Pro Litteris: Ausgerechnet auf den kleinsten Mann der Schweiz

Nr. 51 –

Die Urheberrechtsgesellschaft Pro Litteris hat in der ganzen Schweiz Unternehmen verklagt, die die Kopierentschädigungen nicht bezahlen. Drei von ihnen standen nun vor dem St. Galler Handelsgericht.

«Es ist zum Kotzen! Zum Kotzen! Ein Witz!», wettert der Treuhänder im Gerichtssaal. Seine Firma ist von der Urheberrechtsgesellschaft Pro Litteris verklagt worden, weil sie seit Jahren keine Kopierentschädigungen bezahlt. Der Treuhänder findet den Aufwand absurd: «Es geht um einen Betrag von 200 Franken!» Deswegen habe er hundert Kilometer in die Kantonshauptstadt fahren müssen. Wegen 200 Franken. «Ich bin mehr als erstaunt, dass so etwas in unserem Rechtsstaat vorkommt», sagt er. Er setzt sich hin und redet weiter: «Unmöglich. Un-mög-lich!»

Die Entschädigungen sind im Urheberrechtsgesetz geregelt. Firmen, Bibliotheken, Schulen und Verwaltungen, die Kopiergeräte oder Netzwerke nutzen, stellt die Verwertungsgesellschaft jährlich eine Pauschale in Rechnung. Das Geld wird an die UrheberInnen weiterverteilt, deren Rechte Pro Litteris vertritt. 2016 hatte Pro Litteris rund 12 000 Mitglieder, an die 24 Millionen Franken flossen, weitere 3 Millionen gingen an den Kulturfonds und die Fürsorgestiftung.

Wie hoch die Pauschale ist, hängt von der Anzahl Mitarbeitenden und der Branche ab. Der Tarif wird paritätisch festgelegt, mit Organisationen wie dem Gewerbeverband und Economiesuisse, der Erziehungsdirektorenkonferenz und der Bundesverwaltung.

Die leidigen Formulare

Es ist gut möglich, dass die drei kleinen Einzelfirmen, die in St. Gallen vor Gericht stehen, gar nicht beitragspflichtig wären – sie haben alle keine Angestellten. Vor dem Treuhänder verteidigte sich ein Informatiker. Er argumentierte, niemand, nicht einmal der Inhaber selbst, sei in der Firma tätig, nur ein Freelancer erledige die Arbeit. Ein Carossier, der ebenfalls vorgeladen wurde, ist seit zwanzig Jahren selbstständig und arbeitet «muusbeialei». Der Treuhänder ist pensioniert, hat gar nie Vollzeit gearbeitet und gibt sogar an, weder einen Computer noch einen Drucker zu besitzen. Die Gegenanwältin weist ihn dann darauf hin, dass er die Klageantwort an das Gericht auf einem Computer verfasst und ausgedruckt habe.

Wie dem auch sei: Pro Litteris wusste das alles nicht, denn alle drei haben die Pflichtformulare nie ausgefüllt. «Wir gehen deshalb davon aus, dass sie zahlungspflichtig sind», sagt die Anwältin. Die Beklagten dachten genau umgekehrt. Darum haben sie auch die Rechnung von Pro Litteris weggeworfen. Alle drei sind ohne Anwalt vor Gericht erschienen, ihr Aufwand ist auch so schon gross genug. Die Beträge, um die es geht, sind nämlich niedrig; sie liegen zwischen 150 und 400 Franken. Pro Litteris muss trotzdem klagen – das verlangt nicht nur das Gebot der Gleichbehandlung aller Beitragspflichtigen, sondern auch ihre Pflicht gegenüber den UrheberInnen. Alle paar Jahre veranlasst sie deswegen ein Masseninkasso und reicht in der ganzen Schweiz Klagen ein. Diesmal geht es um die Jahre zwischen 2012 und 2016.

Plötzlich steht man vor Gericht

Die Aufregung des Treuhänders stösst sowohl beim Gerichtspräsidenten als auch bei der Anwältin von Pro Litteris auf ein gewisses Verständnis, schliesslich erhalten viele Kleinunternehmen wöchentlich erfundene Rechnungen von obskuren Registerfirmen und Inkassobüros. Das bestätigen alle Beklagten.

