«No Billag»: Und wenn der Sprengsatz explodiert?

Nr. 43 –

Die No-Billag-Initiative brächte die SRG zum Einstürzen. Sie würde in Zukunft jegliche öffentlich finanzierten Medien verhindern. Dagegen sprechen demokratische wie wirtschaftliche Gründe.

In horrendem Tempo: Wird die Initiative angenommen, müssen die öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehredaktionen innerhalb eines Jahres geschlossen werden. Foto: Oscar Alessio, SRF

Vier Monate vor der Abstimmung steigt die Bereitschaft, den Sprengsatz zu zünden. «Wahrscheinlich» werde er die No-Billag-Initiative unterstützen, sagte Christoph Blocher auf «Teleblocher». Die Initiative fordert die Abschaffung der Fernseh- und Radiogebühren. «Wahrscheinlich»: Blocher sprach wie immer im Duktus des Zweifelns und Leidens ob der grossen Verantwortung, die auf seinen Schultern lastet. Als ob er und seine SVP nicht längst auf diesen Moment gewartet hätten.

Schon bei der Schlussabstimmung im Parlament stimmte mehr als die Hälfte der Fraktion für die Initiative, darunter medienpolitische TaktgeberInnen wie Natalie Rickli (lobbyierte bis zum Abstimmungskampf für die Werbevermittlungsgruppe Goldbach), Gregor Rutz (sitzt im Vorstand der Aktion Medienfreiheit) oder Roger Köppel («Weltwoche»). Noch steht der Entscheid der SVP-Delegierten im Januar aus, doch alles andere als eine Unterstützung der Initiative wäre in der von oben geführten Partei eine Überraschung. Allenfalls gibt es eine Stimmfreigabe.

Totale Deregulierung

Lange Zeit wollten etablierte PolitikerInnen nicht direkt mit dem No-Billag-Sprengsatz in Verbindung gebracht werden. Entworfen hatten die Initiative JungpolitikerInnen aus SVP und FDP um den Libertären Olivier Kessler, nach der Tagung «Aussteigen, Endstation Sozialismus!» vor fünf Jahren. Für die Finanzierung erhielten sie aber wohlwollende Unterstützung: SVP-Doyen Walter Frey hat die Initiative gemäss einem internen Mailwechsel mit einer Starthilfe von 100 000 Franken gefördert. Er hat die Spende weder bestätigt noch dementiert (siehe WOZ Nr. 10/2017 ). Im Parlament markierte die SVP ein letztes Mal Distanz: mit einem Gegenvorschlag, der eine Reduktion der Gebühren um die Hälfte vorsah. Dieser scheiterte, wurde aber vom rechten Freisinn unterstützt. Danach bekannten sich die ersten UnterstützerInnen zur No-Billag-Initiative.

Diesen Mittwoch beschloss auch der Gewerbeverband unter FDP-Direktor Hans-Ulrich Bigler die Unterstützung. 2015 hatte er mit einer heftigen Kampagne das Referendum gegen das Radio- und Fernsehgesetz betrieben. Das Gesetz wurde zwar mit wenigen Tausend Stimmen Unterschied angenommen. Das Resultat war aber ein Warnsignal dafür, wie knapp Abstimmungen um die Billag werden können. Damals ging es noch um eine technische Frage der Gebührenerhebung. Nun geht es ums Grundsätzliche, um die Sprengung.

1,6 Milliarden Franken beträgt heute der Umsatz der SRG. Drei Viertel davon stammen aus den Fernseh- und Radiogebühren, ein Viertel aus Werbeeinnahmen. Fallen die Gebühren weg, stürzt die SRG, wie wir sie heute kennen, in sich zusammen. 5900 Vollzeitstellen stehen beim Radio und Fernsehen auf dem Spiel. Über Gebühren finanzieren sich auch die Radiostationen in Berggebieten und die Alternativradios, ebenso die Regionalfernsehsender: Macht weitere 900 Arbeitsplätze. Sollte die Initiative angenommen werden, ginge der Einsturz in einem horrenden Tempo vor sich. In nur einem Jahr müsste die Initiative umgesetzt, müssten die Redaktionen geschlossen werden.

