Postfaktisch: Müllern gegen Trump

Nr. 16 –

Eine Ausstellung in Basel und ein Büchlein zu Donald Trump als Popfigur zeigen Strategien, wie sich die grassierende Propaganda- und Lügenpolitik bekämpfen lässt.

«Grössere Gummigeschosse»: Mit ihrem Fernsehauftritt überrumpelten «Herr und Frau Müller» am 15. Juli 1980 die VertreterInnen von Politik und Polizei. Still: SRF

«Die Fakten sind mir egal.» Welcher US-Präsident hats gesagt? Nein, nicht der, den jetzt alle meinen. Der Satz stammt von George Bush senior. Gesagt hat er ihn 1988, nachdem ein US-Kriegsschiff ein iranisches Passagierflugzeug über dem Persischen Golf abgeschossen hatte. Die Maschine mit 290 Menschen an Bord sei vom Abwehrsystem als feindliche Tomahawk-Rakete identifiziert worden, rechtfertigte sich die US-Regierung. Trotz mancher Ungereimtheiten bei dieser offiziellen Erklärung: Eine Entschuldigung verweigerte man mit dem Spruch «Die Fakten sind mir egal».

Georg Seesslen, der deutsche Veteran der Popkulturkritik, hat diesen vierzig Jahre alten Satz ausgegraben, um uns in seinem neuen Büchlein «Trump! POPulismus als Politik» daran zu erinnern, dass Donald Trump nicht der erste US-Präsident ist, der die Wahrheit dreist ignoriert. Gleichzeitig zeigt Seesslen, dass diese «Post-truth»-Politik nicht bloss auf Lügen und Faktenverachtung baut. Trump sei vielmehr darauf aus, eine neue Realität zu schaffen, in der die Kriterien wahr und falsch gänzlich obsolet werden: «Der Pop ist an die Stelle der Wirklichkeit getreten.» Und dieser Pop funktioniert jenseits von Logik und Vernunft nach seinen eigenen Gesetzmässigkeiten der «Emotionen, Bildhaftigkeit, Effekte».

Seesslens eigene Strategie angesichts dieser Entwicklung: Er reckt den Mahnfinger – und setzt auf die alten Werte der Aufklärung und der kritischen Vernunft. Die neue Wirklichkeit im Weissen Haus zerpflückt er in seinem Buch mit smarten Populismusanalysen und Bildlektüren von Trumps Familienfotos und anderen Inszenierungen. Das bewährte Besteck der Vernunft soll zurechtrücken, was wie mutwilliger Wahnsinn ohne Methode daherkommt. Aber kann das überhaupt noch funktionieren?

Gezückte Kameras

Auch «How much of this is fiction», die aktuelle Ausstellung im Haus der elektronischen Künste in Basel, hat sich in die Welt des Postfaktischen aufgemacht und landet dabei ebenfalls im Jahr 1988 – und bei den Werten der Aufklärung: mit Paul Garrins Film «Man with a Video Camera». Garrin hatte im August 1988 zufällig die brutale polizeiliche Niederschlagung der Unruhen im New Yorker Tompkins Square Park gefilmt. Weil sie eine andere Version zeigten als die offizielle, wurden seine Aufnahmen von mehreren TV-Stationen weiterverbreitet. «Man with a Video Camera» gilt als Startschuss des Camcorder-Aktivismus: der Aufdeckung von vertuschtem Unrecht durch brisantes Bildbeweismaterial. Als Ausstellungsbesucherin fragt man sich etwas wehmütig, wieso die Millionen Männer und Frauen, die heute ständig mit viel handlicheren gezückten Kameras als Paul Garrin herumlaufen, nicht zwangsläufig zu mehr Aufklärung und weniger Unrecht geführt haben.

Doch zum Glück hält die Ausstellung in Basel noch andere Strategien bereit, die sich unter den Stichworten «schmuggeln» und «gezielt Verwirrung stiften» bündeln lassen. Dass sie neben politischem Furor auch subversiven Schalk haben, verstärkt ihre Wirkung entscheidend. Wie die arabischen Strassenkünstler, die im Auftrag der US-Serie «Homeland» Strassenkulissen mit arabischen Graffiti verzieren sollten. Sie nutzten die Gelegenheit, das rassistische Zerrbild, das die Terrorismusserie zeichnet, gezielt zu «hacken», indem sie Sprüche wie «Glaubt nicht, was ihr hier seht» und «Homeland ist rassistisch» sprayten. Da die SerienmacherInnen offenbar kein Arabisch konnten, merkten sie erst nach der Ausstrahlung, was man ihnen da untergejubelt hatte. Die aktuelle Staffel zeigt nun einen merklich anderen Umgang mit dem Terrorthema.

Noch dickere Lügen

Fast noch überzeugender ist es, wenn die Schmuggelware als gezielte Übertreibung die Realität zum subversiven Zerrbild zuspitzt. Wie bei den Yes Men, die es in ihrem berühmtesten Stunt schafften, einen Aktivisten als falschen Vertreter jener Chemiefirma, die 1984 mit einer Tankexplosion im indischen Bhopal Zehntausende getötet hatte, bei CNN und BBC auftreten zu lassen – um sich öffentlich zu entschuldigen.

Das erinnert frappant an eine legendäre Schweizer Episode, die in der Basler Ausstellung leider fehlt: der TV-Auftritt von zwei AktivistInnen, die nach einem unverhältnismässigen Polizeieinsatz während der Zürcher Jugendunruhen 1980 als «Herr und Frau Müller» die VertreterInnen von Politik und Polizei überrumpelten. So stachen sie alle Hardliner in der Talkrunde aus, indem sie mehr Härte, grössere Gummigeschosse und «Salzsäure oder so was» statt Tränengas forderten. Selten hat man BehördenvertreterInnen derart entblösst gesehen.

Doch was bedeutet das nun für das Hier und Jetzt? Zum Abschluss seines Buchs schreibt Georg Seesslen: «Die Demokratie ist nicht zu retten. Es sei denn, man würde sie neu erfinden.» Klingt gut – bleibt aber wolkig. Viel zugkräftiger wäre es womöglich, wenn sich die Yes Men in eine Trump-Pressekonferenz einschleusen würden. Man stelle sich vor, sie würden vor laufenden Kameras Trumps Lügengebäude statt mit Fakten, gegen die er immun zu sein scheint, mit noch dickeren Lügen zur Kenntlichkeit verzerren – so wie weiland die Müllers. Einen Versuch wärs wert.

Georg Seesslen: «Trump! POPulismus als Politik». Bertz + Fischer Verlag. Berlin 2017. 140 Seiten. 12 Franken.

«How much of this is fiction» in: Basel, Haus der elektronischen Künste, bis 21. Mai 2017. www.hek.ch