Nachdem sie die ersten Mahnungen von Pro Litteris erhalten hatten, nahmen alle drei telefonisch Kontakt auf. «Man kam damit aber nicht weiter. Und danach fand man einfach, die Forderungen sind völlig ungerechtfertigt», sagt der Informatiker. Auch er regt sich auf: «Ein solches Theater machen, ein solcher Aufwand. In der Privatwirtschaft langt man sich an den Kopf bei solchen Sachen.» Und auch der dritte Beklagte, der Carossier, nimmt kein Blatt vor den Mund, nachdem er seine Nervosität, vor Gericht zu stehen, überwunden hat. «Scharlatanerie! Betrug!», deklamiert er. «Seit ein paar Jahren erhalte ich Briefe von diesem Guguseliverein.»

Er ignorierte sie. Als die gerichtliche Vorladung kam, erschrak er dann doch: «Wir sind hier auf dem Land, in der Schweiz, da redet man miteinander, da schreibt man doch keine Briefe!» Wenn bei ihm jemand nicht zahle, dann rufe er mal an, frage, was das Problem sei, schlage vielleicht eine Ratenzahlung vor. Dann wird er dramatisch: «Warum geht ihr auf mich los? Auf den kleinsten Mann in der ganzen Schweiz? Den kleinsten Mann!»

Die Anwältin der Pro Litteris erklärt immer wieder, dass die Angaben schriftlich benötigt werden. Dieser Formularzwang sei im Recht vorgeschrieben. «Wenn das Formular nicht kommt, wird Rechnung gestellt. Aber gegen all dies könnte man sich wehren, die entsprechenden Angaben stehen auf dem Formular.» Auf die erste Rechnung folgten mehrere Mahnungen und Telefongespräche. Die Beklagten hätten sich «renitent und nicht kooperativ» gezeigt.

Es ist wie bei den Steuern

Der Gerichtspräsident fasst die Angelegenheit zusammen: Weil niemand auf das Formular reagiert habe, sei damit die Forderung von Pro Litteris anerkannt. Auch wenn jetzt alle sagen würden, sie hätten gar nicht die notwendige Mitarbeiterzahl. «Es ist wie bei den Steuern: Wenn Sie einfach nichts einreichen, gibt es eine Einschätzung, und diese wird dann rechtskräftig. Dann müssen Sie zahlen, auch wenn Sie nachher reklamieren.» Doch dann sagt er: «Oder es ist anders. Das wird das Gericht jetzt beraten.» Er startet noch einen letzten Versuch, einen Vergleich zu erreichen. Er schlägt vor, dass alle drei die Rechnung bezahlen und künftig das zugeschickte Formular ausfüllen. Darüber hinaus müssten sie die Hälfte der Gerichtskosten übernehmen – dafür falle eine Beteiligung an den Anwaltskosten von Pro Litteris weg, die sie im Fall einer Niederlage übernehmen müssten.

Der Garagist will eigentlich unterschreiben, aber er diskutiert noch mit den anderen beiden über die passende Strategie, über das Prinzip und den notwendigen Widerstand. Nach einer Weile ist auch der Treuhänder zum Vergleich bereit, obwohl er mehrfach mit der Presse droht, die Anwältin beleidigt und das Verfahren weiterhin skandalös findet. Der Informatiker schlägt währenddessen vor, dass das Geld einer Wohltätigkeitsorganisation zugutekommen solle. «Das geht nicht», erklärt der Richter, «Pro Litteris muss die Gelder an die Urheber weiterreichen.» Jetzt ist der Informatiker erst recht genervt: «Sie sind seit Jahren in Verruf, Millionen zu hinterziehen. Das ist bewiesen. Es ist auch eine Zweckentfremdung, wenn man solche Anwälte hier beschäftigt.» Er spricht damit die weitherum kritisierte Pensionskassenzahlungen an den inzwischen pensionierten Direktor von Pro Litteris an. Bewiesen sind die Vorwürfe allerdings nicht. Der Fall ist vor dem Bundesverwaltungsgericht hängig.

Zuletzt verlangt der Informatiker, dass das Gericht ein Urteil fälle, das er an das Bundesgericht weiterziehen könnte. Es ist wahrscheinlich, dass ihn das teurer zu stehen käme als der Vergleich. Bisher hat Pro Litteris von 356 Verfahren 252 gewonnen, 3 Fälle hat sie verloren und 2 fallen gelassen – aus Kulanz. Die übrigen sind noch hängig. Das Urteil des Handelsgerichts St. Gallen wird nach Redaktionsschluss folgen.

Die Autorin ist sowohl Empfängerin von Urheberrechtsentschädigungen als auch beitragspflichtige Zahlerin von Kopier- und Netzwerkentschädigungen.