Kolumbien: Und wieder droht ein Massaker

Nr. 28 –

Die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc) erfüllen, was sie versprochen haben: In der vergangenen Woche hat die dafür zuständige Mission der Vereinten Nationen mehr als neun Tonnen Farc-Waffen vernichtet – einen Grossteil des Arsenals der Guerilla. Das ist zwar noch nicht alles – die Entwaffnung der Aufständischen hinkt über einen Monat hinter dem Zeitplan des Friedensvertrags her. Aber das ist nicht die Schuld der Farc, sondern die der Regierung: Die Lager, in denen sich die Guerillaeinheiten zur Demobilisierung gesammelt haben, sind nicht rechtzeitig fertig geworden.

Nach über fünfzig Jahren Krieg mit mehr als 220 000 Toten und über 6 Millionen Vertriebenen sind solche Verzögerungen zweitrangig. Viel fataler ist ein anderes Versäumnis der Regierung: Der Staat ist nicht fähig, in den Gegenden für Sicherheit zu sorgen, in denen die Guerilla vor ihrem Abzug einzige Ordnungsmacht war. Dabei war abzusehen, dass die ultrarechten Paramilitärs in diese Zonen einrücken würden, sobald die Farc verschwunden sind. Nicht nur, weil es dann leicht ist, an tatsächlichen oder vermeintlichen UnterstützerInnen der Guerilla Rache zu nehmen. Diese Gegenden – etwa die abgelegenen Provinzen Caquetá, Putumayo und Meta – sind wichtige und äusserst rentable Kokaanbaugebiete.

Der Staat nennt die seit 2006 offiziell aufgelösten Paramilitärs heute verniedlichend «bacrim» (für «bandas criminales»), obwohl diese «kriminellen Banden» zum Teil mehrere Tausend Mann unter Waffen haben. Sie haben in diesem Jahr schon über fünfzig Gewerkschafterinnen, Bauernführer und Menschenrechtlerinnen ermordet. Es lässt sich leicht ausmalen, was passieren kann, wenn die demobilisierten Farc-KämpferInnen demnächst ihre geschützten Lager verlassen werden. Schon einmal, Mitte der achtziger Jahre, hatte ein Teil der Farc die Waffen niedergelegt und die Linkspartei Unión Patriótica aufgebaut. Ihre über 3000 Mitglieder wurden allesamt ermordet. Sollte es noch einmal zu einem solchen Massaker kommen, träfe Präsident Juan Manuel Santos ein Grossteil der Schuld.