Wer meint, es gäbe bei einer Annahme einfach einen öffentlichen Rundfunk mit tieferen Gebühren, unterschätzt das libertäre Staatsverständnis der InitiantInnen, genauer ihr Antistaatsverständnis. Die No-Billag-Initiative will nämlich nicht nur die öffentlichen Medien in der heutigen Form abschaffen. Sie will auch verhindern, dass überhaupt je wieder solche entstehen könnten. In der Verfassung würde festgehalten, dass weder die staatliche Erhebung von Gebühren noch eine anderweitige Subventionierung künftig erlaubt wären.

Dem Staat würde zudem jegliche Medienpolitik verunmöglicht. Auch der Artikel, der heute eine sachgemässe und vielfältige Berichterstattung garantiert, fiele ersatzlos weg. Noch nicht einmal eine unabhängige Beschwerdestelle für MediennutzerInnen wäre auf dieser Grundlage möglich. Die No-Billag-Initiative ist nicht einfach ein bisschen SRG-Kritik. Sie ist die totale Deregulierung des heutigen Mediensystems, das sich im kollektiven Besitz befindet.

Es wäre, wie wenn man den SBB die Züge von den Schienen nähme, die Schienen gleich auch noch versteigerte und künftig jeden öffentlichen Verkehr verbieten würde: Sollen doch alle mit dem Auto kommen. Wie wenn man den AHV-Fonds auflösen, die Rentenzahlungen einstellen und künftig jede kollektive Altersvorsorge verbieten würde. Sollen doch alle selber schauen.

Kein Wettbewerb in Sicht

Die InitiantInnen versprechen in ihrem Argumentarium erwartungsgemäss, dass danach endlich der Markt spielen würde. Die SRG behindere «durch ihre finanzielle Übermacht innovative private Anbieter». Bei einer Abschaffung der Gebühren entstünde ein «freier, fairer Wettbewerb um die Gunst der Kunden». Dass sich das heutige Angebot der SRG tatsächlich am freien Markt finanzieren liesse, ist allerdings illusorisch. Das zeigen die Zahlen aus der Botschaft des Bundesrats: Die Sendungen am Fernsehen, die als Information gelten, können heute zu 22 Prozent über Werbung finanziert werden. Beim Sport sind es gerade einmal 13 Prozent. Bei den Sendungen für Kinder und Jugendliche gar nur rund 2 Prozent.

Die Erklärung dafür liefert die Medienökonomie. In der Wertschöpfung der Medien spielen die sogenannten First-Copy-Kosten die entscheidende Rolle. Auf der Ausgabenseite kommt es nicht darauf an, ob ein Artikel 1000 oder 10 000 Mal gelesen wird oder wie viele ZuschauerInnen eine Sendung erreicht: Die Personalkosten für die Produktion bleiben dieselben. Wer die Kosten einspielen will, muss hingegen ein möglichst breites Publikum erreichen, um Werbung und Abonnemente zu verkaufen. Dies hat den Effekt, dass Medien auf dem freien Markt zum Mainstream tendieren. Die Folge von «No Billag» wäre seichtes Privatfernsehen.

Bei einem Wegfall der Gebühren dürften auch die Werbeeinnahmen rapide sinken. Kein privater Sender würde die gleiche Reichweite erzielen wie die Programme der SRG. Die besondere Pointe, an der die HeimatfreundInnen von der SVP arbeiten: Vermutlich würde die verbleibende Werbung an ausländische Sender gehen. Die grosse Gewinnerin wäre Goldbach Media, für die Natalie Rickli bisher arbeitete. Sie ist für die Vermarktung der Werbefenster dieser Sender zuständig.

