Durch den Monat mit Raimund Rodewald (Teil 1): Müssen wir den Rheinfall opfern?

Nr. 18 –

Raimund Rodewald, der Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, plädiert für ein Ja zum neuen Energiegesetz – obwohl er sich über einen Artikel darin sehr ärgert. Stromimporte findet er nicht immer schlecht.

Landschaftsschützer Raimund Rodewald: «Die Schweiz hat ihre Stärken in der Wasserkraft und hat dafür bereits viele Landschaftsopfer in Kauf ­genommen.»

WOZ: Raimund Rodewald, Sie haben das neue Energiegesetz, über das wir am 21. Mai abstimmen, letzten Herbst heftig kritisiert. «Man setzt hier unnötig und mutwillig die schönsten Landschaften der Schweiz aufs Spiel», sagten Sie in der Sendung «10 vor 10».
Raimund Rodewald: Ich habe nicht das ganze Energiegesetz kritisiert, sondern den Artikel 12. Er definiert Anlagen für die Erzeugung erneuerbarer Energien als nationales Interesse – gleichrangig mit dem Landschaftsschutz. Ich finde diesen Artikel dumm und unnötig, denn die Energiewende ist nicht davon abhängig, dass man nun auch in den nationalen Schutzgebieten Anlagen baut. Wir hatten einen guten Kompromissvorschlag, dem der Ständerat zugestimmt hatte, aber leider der Nationalrat nicht.

Wie sah dieser Vorschlag aus?
Wir wollten sicherstellen, dass der Kern des Schutzwerts eines national geschützten Gebiets nicht zerstört wird. Das heisst: Man dürfte zum Beispiel am Rheinfall kein Wasserkraftprojekt bewilligen, das einen Grossteil des Wassers einfach ableitet. Mit dem Artikel 12 würde das theoretisch möglich. Ausserdem befürchten wir, dass im Schatten der Energiestrategie der Druck auf Schutzgebiete generell zunimmt: Wann man darin Windparks oder neue Wasserkraftwerke bauen darf, kommen bald auch Forderungen nach neuen touristischen Anlagen, Kiesgruben oder Deponien.

Ihre Befürchtungen betreffen in erster Linie die grossen Landschaftsschutzgebiete, die sogenannten BLN-Gebiete (siehe WOZ Nr. 15/2017 ). Da scheint es folgerichtig, dass der Präsident Ihrer Stiftung, FDP-Nationalrat Kurt Fluri, die Energiestrategie ablehnt. Die Stiftung und Sie werben trotzdem für ein Ja.
Wir haben im Stiftungsrat debattiert und abgestimmt, und das Ja überwog ganz klar: Der Atomausstieg und der Umstieg auf erneuerbare Energiequellen sind von übergeordnetem Interesse, und vor allem ist das Thema Landschaftsschutz bei den Gegnern marginal. Wir möchten diesen Kreisen kein grünes Etikett geben. Dass die SVP, die sonst den Umweltschutz überall angreift, jetzt mit Landschaftsargumenten die Energiestrategie bekämpft, kann ich nicht ernst nehmen.

Also müssen wir den Rheinfall opfern?
Nein. Die Bevölkerung würde das nie zulassen! Ich bin ja in Schaffhausen aufgewachsen, dort sind Rhein und Randen – beides BLN-Gebiete – die grossen Landschaftsikonen, und zu Recht. Gegen ein grosses Rheinfallkraftwerk würden sich die Leute genauso wehren wie gegen einen Windpark auf dem Randen. Auch dafür gibt es Pläne. Unsere Position ist klar: Die BLN-Gebiete sind die Speicher unserer Geschichte und für grosse Eingriffe unantastbar. Wir werden uns bis vor Bundesgericht wehren, dass das so bleibt. Ob mit oder ohne Energiestrategie.

In ihrem neuen Positionspapier zur Windkraft fordert die Stiftung Landschaftsschutz Stromimporte. Wollen Sie andere Länder mit Windrädern zubauen, damit unsere Berge schön bleiben?
Nein. In Deutschland kann man bereits mehr als elf Prozent der Landesfläche als Windenergielandschaften bezeichnen. Das kann nicht grenzenlos weitergehen. Dennoch gibt es dort bereits Überkapazitäten an Windstrom, der auch viel effizienter produziert werden kann – vor allem offshore – als im Schwachwindland Schweiz. Es ist sinnvoll, dort Strom zu produzieren, wo es am wirkungsvollsten gemacht werden kann. Die Schweiz hat ihre Stärken in der Wasserkraft und hat dafür bereits viele Landschaftsopfer in Kauf genommen.

Für Kleinwasserkraftwerke werden noch heute Bäche geopfert – und oft protestiert fast niemand.
Ja. Wir haben gerade einen Fall vor Bundesgericht verloren, auch eine Anlage in einem BLN-Gebiet, im Walliser Lötschental. Die Wasserfassung liegt knapp ausserhalb des Schutzperimeters, fast die ganze Restwasserstrecke und auch die Zentrale innerhalb. Das Bundesgericht hat dem Vorhaben zu meiner grossen Enttäuschung zugestimmt. Ein Projekt im Lugnez in Graubünden hat es hingegen abgelehnt: Der Einfluss auf die geschützte Aue sei zu gross. Es ist unklar, wie es weitergehen soll, aber wir werden diese Auseinandersetzungen führen. Wenn wir sehen, dass es nicht gelingt, die BLN-Gebiete vor nachhaltigen Schäden zu bewahren, dann werden wir eine Initiative lancieren. Darüber diskutieren wir zurzeit mit anderen Schutzorganisationen.

Was stünde im Initiativtext?
Dass Bund und Kantone die Verantwortung für die BLN-Gebiete stärker wahrnehmen müssen. Eingriffe wird es immer geben, aber sie dürfen den Kern des Schutzwerts nicht infrage stellen.

Ist dieser Kern definiert?
Er lässt sich aus der neuen Verordnung zu den BLN-Gebieten ableiten. Von allen 162 Objekten gibt es jetzt ausführliche Beschreibungen, was an ihnen schutzwürdig ist. Für den Rheinfall zum Beispiel kann man klar definieren, ab welcher Wassermenge – je nach Jahreszeit – der Schutzwert infrage gestellt ist. Denn es gibt bereits ein altes Wasserkraftwerk am Rheinfall. Davon merkt man aber nichts.

Raimund Rodewald (57) ist Biologe und arbeitet seit 27 Jahren für die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, seit 25 Jahren als deren Geschäftsführer. Er lebt in Biel.