Politik als Start-up-Unternehmen: Ein «like» für den Jungstar

Nr. 22 –

Emmanuel Macron in Frankreich, Sebastian Kurz in Österreich: Warum wollen die Leute keine Grossparteien mehr? Und was versprechen diese neuen Bewegungen? Ein Erklärungsversuch.

Aus Frankreich kommt der Dernier Cri des Politischen: neue Bewegung statt alte Parteien. In Österreich ist dieses Phänomen auch angekommen. Allerdings in einer lokalen Version: als neue «Liste Kurz», die sich auf eine alte Österreichische Volkspartei (ÖVP) setzt. Die KommentatorInnen sind entzückt von der modernen «Hybridform» und bescheinigen dem Zwitterwesen höchste Attraktivität. Solch ein Coup tritt zwar mit dem Gestus der Plötzlichkeit in Erscheinung, aber diese Plötzlichkeit hat eine längere Vorgeschichte. Eine Vorgeschichte, die in die graue Vorzeit der Grossen Koalition zurückreicht, die einem heute bereits als längst vergangene erscheint. Auch wenn deren Ende noch keine drei Wochen her ist.

In dieser Vorgeschichte hat sich in einem der beiden Regierungslager, dem konservativen, eine Subgruppe gebildet: allen voran der Aussenminister, der jungenhafte Sebastian Kurz, dicht gefolgt vom Innenminister und begleitet vom Fraktionschef der ÖVP. Eine paradoxe Quertreibergruppe – gehörte sie doch der Regierung an, die sie gleichzeitig sabotierte.

Ihr Ziel erreicht haben diese Quertreiber, als vor knapp drei Wochen der bisherige ÖVP-Vorsitzende und Vizekanzler, Reinhold Mitterlehner, entnervt das Handtuch warf. Das war kein Flügelkampf im Sinn von inhaltlichen Differenzen, von ideologischen Unterschieden. Es war ein schäbiger, intriganter Machtkampf. Aber einer, in dem – aufgrund der handelnden Personen – zwei Konzepte von Politik aufeinandergeprallt sind. Der honorige, bürokratische Amtsträger wurde von einer Gruppe selbstgesteuerter Ich-AGs abgeschossen.

Der Liste-und-Partei-Zwitter

Die zentrale Figur dieser Gruppe, Sebastian Kurz, versucht, den charismatischen Typus zu geben. Es ist ihm gelungen, die desolate ÖVP in den Zustand einer kollektiven Hysterie kippen zu lassen. Ohne erkennbare Leistung sehen sie in ihm ein «Jahrhunderttalent» und haben sich ihm – man kann es nicht anders sagen – hingegeben. Der alte Machtapparat hat zugestimmt, sich in das Anhängsel der neuen «Liste Kurz» zu verwandeln. In der österreichischen Version erscheint der Dernier Cri eher als ein Pfeifen aus dem letzten Loch.

Mit dem Zwitter aus Liste und Partei soll an den Hype um die in Frankreich von Emmanuel Macron initiierte neue politische Form angedockt werden. Er soll all das austreiben, was an Parteien als verstaubt erlebt wird. Warum aber wollen die Leute keine Grossparteien mehr? Und was versprechen Bewegungen?

Der Tenor lautet, Volksparteien seien «verkrustet» – starre Abläufe, fixe Hierarchien. Für den Einzelnen bedeutet dies Unterordnung, Anpassung. Das war einmal ein Vorteil, diese erzieherische, assimilierende Funktion der Massenparteien. So etwas erzeugt geschlossene Gruppierungen. Auch das war einmal ein Vorteil – der Vorteil der Gesinnungs- und Solidargemeinschaft. Heute aber überwuchert der Apparat alles: Er saugt die Menschen aus, ihre Ideen, ihre Energien. Das ist die Wahrnehmung. Eine vampiristische Institution.

Daher rührt die Attraktion politischer Bewegungen – selbst in ihrer Listenform. Dieser Zwitter bietet dazu den Vorteil, sich nicht wie eine politische Bewegung am freien Markt der Demokratie behaupten zu müssen. Finanziell und organisatorisch kann er ja auf den staatlich subventionierten Parteiapparat zurückgreifen. Für alle diese Formen aber, ob Bewegung oder Liste, gilt: Sie verhalten sich zu Parteien wie Lebensabschnittspartnerschaften zur Ehe. In diesem Sinn sind sie modern. Statt lebenslanger Bindung hat man ein Verhältnis, das sich zeitlich begrenzt weiss. Das verspricht vieles: Freiheit, Beweglichkeit, Neuheit, Dynamik.