Eine weitere Finanzierungsmöglichkeit privater Kanäle neben der Werbung sind Abos, also Pay-TV. Dass diese kaum günstiger ausfallen als die Gebühren, zeigt das Beispiel Sport und ein Blick nach Deutschland: Wer dort ab Sommer 2018 sämtliche Spiele der Bundesliga sowie der Champions League live sehen will, wird pro Jahr mehr als 500 Euro bezahlen.

Die Vorzüge der SRG

Wer die EigentümerInnen künftiger privater Sender wären, ist offen. Anzunehmen ist: Im Gegensatz zu heute, wo das öffentlich-rechtliche Mediensystem der Bevölkerung gehört, würden private Kanäle politischen Interessen dienen. Was sich schon bei der Presse abzeichnet – ein verstärkter politischer Zugriff in einer ökonomischen Krise –, würde mutwillig auf das Radio und Fernsehen übertragen. Was droht, sind Sender wie Mediaset in Italien oder Fox News in den USA.

Bleibt noch der Einwand, man schaue ja sowieso kein Schweizer Fernsehen mehr angesichts eines Programms, das der urbanen, migrantischen Schweiz selten gerecht werde, oder von Politsendungen wie der «Arena», die regelmässig dem Agendasetting der SVP Vorschub leisteten. Warum dafür künftig pro Haushalt 365 Franken Gebühren bezahlen?

Abgesehen davon, dass auffällig oft nur vom Fernsehen, aber kaum je vom populären, informativen Radio die Rede ist: Am 4. März 2018 geht es um sehr vieles, bloss um das Programm geht es nicht. Es geht einzig darum, ob es überhaupt noch öffentlich-rechtliche Programme gibt. Und mit der SRG um eine Institution, die bei aller Kritik einige Vorzüge aufzuweisen hat. Sie schafft etwa einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Sprachregionen der Schweiz. So werden rund 70 Prozent der Gebühren in der Deutschschweiz eingenommen. Doch nur 45 Prozent der Gebühren bleiben hier, der Rest geht in die Westschweiz oder ins Tessin. Ein weiterer Vorzug ist die Kulturförderung, insbesondere im Bereich des Films: Rund 150 Filme kommen jährlich dank der Unterstützung aus Gebührengeldern zusammen. Schliesslich verfügt die SRG im Gegensatz zu den privaten Verlagen auch über einen Gesamtarbeitsvertrag. Sie dient noch immer als Referenz in der Branche, auch wegen der hohen Frauenquote.

Zukunft verstellt

Die No-Billag-Initiative verstellt den Blick. Die «Zwangsgebühren», die wie eine Steuer erhoben werden, sind durchaus ein Problem. Allerdings nicht, weil sie erhoben werden, sondern wegen der Art ihrer Erhebung: Alle Einkommen sind davon gleich betroffen, ebenso wie von den Krankenkassenprämien. Eine Progression gibt es keine, noch nicht einmal eine Verbilligung.

Die Diskussion über die Gebühren lässt zudem die Werbung ausser Acht. Für ein weniger kommerziell ausgerichtetes Programm würde das öffentlich-rechtliche Fernsehen diese besser den privaten Medienkonzernen überlassen. Die Wirkung eines Werbeverbots ist täglich am Radio zu hören: Weil sich dieses nicht nach kommerziellen Interessen ausrichten muss, kann sich der Journalismus an qualitativen Kriterien orientieren.

Vor allem aber verhindert die Initiative, dass darüber diskutiert wird, wie sich der Service public an die laufende Digitalisierung anpassen könnte, wie öffentliche und private Medien zusammenarbeiten könnten, um den technologischen Wandel zu bewältigen.

Auf der No-Billag-Website tickt ein Timer, ähnlich wie vor einer Sprengung. Bei Erscheinen dieses Artikels bleiben noch genau 129 Tage, um sie abzuwenden. Wer sich das uns drohende Mediensystem und seine demokratiepolitischen Folgen noch immer nicht vorstellen kann, sollte sich kurz überlegen, wer künftig an einem Abstimmungssonntag die Resultate vermeldet. Wahrscheinlich wird es ein Sender sein, der Christoph Blocher gehört.