Durch den Monat mit Tommy Vercetti (Teil 3): Ist es inkonsequent, als Kapitalismusgegner Werbung zu gestalten?

Nr. 33 –

Tommy Vercetti hat am Morgen Marx gelesen und am Nachmittag als Grafiker gearbeitet. Jetzt dekonstruiert er die westliche Metaphysik des Geldes.

Simon Küffer alias Tommy Vercetti: «Wenn wir im Kapitalismus unser Essen verdienen müssen, machen wir alle mal einen Scheiss.»

WOZ: Tommy Vercetti, Sie arbeiten an einer Doktorarbeit. Worum geht es darin?
Tommy Vercetti: Ich untersuche massen- mediale Bilder daraufhin, welche Narrative über Geld sie verbreiten. Das ist darum span- nend, weil die Funktionsweise von Geld auch davon abhängt, was wir davon denken. Kurze Zeit nach der Finanzkrise sah man ein Plakat der Credit Suisse: Vater und Sohn beim Fischen. Die Werbung wollte in Krisenzeiten das Vertrauen in die Bank fördern, über die wir unser Geld an die nächste Generation weitergeben sollen.

Ist die Wissenschaft Ihr Rückzugsort vom Showbusiness?
Es gibt sogar Überschneidungen. Ich habe auch Albumcovers aus der Schweizer Hit- parade untersucht und dabei etwas Interessan- tes herausgefunden: Das einzige Genre, in dem Geld thematisiert wird, ist der Rap. Die Tatsa- che, dass Rapper in ihren Songs oft von sich und ihrer Lebensrealität erzählen, hat zwar etwas Narzisstisches, aber es erlaubt dem Rap vielleicht auch, relevanter zu bleiben.

Sie lassen keine Möglichkeit aus, das Buch «Die Herrschaft des Geldes» von Karl-Heinz Brodbeck zu empfehlen. Was fasziniert Sie daran?
Dieses Buch ist ein Jahrhundertwurf – auf einer Stufe mit Pierre Bourdieus «Die feinen Unterschiede» oder Marx’ «Kapital». Brodbeck behauptet darin, dass die ganze Misere des Kapitalismus, ja der westlichen Geschichte auf die Struktur des Geldes zurückzuführen sei. Was mir als Marxist gefallen hat: Der Autor kritisiert Marx zwar, widerruft ihn aber nicht, sondern möchte ihn im Gegenteil noch radikalisieren.

Was ist so radikal daran?
Dass es so gründlich ist. Brodbeck be- ginnt bei den Grundzügen des westlichen Denkens, bei Subjekt und Objekt. Diese Grund- struktur, die immer ein Gewaltverhältnis ist und eng mit der Geschichte des Geldes zusam- menhängt, ist für ihn ein Hauptproblem west- lichen Denkens. Um es zu lösen, bezieht er sich auf die buddhistische Denktradition. Statt dass ein solitäres Subjekt sich Objekte unterwirft, ist es darin vielmehr so, dass sich verschiedene Subjekte über ein Objekt einigen. Für das Geld heisst das: Es ist ein soziales Phänomen – kein Ding, sondern eine Denkweise.

Wie denken wir über Geld?
Es gibt zuerst einmal eine interessante Ambivalenz: Trotz seiner fundamentalen Bedeutung für unsere Gesellschaft ist Geld ge- nerell schlecht angesehen. Jedenfalls würde kaum jemand sagen: «Ich lebe für Geld.»

Besonders in der Schweiz, wo gilt: Je grösser die Villa, desto grösser der Zaun, der sie verbirgt.
Genau. Geld gilt immer auch als verwerf- lich, im besten Fall als notwendig. Zur Verschlei- erung der Ausbeutung, die mit dem Geld ver- bunden ist, kommt neben der Verachtung etwa das Narrativ vom selbstständigen Mechanis- mus. In der Werbung heisst es oft: «Dein Geld arbeitet für dich.» Das ist hyperideologisch.

Bis vor kurzer Zeit haben Sie als Grafiker selber Werbung gestaltet. Ist das für einen Kapitalis- musgegner nicht inkonsequent?
Doch, natürlich. Ich habe früher zum Witz gesagt: Am Morgen lese ich Marx, am Nachmittag gestalte ich Werbung. Es wäre übertrieben zu sagen, dass ich darunter gelitten hätte. Ich bin mir sehr bewusst, dass es kein richtiges Leben im falschen gibt. Wenn wir im Kapitalismus unser Essen verdienen müssen, machen wir alle mal einen Scheiss.

Aber?
Ich habe schon viel über meinen Job nachgedacht. In den westlichen Ländern geht die Ausbeutung ja stark auf die Kreativen über. Immer mehr zählt hier der Schmuck von Pro- dukten – Marke, Image, Design –, der soziale Distinktion ermöglicht. Mit der Wertschöpfung verschiebt sich auch die Ausbeutung dorthin. Als Grafiker ist man mittendrin in dieser visuellen Imagemaschinerie.

Und als Musiker?
Vielleicht auch, weil ich als Grafiker jene Erfahrung gemacht habe, wollte ich in der Mu- sik nie Kompromisse eingehen.

Also würden Sie gar nicht von der Musik leben wollen?
Im besten Jahr unserer Formation Eldorado FM wäre das wohl möglich gewesen – einer von uns, Manillio, lebt nun davon. Ich hätte nicht einmal Angst davor, mich direkt verbie- gen zu müssen. Doch wenn Produzieren und Auftreten zur Notwendigkeit werden, schleichen sich Zwänge ein. Dann ist das Risiko gross, dass man auf sichere Karten zu setzen beginnt.

Sie haben den Rapper Knackeboul in einem Song einmal einen «Hueresohn» genannt, weil er Ihnen zu kommerziell war.
Im Gegenteil, seine Musik finde ich sogar sehr mutig! Diese Geschichte war für mich ein Lehrstück darin, wie eine Aussage medial ver- zerrt werden kann. Es ging mir einzig um seine Rolle als Moderator der SRF-Sendung «Cover Me». Dort ging es vordergründig darum, die Schweizer Rapszene einem grösseren Publikum näherzubringen – das wäre eine Chance gewe- sen! Stattdessen wurden die übelsten Klischees über Rap reproduziert und gegenüber Herrn und Frau Schweizer auch ja betont, wie harmlos das alles sei. Man hat uns nicht nur lächerlich gemacht, sondern auch noch domestiziert.

Tommy Vercetti (36) wäre fast für die PdA in den Berner Stadtrat eingezogen. Wirkliche Demokratie sei aber nur per Enteignung möglich, meint er.