Altersvorsorge 2020: Immerhin ein Kompromiss

Nr. 34 –

Die Altersvorsorge 2020 ist ein bitterer Kompromiss, vor allem für die Frauen. Die Rentenaltererhöhung kostet sie rund 1,4 Milliarden Franken. Es gibt aber auch Verbesserungen. Zum Beispiel für ältere Langzeitarbeitslose und Teilzeitarbeitende. Eine Übersicht.

Die aktuellen Abstimmungskampagnen der rechtsbürgerlichen Parteien und der Wirtschaftsverbände malen mal wieder ein düsteres Bild der AHV und ihrer Zukunft. Sie tun, als wäre die Demografie der alles entscheidende Faktor. Kriterien wie Lohnwachstum und Produktivität lassen sich aber nicht linear in die Zukunft projizieren. Was all die Prognosen wirklich wert sind, wird sich in zehn Jahren erweisen.

Auch AutorInnen der NZZ-Gruppe hyperventilieren. Ähnlich wie im vergangenen Sommer vor der Abstimmung über die AHV-plus-Initiative schreiben sie in einem beachtlichen Artikelstakkato den Untergang der AHV herbei. Die schrille Tonlage ist lachhaft. Und durchsichtig: Denn dem Freisinn und der SVP-Parteiführung sind der starke Umverteilungshebel von oben nach unten und somit eine starke AHV und anständige Renten für alle ein Dorn im Auge. Sie möchten das System umbauen, das Risiko individualisieren, die Renten dauerhaft senken (unter anderem mit weiteren Rentenaltererhöhungen) – und der Finanzindustrie am liebsten noch ein grösseres Stück vom lukrativen Anlagegeschäft zuschanzen. Ein Nein und somit eine immer schlechter finanzierte AHV käme ihrer seit Jahren verfolgten Abbauagenda entgegen. Doch reife Alternativen, die bei den StimmbürgerInnen eine Chance hätten, haben sie trotz des lauten Geschreis nicht vorzuweisen.

Die Abstimmung

Die AHV ist immer noch sehr solide finanziert. Im Ausgleichsfonds liegen 42 Milliarden Franken, letztes Jahr erwirtschaftete er 1,2 Milliarden. Und auch die Pensionskassen, wiewohl ihre Anlagen schlecht performen, horten Reserven in der Höhe von 114 Milliarden Franken. Das Vorsorgesystem steht nicht vor dem Kollaps, auch nicht in den nächsten Jahren. Klar ist bloss, dass diese Reserven wahrscheinlich angesichts der geburtenstarken Jahrgänge, die in den nächsten Jahren in Rente gehen, rasch schmelzen. Die Vorlage Altersvorsorge 2020 soll genau das verhindern und die Finanzen bis 2030 stabilisieren.

Im Parlament kam es bekanntlich zu einer Krimiabstimmung. Mit einer extrem knappen Mehrheit von bloss einer Stimme hiess das Parlament die Vorlage gut. Bundesrat, SP, CVP, BDP, Grüne und Grünliberale sind für die Altersreform, FDP und SVP dagegen. Unter dem Strich wird die Reform das Niveau der laufenden und künftigen Renten in etwa gewährleisten. Die StimmbürgerInnen haben am 24. September einerseits über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,6 Prozent zu befinden. Da das Referendum von ganz links zustande gekommen ist, wird zudem mit einfachem Volksmehr über die Vorlage selbst abgestimmt. Beide Punkte müssen eine entsprechende Mehrheit finden, sonst ist die Reform abgelehnt. Findet sie Zustimmung, und das legt die jüngste Umfrage des Forschungsinstituts GfS Bern (je 53 Prozent Zustimmung) derzeit nahe, tritt die Reform 2018 in Kraft.

Umwandlungssatz sinkt

In der zweiten Säule gäbe es dann eine schrittweise Senkung des Umwandlungssatzes bis 2021 von 6,8 auf 6 Prozent (bei einem Pensionskassenkapital von 100 000 Franken sind das 800 Franken weniger pro Jahr). Diese Rentensenkung von 12 Prozent ist eine der bitteren Pillen dieser Vorlage. Allerdings wird die Senkung innerhalb der zweiten Säule für die Übergangsgeneration ab dem Alter von 45 Jahren ausgeglichen, sie erhält Zuschüsse. Auf der anderen Seite erhalten alle NeurentnerInnen pro Monat zusätzlich 70 Franken AHV (Ehepaare maximal 226 Franken). Finanziert wird die Stabilisierung der Renten mit 0,3 Prozent höheren Lohnabzügen sowie einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um insgesamt 0,6 Prozent (ab 2018 fliessen die 0,3 Prozent Mehrwertsteuer, die heute noch der IV zugutekommen, in die AHV; ab 2021 wird sie dann um 0,3 Prozent auf 8,3 Prozent erhöht).