Speziell die Listenform soll befreit – wenn auch nicht unabhängig – die Partei mit den Segnungen der Bewegung versorgen. Tatsächlich aber zeigt sich gerade am Zwitter der Partei/Liste, was Bewegungen heute von dem unterscheidet, was man bislang unter einer politischen Bewegung verstand. Die neuartigen Bewegungen haben diese Politikform gewissermassen usurpiert. Sie haben sich die alte Bewegungsform angeeignet – für den gegenteiligen Zweck. Die neue Erzählung vom Aufbruch kreist um das magische Wort «Öffnung».

Öffnung als Abgrenzung

Die erste Öffnung ist die des Apparats für Einzelne. Die «alte» Bewegung war eine der Massen, aus der sich eventuell eine oder mehrere Führungsfiguren herauskristallisierten. Heute geht es zwar darum, Einzelne zu befördern, statt den Apparat zu bedienen. Wie aber kommt dieser Einzelne vor?

Hier muss man zwischen dem Erscheinen des Einzelnen von oben und jenem von unten unterscheiden. Von oben geht es nur um ausgewählte, auserwählte Einzelne. Hier bedeutet die Öffnung die Einführung des Starprinzips in die ehemalige Massenorganisation. Das betrifft nicht nur den Mann an der Spitze – im österreichischen Fall den dreissigjährigen Kurz. Auch die Listenplätze sollen mittels Vorzugsstimmen und Beliebtheitswerten zu einer Art Funktionärsranking werden.

Von unten kommen die Einzelnen zwar auch vor. Waren diese bei «alten» Bewegungen aber Teilnehmer am Geschehen, so sind sie heute Unterstützerinnen. Ein wesentlicher Unterschied, der an der Art der Partizipation deutlich wird.

In der neuen Form geht es in erster Linie um eine Partizipation von oben. Dazu werden auch Nichtparteimitglieder eingeladen. Als ExpertInnen. Dieser eingeladene Experte ist der neue Lebensabschnittspartner. Als solcher wird dieser von einer Illusion getragen – der des neutralen Sachverstands. Als gäbe es ein nichtparteiisches Wissen, eine rein objektive Kompetenz, für die man die Übereinstimmung im Bereich der Werte, anders als bei Parteimitgliedern, eben reduzieren könne.

Emmanuel Macron hält die Offenheit auf dieser Ebene zumindest durch, wie die Zusammensetzung seines Kabinetts zeigt. Da ist alles versammelt: von Liberalen über SozialdemokratInnen bis hin zu Konservativen. Die Kurz-Liste hingegen hat solch eine Offenheit schon mit ihrem Auftreten verabschiedet. Die Art ihres Antritts hat die bestehende Koalition nicht nur beendet: Sie hat verbrannte Erde erzeugt. Auf dieser blüht keine grosse Koalition mehr. Ihre Öffnung ist also vor allem eine Abgrenzung: gegen die Sozialdemokratie. Hier werden die alten Parteigrenzen also nicht überwunden. Ganz im Gegenteil: Hier werden sie neu befestigt.

Interessanter noch ist die Veränderung bei der Partizipation «von unten». Hier kommen die Einzelnen nur als UnterstützerInnen vor. Sie sind über die sozialen Medien verbunden, «connected» mit den anderen UnterstützerInnen. Sie erhalten Botschaften, werden über das Fortschreiten der Bewegung auf dem Laufenden gehalten. Das ist nicht Teilnahme, sondern Teilhabe. Teilhabe am Erfolg – der Bewegung, vor allem aber am Erfolg der Stars.

Teilhabe am Erfolg

Und das ist das vielleicht zentralste Moment dieser neuen Politikform. Hier zeigt sich die Veränderung am deutlichsten. Parteien waren früher Institutionen, die ihre Mitglieder verändert haben, sie in ParteigenossInnen verwandelt haben. Die Leute wurden also bewegt. In den «alten» politischen Bewegungen hingegen hat man sich bewegt. Gemeinsam. Die Teilnahme war eine kollektive Veränderung und insofern eine Selbstermächtigung. Sowohl für die Einzelne als auch für das Kollektiv. So wurden etwa TeilnehmerInnen an der Umweltschutzbewegung zu «Grünen».

Bei den neuen Bewegungen hingegen bleiben die Leute gleich. Wozu sollten sie auch werden? Zu Macronistinnen? Zu Kurzianern? Nein, die Leute bleiben gleich, denn es sind nicht sie, die sich bewegen. Es ist gewissermassen ein Outsourcing des Bewegens. Statt sich zu bewegen, wird das Bewegen delegiert: an die Stars, an die ExpertInnen, an den Erfolg. Für die Menschen hingegen soll es nicht ums Mitmachen, nicht ums Mitbestimmen gehen. Für sie ist nur die Teilhabe am Erfolg vorgesehen. Ihre ganze Bewegung, ihre ganze Veränderung ist jene in eine paradigmatische heutige Figur: Sie sollen zu Fans werden.

Isolde Charim ist freie Publizistin und Philosophin. Sie lebt in Wien.