Mediendeals: Die Verachtung des Lokalen

Nr. 34 –

Der Kauf von 25 Gratiszeitungen durch Christoph Blocher könnte den Lokaljournalismus dramatisch verändern. Erst recht, wenn Tamedia nun die Medienkonzentration weiter vorantreibt.

Wer berichtet, wenn sich vor Ort etwas tut? Spatenstich zu einer Überbauung in Winterthur, festgehalten vom Fotografen der Lokalzeitung. Foto: Patrick Gutenberg, «Landbote»

Im Jahr nach der Wahl von Donald Trump kam es bei der Vergabe des Pulitzer-Medienpreises zu einer Überraschung. In der Kategorie «Leitartikel» gewann kein Kommentar zum US-Präsidenten. Nein, es gewann Art Cullen von der «Storm Lake Times» für seine Leitartikel gegen die Agrarkonzerne, die im ländlich geprägten Iowa das Trinkwasser verschmutzen. Die Geschichte des schnauzbärtigen Cullen, der die Zeitung im Familienbetrieb mit Bruder John, Ehefrau Dolores, Sohn Tom und Redaktionshund Mabel herausgibt, ging um die Welt. In der Begeisterung über die Lokalzeitung mit einer Auflage von nur 3000 Exemplaren schwang die Sehnsucht nach dem guten alten Journalismus in Zeiten von Medienkrise und Fake News mit. Doch kann man die Geschichte auch für bare Münze nehmen: Der Lokaljournalismus hat im Jahr 2017 eine Zukunft.

In diesem Sinn stellt es einen Coup von Christoph Blocher dar, dass er vergangene Woche den Kauf des Gratiszeitungsimperiums Zehnder Medien mit einer Auflage von 700 000 Exemplaren vermelden konnte. Nach der «Weltwoche», bei der die Hintergründe des Kaufs weiterhin ungeklärt sind, und der «Basler Zeitung», deren Kauf Blocher lange leugnete, erhält die SVP Zugriff auf 25 Lokalzeitungen, die wöchentlich jeden fünften Haushalt der Schweiz erreichen. Die Kritik an einer Blocherisierung der Medien ist berechtigt, nimmt aber nicht das ganze Problem in den Blick. Auch wenn ihn seine AnhängerInnen «Chefstratege» nennen, ist Blocher vor allem der Nutzniesser einer Situation, die aus der Verachtung der Medienkonzerne für den Lokaljournalismus entstanden ist.

Die grosse Monopolisierung

Die Entwicklung begann vor fünfzig Jahren, als sich im Nachgang von 1968 die Gesinnungspresse aufzulösen begann, die an ein soziales Milieu gebunden war, ob freisinnig, katholisch oder sozialdemokratisch. Vor zwanzig Jahren kam es zur grossen Flurbereinigung, als in den Regionen Monopolzeitungen entstanden: In der Ostschweiz beispielsweise schluckte das liberale «St. Galler Tagblatt» 1997 die katholische «Ostschweiz». Die regionalen Monopolisten wurden von nationalen übernommen, sodass sich die Medienlandschaft heute als Oligopol präsentiert: Tamedia und Ringier kommen je auf einen Umsatz von jährlich rund einer Milliarde Franken, die NZZ erreicht knapp 500 Millionen. Als kleinere Mitspieler halten können sich die Mediengruppen um die «Aargauer Zeitung» und die «Südostschweiz».

Im Strukturwandel engagierten sich nicht nur Freisinnige und KatholikInnen zu wenig für ihre Titel, sondern auch SP und Gewerkschaften: Die Arbeiterzeitungen schlossen sich zwar zu einem AZ-Ring zusammen, dieser scheiterte aber an inhaltlichen Differenzen. Überlebt hat einzig die «Schaffhauser AZ».

Die Regionalzeitungen haben zwar wie alle Medien mit Inserateeinbrüchen zu kämpfen, doch sind sie weiterhin nützliche Cashcows. Das zeigt der Geschäftsbericht der NZZ-Gruppe: NZZ, «NZZ am Sonntag» und «NZZ Online» erzielten 2016 gemeinsam einen Gewinn von 6,8 Millionen Franken. Das «St. Galler Tagblatt» und die «Luzerner Zeitung», die zur Mediengruppe gehören, erwirtschafteten zusammen einen Gewinn von 16,7 Millionen Franken. Sie trugen also wesentlich zum Gewinn der Mediengruppe bei. Der Spardruck bleibt aber hoch: So mussten die beiden Zeitungen kürzlich einen gemeinsamen Mantelteil einführen.

Diese Strategie treibt Tamedia nun auf die Spitze: Wie sie kurz vor Redaktionsschluss der WOZ bekannt gab, will sie künftig alle zwölf Tageszeitungen aus einer Zentrale beliefern (vgl. «Tamedia total» in Anschluss an diesen Text). Die einzelnen Titel sollen noch für die regionale Berichterstattung zuständig sein. Was vermeintlich wie eine Rettung des Lokaljournalismus aussieht, bedeutet tatsächlich seine Aushöhlung. Er soll schliesslich nicht nur auf einen Ort schauen, sondern auch von einem Ort hinaus in die Schweiz und in die Welt.

Die Medienkonzentration ist in einem kleinteiligen politischen System wie der Schweiz besonders heikel: Die Kantonsparlamente und Regierungsräte sind gerade in kleineren Kantonen machtpolitische Dunkelkammern, über die häufig nur ein Monopolist und das SRF-«Regionaljournal» berichten. Das ist die Ausgangslage, in der Blocher nach den Gratiszeitungen greift.