Eines der Hauptargumente der GegnerInnen – das gehe auf Kosten der Jungen, und auch die gegenwärtigen RentnerInnen profitierten nicht davon – blendet aus, dass die Jungen eine höhere Lebenserwartung haben und länger Rente beziehen werden; die aktuellen RentnerInnen sind von diesen Massnahmen nicht betroffen. Insbesondere jene mit einer halbwegs guten Pensionskasse betrifft die Senkung des Umwandlungssatzes nicht, sie können also ihren Besitzstand voll wahren.

Rentenalter der Frauen

Die bitterste Pille ist die schrittweise Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65. Die Frauen bezahlen dafür einen gewaltigen Preis, sie tragen 1,4 Milliarden Franken zur Sicherung der Finanzierung bei. Bitter ist es unter anderem deswegen, weil die Frauen im Schnitt für gleiche Arbeit immer noch deutlich schlechter bezahlt werden – eine halbe Million Frauen haben gar keine Pensionskasse. Die Vorlage federt diese massive Ungerechtigkeit etwas ab: Mit der Senkung des Koordinationsabzugs werden tiefere Löhne pensionskassenpflichtig. Davon profitieren insbesondere Teilzeitarbeitende etwas. Auch die Erhöhung der AHV-Rente ist für Frauen, die keine Pensionskassenrente beziehen, eine Verbesserung. Allerdings werden Menschen mit tiefen Renten diese Verbesserung kaum spüren – manchen werden die Ergänzungsleistungen um diesen Betrag gekürzt, andere verlieren gar wegen der höheren Rente ihren Anspruch auf Ergänzungsleistungen. Im schlechtesten Fall wird ihr Rentenniveau sogar leicht sinken.

Flexible Pensionierung ab 62

Zumindest im Ansatz (der Teufel steckt bekanntlich im Detail) bringt die Reform klare Verbesserungen, an erster Stelle die Flexibilisierung des Altersrücktritts zwischen 62 und 70 Jahren. Dabei werden die Renten bei einem Vorbezug vor dem Referenzalter 65 etwas weniger stark gekürzt (wer sich heute zum Beispiel mit 63 pensionieren lässt, dem wird die Rente um 13,6 Prozent gekürzt, künftig wären es bloss noch 7,9 Prozent). Auf der anderen Seite werden die Rentenzuschläge für den Aufschub der Rente nicht mehr gleich gut belohnt (wer heute die Rente um ein Jahr aufschiebt, erhält eine um 5,2 Prozent höhere Rente, neu wären es nur noch 4,4 Prozent).

Eine ebenfalls wichtige Neuerung: Bislang ist der Bezug einer Pensionskassenrente an einen Arbeitsplatz gebunden. Wer arbeitslos wird, verliert seinen Rentenanspruch, er oder sie hat dann bloss ihr Pensionskassenkapital auf einem Freizügigkeitskonto. Bei Annahme der Reform bleibt auch BVG-versichert, wer ab dem 58. Lebensjahr arbeitslos wird. Das ist besonders für Langzeitarbeitslose eine erhebliche Verbesserung, in Form einer höheren Rente. Auch wären ihre Vorsorgegelder besser geschützt. So etwa vor Sozialämtern, die heute mitunter sozialhilfeabhängige Langzeitarbeitslose zum Bezug des Pensionskassenkapitals drängen, um die Sozialhilfegelder einzukassieren.

Ein grosser sozialpolitischer Wurf ist die Vorlage nicht, besonders im Hinblick auf GeringverdienerInnen. Aber immerhin könnte bei einer Annahme das grösste Sozialwerk auf lange Sicht vor dem Zugriff der Finanzindustrie und ihrer politischen LobbyistInnen geschützt werden. Und eine Rentenaltererhöhung wäre zumindest für die nächsten Jahre vom Tisch.