Durch den Monat mit Wilfried N’Sondé (Teil 4): Wie lebt es sich im Ausnahmezustand?

Nr. 17 –

Kurz vor der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl erschütterte eine Terrorattacke Paris. Dass die Rechtspopulistin Marine Le Pen davon nicht profitieren konnte, beweise die Besonnenheit der FranzösInnen, sagt der Schriftsteller und Musiker Wilfried N’Sondé.

Wilfried N’Sondé: «Etwas passiert, was eigentlich kein Mensch versteht. Und schon am nächsten Tag behaupten alle, die Ursachen zu kennen.»

WOZ: Herr N’Sondé, vor einigen Wochen haben Sie gesagt, Sie würden nicht wählen gehen. Sind Sie dabei geblieben?
Wilfried N’Sondé: Ja – ich habe am Sonntag tatsächlich nicht gewählt. Ich bin es wie gesagt leid, nur gegen Le Pen und den Front National zu stimmen, und möchte endlich einmal für ein Projekt stimmen, das ich wirklich unterstützen kann. Ein solches stand aber nicht zur Auswahl. Von meiner Sozialisierung her würde ich links wählen. Aber Jean-Luc Mélenchons Programm war mir zu konfus, und Benoît Hamon, der sozialistische Kandidat, kam für mich nicht infrage, weil ich zu enttäuscht vom Parti socialiste bin nach den furchtbaren fünf Jahren unter François Hollande.

Und was halten Sie von Emmanuel Macron, der in der ersten Runde am meisten Stimmen erhalten hat?
Ich bin froh, dass Macron Erster geworden ist und besser als Le Pen abgeschnitten hat – aber nicht, weil ich sein Programm besonders gut finden würde. Doch sollte er als parteiloser Kandidat nun tatsächlich Präsident werden, würde das bedeuten, dass sich die gesamte politische Landschaft in Frankreich neu formieren müsste – und das wäre gut, denn Frankreich braucht dringend eine Veränderung. Ich bin davon überzeugt, dass Macron die Stichwahl gegen Le Pen gewinnen wird, weil ihn alle anderen politischen Lager unterstützen werden.

Inwiefern war Ihnen das Programm des Linkspolitikers Mélenchon zu konfus?
Seine Hoffnung, die Europäische Union als Präsident Frankreichs umkrempeln zu können, schien mir zu idealistisch zu sein. Und für den Fall seines Scheiterns hatte er angekündigt, Frankreich aus der EU herauszuführen. Aus meiner Sicht wäre dieses Szenario eine Katastrophe. Frankreich gehört zu Europa. Ich glaube, dass die Zukunft nur in mehr internationaler Kooperation liegen kann und nicht in weniger. Es mag utopisch erscheinen, aber ich glaube daran, dass die Menschen irgendwann ihre Angelegenheiten weltweit gemeinsam regeln werden – und die EU ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Kurz vor der Wahl gab es eine Terrorattacke, am Donnerstagabend hat ein Angreifer auf den Champs-Élysées einen Polizisten erschossen und drei Menschen verletzt. Wie haben Sie diesen Vorfall erlebt?
Terroranschläge sind immer ein Schock. Ich verstehe einfach nicht, warum Leute andere grundlos erschiessen.

Viele Beobachter befürchteten, Le Pen würde von diesem Anschlag profitieren. Das war aber offensichtlich nicht der Fall.
Ja, die Franzosen sind nicht so irrational, dass sie deswegen gleich Le Pen als vermeintliche Retterin herbeirufen würden. Das Positive an den Ergebnissen vom Sonntag ist, dass trotz der vielen Stimmen für den Front National Frankreich insgesamt kein rechtsextremes Land ist. Allerdings haben über zwanzig Prozent nicht gewählt, und diese Tatsache müsste endlich richtig diskutiert werden. Ich bin nicht der Einzige, der unzufrieden ist mit dem politischen System. Aber es ist gut, dass wir uns nicht vom Terrorismus haben erschrecken lassen und nicht in Panik geraten sind. Das zeigt Charakter.

In Frankreich herrscht wegen der Terrorattacken von 2015 immer noch Ausnahmezustand. Wirkt sich das auf den Alltag aus?
Im Alltag bekommt man davon kaum etwas mit. In den Wochen nach den Anschlägen vom November 2015 sind auch hier in meinem Viertel Soldaten mit Maschinengewehren aufmarschiert, aber die sind nur noch selten zu sehen.

Würden Sie sagen, der Terror ist ein Problem des Islam?
Es ist doch immer so: Etwas passiert, was eigentlich kein Mensch versteht. Und schon am nächsten Tag behaupten alle, die Ursachen zu kennen. Wenn es am Islam liegen würde, würde doch die gesamte islamische Welt brennen, und das seit über tausend Jahren. Das ist völliger Blödsinn.

Im Herbst waren Sie Gastprofessor an der Universität Bern. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Ich habe das sehr genossen, ich bin in Bern sehr freundlich aufgenommen worden. Und ich hatte das Glück, sehr engagierte Studenten zu haben – was allerdings auch bedeutet hat, dass ich viel zu tun hatte (lacht). Deswegen hatte ich nur wenig Zeit, auszugehen, auch weil ich intensiv an der Fertigstellung meines neuen Romans gearbeitet habe.

Worum geht es in dem Buch?
Es ist ein historischer Roman – eine wahre Geschichte, jedenfalls deutet vieles darauf hin. Es ist die Geschichte einen Priesters aus dem Kongo im 17. Jahrhundert, der vom Papst nach Rom beordert wurde. Der Priester machte sich daraufhin auf eine Schiffsreise. Er reiste mit einem Sklavenschiff, seine Landsleute sassen angekettet unten im Bauch des Schiffes, während er oben war, als Priester und Gast des Papstes. Er kam über Brasilien nach Portugal, dann zu Fuss von Lissabon nach Madrid. In Toledo wurde er von der Inquisition verhaftet und war ein Jahr im Knast, bis ihn der Papst befreite. Schliesslich kam er in Rom an und starb später auch dort.

Wilfried N’Sondé (48) ist Musiker und Schriftsteller. Er lebt in Paris. Sein neuer Roman wird im Januar 2018 auf Französisch erscheinen, ein Titel steht noch nicht fest.