Durch den Monat mit Raimund Rodewald (Teil 3): Was droht bei einem Nein am Sonntag?

Nr. 20 –

Raimund Rodewald von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz zittert um die Energiestrategie, freut sich über einen Sieg vor Bundesgericht und hofft, dass das Wallis eine Lösung für seine eigenwillige Raumplanung findet.

«Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in einem zweiten Anlauf irgendwelche Verbesserungen für den Naturschutz gäbe – im Gegenteil»: Raimund Rodewald, Landschaftsschützer.

WOZ: Raimund Rodewald, dieses Wochenende wird über die Energiestrategie 2015 abgestimmt. Sind Sie zuversichtlich?
Raimund Rodewald: Ich bin am Zittern – ich hätte nicht gedacht, dass es so knapp wird. Die Gegner fahren eine sehr emotionale Kampagne. Ich finde es ja gut, Menschen mit Emotionen zu berühren, aber Plakate wie jenes mit dem Matterhorn voller Windräder sind einfach nur noch postfaktisch. Da wird der Teufel an die Wand gemalt. Auch ein knappes Ja wäre nicht günstig …

Was befürchten Sie?
Die zweite Etappe der Energiestrategie – und die braucht es, damit die Reduktionsziele erfüllt werden – würde es sehr schwer haben.

Und was erwarten Sie bei einem Nein?
Dann müsste eine neue Vorlage ausgearbeitet werden, denn viele heutige Förderungen sind befristet. Denkbar ist, dass die Bürgerlichen eine «Energiestrategie light» propagieren, die primär die Wasserkraft fördert. Die Energieeffizienzvorschriften hätten wohl keine Chance; die Reduktionsziele würden völlig aus dem Fokus geraten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in einem zweiten Anlauf irgendwelche Verbesserungen für den Natur- und Landschaftsschutz gäbe – im Gegenteil.

Sie haben bei der Stiftung Landschaftsschutz viel mit Recht zu tun, sind aber nicht Jurist. Wie haben Sie das gelernt?
Am Anfang habe ich einfach viel zugehört. Wir bearbeiten ja nicht alles selber, wir haben ein Netzwerk von Juristen, von dem ich extrem profitiere. Heute habe ich viel Freude an der juristischen Arbeit – und genug Erfahrung, um abschätzen zu können, ob eine Beschwerde eine Chance hat.

Wie wägen Sie das ab?
Ein Stück weit intuitiv. Oft betrifft es Gesetzeslücken. Ich versuche, mit Beschwerden die Gesetzesränder auszuloten, wie letztes Jahr im Fall Adligenswil, einer Gemeinde bei Luzern.

Worum ging es dort?
Die Gemeinde wollte acht Hektaren einzonen. Die geplanten Bauzonen lagen teilweise in einem Landschaftsschutzgebiet und tangierten auch schützenswerte Lebensräume. Umstritten war, ob die Umweltverbände bei Bauzonendimensionierungen ein Beschwerderecht haben. Wir gingen damit bis vor Bundesgericht, und wir haben gewonnen: Das Bundesgericht hat anerkannt, dass die Frage der Bauzonendimensionierung nach dem neuen Raumplanungsgesetz ganz klar eine Bundesaufgabe ist. Damit ist das Beschwerderecht gegeben. Diese Frage wollte ich unbedingt einmal klären, und jetzt haben wir dank dieses Urteils ein gestärktes Verbandsbeschwerderecht.

Und was macht jetzt Adligenswil?
Die Gemeinde hat die Bauzone auf vier Hektaren reduziert und verdichtet: Mehr- statt Einfamilienhäuser und nicht mehr an exponierten Lagen. Das ist eine akzeptable Lösung.

Sie waren stark an der Ausarbeitung des 2013 angenommenen Raumplanungsgesetzes beteiligt. Es verlangt strengere Richtpläne und eine Rückzonung von zu grossen Bauzonen. Wie sieht Ihre Bilanz aus? Greift das Gesetz?
Adligenswil war der Lackmustest dafür. Das Bundesgerichtsurteil weist in die richtige Richtung. Ob es auch im Wallis greift, wird sich am Sonntag zeigen. Dort wird über das neue kantonale Raumplanungsgesetz abgestimmt. Dieses Gesetz wäre in keinem anderen Kanton akzeptabel – im Wallis aber schon.

Weil kein anderer Kanton derart überdimensionierte Bauzonen hat?
Ja. Mit dem geplanten Gesetz würden über tausend Hektaren zurückgezont, und noch einmal etwa gleich viele sollen «Reservezone» werden: auf Eis gelegte Bauzonen, wo vielleicht in zwanzig, dreissig Jahren gebaut wird. Natürlich kann man sagen, der Kanton müsste noch mehr zurückzonen, aber das würde ihn wegen der Entschädigungszahlungen überfordern.

Was geschieht bei einem Nein zum Gesetz?
Das wäre ein Scherbenhaufen für das Wallis. Es würde unter Bundeshoheit gestellt und könnte nirgends mehr einzonen.

Das wäre doch gut für den Landschaftsschutz.
Nein. Der heutige Zustand würde eingefroren – samt den überdimensionierten Bauzonen. Entscheidend am neuen Gesetz ist, dass der Kanton damit Bauzonen umlagern kann. Denn im Talboden, am Rand der Städte, ist das Bauland zum Teil knapp. Dort sollte man einzonen können, um Verdichtung zu erreichen – und dafür die riesigen Bauzonen in manchen Berggemeinden verkleinern. Die Geschichte des Wallis mit der Raumplanung ist einzigartig, also braucht es auch eine einzigartige Lösung.

Historisch ist Landschaftsschutz nicht unbedingt ein linkes Anliegen: Im 20. Jahrhundert engagierten sich vor allem patriotische Konservative dafür. Wie ist das heute?
In der Bevölkerung ist die Sensibilität gestiegen – durch alle Lager hindurch. Das sieht man an den Abstimmungsresultaten: bei der Zweitwohnungsinitiative oder eben beim Raumplanungsgesetz. In der Bundespolitik dagegen ist auf bürgerlicher Seite das Verständnis oft nicht mehr da. Es immer wieder zu wecken, ist eine Daueraufgabe für mich.

Für seine juristische Arbeit als Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz hat Raimund Rodewald (57) einen Ehrendoktortitel in Jurisprudenz der Universität Basel erhalten.