Frauen im Bundesrat: Der lange Herbst der Patriarchen

Nr. 31 –

Die Delegierten der Tessiner FDP haben entschieden: Sie setzen nur einen Kandidaten auf ihr Bundesratsticket. Einen Mann, Ignazio Cassis. Mit der Waadtländer Staatsrätin Jacqueline de Quattro hat zwar bereits eine Frau ihr Interesse angemeldet – und auch Nationalrätin Isabelle Moret denkt über eine Kandidatur nach. Doch der Wille an der Parteispitze, eine Frau in den Bundesrat zu hieven, ist nicht erkennbar.

Er fehlt selbst bei den FDP-Frauen. Nationalrätin und FDP-Frauen-Präsidentin Doris Fiala verstieg sich zur Aussage, die Zeit sei noch nicht reif für eine reine Frauenkandidatur. Und sie strickte mit an der Erzählung, die Ignazio Cassis zu seiner Favoritenrolle verhalf: Der Anspruch des Tessins habe Vorrang vor der Frauenfrage. Und Cassis sei nun einmal ein sehr fähiger Kandidat. Fähig mag der FDP-Fraktionspräsident sein. Aber Fiala müsste eigentlich aus eigener Erfahrung wissen, dass sein Aufstieg auch das Ergebnis patriarchaler Strukturen ist, die fähige Männer noch immer weit rascher nach oben spülen als ebenso fähige Frauen.

Vor wenigen Wochen unterlag Fiala bei der Nominierung für die Zürcher Stadtratswahlen dem weit unbekannteren Gemeinderat Michael Baumer. Ihren Frust lächelte Fiala weg. Doch die Quintessenz ist: Zum logischen Kandidaten werden in der Schweiz nach wie vor vornehmlich Männer. Das hat auch die ehemalige Nationalrätin und Staatsrätin Laura Sadis erfahren müssen. Früh hatte sie, die als Tessinerin die aussichtsreichste Frauenkandidatur gewesen wäre, ihr Interesse am Bundesratsamt angemeldet. Mit dem Vorschlag eines Einertickets hat sie der Vorstand der Tessiner FDP abgekanzelt. Am Ende zog Sadis, die übrigens ihren Rücktritt aus der Tessiner Regierung vor zwei Jahren auch mit dem rauen Stil der männlich dominierten Tessiner Politik begründet hatte, ihre Kandidatur zurück.

Die bürgerlichen Parteien haben kein Frauenproblem, sie haben ein Problem mit Frauen. Verschleiert wird das mit dem Mythos, Frauen seien in den Regierungen und Legislativen zur Selbstverständlichkeit geworden. Deshalb dürfe im Einzelfall das Geschlecht keine Rolle mehr spielen. Dabei verhält es sich genau umgekehrt: Damit Frauen irgendwann tatsächlich so selbstverständlich aufsteigen können wie Männer, braucht es eine gezielte Förderung. Bei den linken Parteien, die Genderfragen im Gegensatz zu den bürgerlichen Parteien nicht zu lästiger «Political Correctness» erklärt haben, ist der Frauenanteil eklatant höher. Das gilt sowohl für die nationale Politik (bei der FDP liegt der Frauenanteil im Nationalrat bei 20 Prozent, im Ständerat gar bei nur einer Vertreterin) als auch für die Kantone: Von den 40 RegierungsrätInnen der FDP sind 8 Frauen, das ist ein Anteil von 20 Prozent; die CVP stellt ebenfalls 40 RegierungsrätInnen, darunter sind 5 Frauen, macht eine Quote von 12,5 Prozent. Dass Frauen halbwegs angemessen mitregieren, liegt allein an den Linken: Von den 28 RegierungsrätInnen der SP sind 13 Frauen – eine Quote von 46 Prozent.

Selbstverständlich waren die Frauen auch in der Landesregierung nie. Man denke etwa an die erste und bislang einzige FDP-Bundesrätin Elisabeth Kopp, die über die Affäre ihres Mannes stolperte. An Ruth Metzler, die als erstes Regierungsmitglied seit hundert Jahren abgewählt wurde – um dem Oberpatriarchen Christoph Blocher Platz zu machen. Oder an die «Hexenjagd» ihrer Partei, der Eveline Widmer-Schlumpf nach der Wahl in die Regierung ausgesetzt war.

Der strukturelle Sexismus trifft auch in der Politik in erster Linie Frauen, die anderen Bewertungsparametern ausgesetzt werden. Weil Micheline Calmy-Rey während ihrer Regierungszeit so durchsetzungsstark auftrat wie ihre männlichen Kollegen, erhielt sie den Spitznamen «Cruella». Doris Leuthard, «das Schätzchen der Nation», trat eine Kleiderdebatte los. Und als 2010 bis 2012 erstmals eine Frauenmehrheit im Bundesrat herrschte, benutzte der «Blick» gerne das Wort «Zickenstreit».

Die Frauenmehrheit ist längst wieder Geschichte. Und mit dem gerade von Doris Leuthard angekündigten Rücktritt steht einer von zwei Frauensitzen bald zur Disposition. Vor diesem Hintergrund mutet die Frauendebatte in der FDP mehr als peinlich an.