Rechtsbürgerliches Grundrauschen

Schon heute sorgen die 25 Zehnder-Titel wöchentlich für ein rechtsbürgerliches Grundrauschen aus dem Briefkasten, mit Inseraten und Gastbeiträgen der bürgerlichen Parteien sowie der örtlichen Gewerbeverbände und Industrie- und Handelskammern. Es braucht nicht viele MitarbeiterInnen, um diese Titel koordinierter und schlagkräftiger einzusetzen. Williges Personal hat Blocher noch immer gefunden. Im Gegensatz zur «BaZ» können bei einer Gratiszeitung zudem die LeserInnen nicht davonlaufen. Nach dem Kauf gab der Milliardär auf «Tele Blocher» den Lokalverleger: Der Metzger im Toggenburg interessiere sich für das Geschehen vor Ort, also inseriere er im Gratisanzeiger. «Auch das Lokale ist politisch», fügte Blocher an und kündigte eine Verbesserung der Zeitungen an.

Welche Wucht lokale Gratiszeitungen entfalten können, zeigt das Beispiel der «Obersee Nachrichten», die Verleger Bruno Hug gehören. Er schaffte es mit einem aggressiven Kampagnenjournalismus fern von Persönlichkeitsrechten und berufsethischen Richtlinien, den Stadtpräsidenten von Rapperswil-Jona aus dem Amt zu jagen und die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) zum nationalen Thema zu machen (vgl. «Was weiter geschah» ).

Mit dem Kauf der Gratiszeitungen durch Blocher und der fortschreitenden Monopolisierung von Tamedia tritt der Lokaljournalismus in der Schweiz in eine heikle Phase. Der NZZ könnte dabei eine historische Chance zukommen, allerdings beschäftigt sich ihr Chefredaktor derzeit lieber mit der moralischen Aufrüstung Deutschlands als mit der föderalistischen Struktur der Schweiz. Eine unabhängige Presse steht und fällt auch mit der Frage, ob LeserInnen bereit sind, für ihre Regionalzeitung zu bezahlen und sich für deren Unabhängigkeit starkzumachen. Ganz so glatt wie angekündigt dürfte der Tamedia-Umbau nicht über die Bühne gehen.

In vielen Städten und Regionen sind in den letzten Jahren zudem Alternativen entstanden, von der Basler «TagesWoche» bis zum Zürcher Stadtportal «Tsüri», vom Ostschweizer Kulturmagazin «Saiten» bis zum Innerschweizer «zentralplus». Sie setzen auf Lokaljournalismus, häufig in Mischformen zwischen gedruckt und digital. Und sie alle können sich Art Cullen zum Vorbild nehmen. Schliesslich ist auch die «Storm Lake Times» ein unabhängiger Familienbetrieb. Besser als Cullen kann man die Ansprüche des Lokaljournalismus nicht auf den Punkt bringen: «Wir glaubten immer, die ‹Storm Lake Times› sollte Storm Lake so gut abbilden wie die ‹New York Times› New York. Es gibt keinen Grund, warum ein Leitartikel aus Iowa nicht so gut geschrieben sein sollte wie einer aus Washington.»

ZeitungsUmbau : Tamedia total

Seit Monaten wird über die Umbaupläne bei Tamedia und damit verbundene Entlassungen spekuliert (siehe WOZ Nr. 32/2017 ). Gestern liessen die Bosse die Katze aus dem Sack, was die neuen Strukturen der Zeitungen betrifft: Die zwölf Tageszeitungen des Konzerns bekommen ab Januar 2018 einen gemeinsamen Mantel verpasst, drei «Kompetenzzentren» in Zürich, Bern und Lausanne beliefern ihn. Neu gibt es zwei sprachregionale Redaktionen. Chefredaktor für die deutschsprachige Redaktion wird Arthur Rutishauser (er bleibt auch Chef der «SonntagsZeitung»), in der Westschweiz ist es Ariane Dayer. Die einzelnen Zeitungstitel bleiben erhalten mit eigenen ChefredaktorInnen. So wird etwa beim «Tages-Anzeiger» Judith Wittwer neu Chefredaktorin. Es ist aber letztlich ein Zentralisierungsprozess, der die Macht in wenigen Händen konzentriert. Tamedia total sozusagen.

Die Konzernleitung verspricht zudem, dass mit dem Start des Umbaus am 1. Januar, der bis 2019 dauern wird, alle Angestellten ihren Arbeitsplatz behalten könnten und ein Stellenabbau über natürliche Fluktuationen stattfinden werde. Klingt beruhigend, ist es aber nicht. Pressesprecher Christoph Zimmer: «Wie es in einem oder zwei Jahren aussieht, können wir heute noch nicht sagen. Das hängt auch von der Entwicklung im Werbemarkt und den Digitalumsätzen ab.» Intern kursieren Mails, die mit einem jährlichen Einnahmeverlust bei den Inseraten von 65 Millionen Franken rechnen. Würde, so rechnet einer vor, dieser Betrag vollständig über Stellenabbau eingespart, entspräche dies rund 400 Stellen.

Die Belegschaften sind jedenfalls schwer verunsichert – und zum Teil wütend auf die nebulösen Verlautbarungen der Konzernspitze. Auf Twitter heisst es beispielsweise, der Konzern benötige die MitarbeiterInnen jetzt noch für den Umbau. Seien die neuen Strukturen gebaut, würden schleichend Leute entlassen.

Andreas Fagetti