich von einer Bankenrettung. Was sich genau in der zweiten Nachricht in Amriswil abspielte, ist schon schwieriger zu erraten. Vielleicht betraf die Meldung ein Radquerrennen, falls es so etwas noch gibt. Wie sich im Zusammenzug die Euroverhandlungen im Thurgau abspielten, darüber ist der Fantasie freien Lauf gelassen.

Immer wieder trifft in den Nachrichten die grosse Welt auf die kleine: «USA senden Spezialeinheit Parmelin». Durchhalteparolen von PolitikerInnen verkehren sich in ihr Gegenteil: «Eröffnung des Ceneri-Basistunnels: Verzögerung um ein Jahr sei das einzige Ziel.» Bisher nicht bekannte ExpertInnen beschäftigen sich mit Themen, die sie kaum etwas angehen dürften: «Panzerknackerbande verurteilt Waldbrände».

Im Durcheinandertal

Die Themen, die durch Schenardis Band geistern, sind meist unerfreulich. Es geht um Krieg, Terror oder Korruption. Hinzu kommen Schenardis Skizzen, die häufig finstere, mutierte Wesen zeigen. So lässt sich der Band auch als bitterböser Kommentar auf die Nachrichtenlage der Gegenwart lesen. Beim Betrachten stellt sich die Frage, ob die Gewalttätigkeit einer Nachricht nicht ebenso zu problematisieren wäre wie ihr Wahrheitsgehalt.

Dass Fake News die Welt noch weiter aus den Fugen geraten lassen, als sie es ohnehin schon ist, steht allerdings nicht zu befürchten. In Schenardis Buch scheinen die Nachrichten, die doch nur eine Verbindung zwischen den LeserInnen und einem Ereignis herstellen sollen, plötzlich ein Eigenleben zu führen. So bringt eine Meldung die Steuer- und die Flüchtlingspolitik, die in der öffentlichen Debatte selten etwas miteinander zu tun haben, perfekt zusammen: «Google zahlt Steuern vor der Küste Libyens.»

Wenn der Teletext tatsächlich der Navigator der digitalen Transformation ist, besteht also Hoffnung: Auf das Durcheinander wird Erkenntnis folgen.

Luca Schenardi: «Meyer spricht von Gratiskaffee». Edition Patrick Frey. Zürich 2017. 208 Seiten. 38 Franken.