Schweizerische Depeschenagentur: Nachrichten fallen nicht vom Himmel

Nr. 51 –

Die Schweizerische Depeschenagentur (SDA) versorgt das Land zuverlässig und nüchtern mit Nachrichten. Nun soll sie – in Zeiten sinkender Einnahmen – zur Dividendenmaschine umgebaut werden. RedaktorInnen warnen vor Risiken und Nebenwirkungen.

Wo ist Berni? Das fragen sich die JournalistInnen der Schweizerischen Depeschenagentur (SDA) Anfang Oktober. Zuerst denken sie, er sei in den Ferien. Im Präsenzplan steht aber «abwesend». Die MitarbeiterInnen beginnen zu rätseln.

Erst Wochen später, Ende Oktober, informiert die SDA-Geschäftsleitung offiziell: «SDA und Keystone fusionieren zum multimedialen Medienunternehmen.» Der langjährige Chefredaktor Bernard Maissen begrüsse die Fusion, «scheidet aber aus dem Unternehmen aus». Der Verwaltungsrat danke ihm für den sehr grossen Einsatz. Klingt nach einer gemeinsam vereinbarten, einvernehmlichen Trennung – war aber eine Kündigung.

Die Fusion

Wenn der Deal von der Wettbewerbskommission abgesegnet ist, soll die Fusion im Frühjahr vollzogen werden.

Die SDA versorgt die Medienhäuser, den Bund, aber auch Private mit Nachrichten aus den Regionen, der Schweiz und dem Ausland. Keystone ist die führende Fotoagentur in der Schweiz. Grundsätzlich ist es sinnvoll, Bild und Text zusammenzubringen. Maissen hat das schon lange gewollt. Zwölf Jahre leitete er die SDA-Redaktion und sass in der Geschäftsleitung. Fragt man bei SDA-Leuten nach, sagen sie, man sei zwar mit Maissen nicht immer einer Meinung gewesen, aber im Umgang sei er sehr angenehm gewesen. Er habe zugehört, man habe sich auf ihn verlassen können, und er habe sich für die Redaktion eingesetzt.

Niemand will namentlich zitiert werden. SDA-RedaktorInnen liessen aber der WOZ interne Protokolle zukommen.

Noch hoffen die SDA-Leute, dass sich einiges auf positive Weise klären wird. Die neue Geschäftsleitung hat VertreterInnen der Redaktion für den 8. Januar zu einer Sitzung eingeladen. Dabei wird es unter anderem ums Budget gehen. Zurzeit hat die Agentur noch keines für das kommende Jahr. Das hängt damit zusammen, dass verschiedene Zeitungen die neuen Verträge mit der SDA noch nicht unterzeichnet haben. Zudem hat die SDA den Kunden Rabatte gewährt. Es könnte sich ein grösseres Loch auftun. Ende vergangener Woche hat die Geschäftsleitung die Belegschaft bereits prophylaktisch über die bevorstehende Sparrunde informiert. Konkrete Zahlen wurden keine genannt.

Die Dividenden

Die altehrwürdige SDA ist ernsthaft bedroht. Vor bald 125 Jahren wurde sie von den Schweizer Verlegern als gemeinsames Selbsthilfeprojekt gegründet. Man wollte von den ausländischen Agenturen unabhängig sein. Heute beschäftigt die Agentur 155 JournalistInnen, die täglich in allen drei Landessprachen je um die 350 Mitteilungen verfassen. Der Dienst ist sieben Tage die Woche rund um die Uhr besetzt. Geld wollten die Verleger mit der SDA explizit nie verdienen. Das wird sich nun ändern.

Neu wird die Austria Presse Agentur (APA) grösste Aktionärin des Gebildes Keystone-SDA. Sie ist es gewohnt, pro Jahr bis zu einer Million Franken Dividenden von Keystone zu bekommen. Sie wird dasselbe auch aus der neuen Firma herausholen wollen – sei es als Dividenden oder als Entschädigung für die IT-Dienstleistung. Sonst wäre die Fusion für sie ein schlechter Deal.

Seltsam ist, dass die neue Firma von Keystone dominiert wird. Keystone hat je zur Hälfte der SDA und der APA gehört. Die SDA machte im letzten Jahr einen Umsatz von 34 Millionen Franken, Keystone brachte es nur auf 12 Millionen. Markus Schwab, der mit Maissen zwölf Jahre lang die SDA leitete, wird CEO der neuen Firma. Neben ihm sitzen drei Keystone-Leute in der Geschäftsleitung. Schwab ist Betriebswirt, auch die anderen drei haben keinen journalistischen Hintergrund.

Die neue Firma soll künftig 50 Millionen Franken umsetzen. Wie das bei sinkenden Einnahmen gehen soll, würden die SDA-JournalistInnen gerne wissen. Sie kritisieren, dass keine Strategie wahrnehmbar sei. Es werde einfach die Botschaft verkündet: Wir wollen mehr von allem, aber es soll billiger sein!

Vorerst wird die SDA aber mit grosser Wahrscheinlichkeit ein Minus einfahren, unter anderem, weil eine Fusion zuerst Kosten verursacht und weil die Agentur seit einem Jahr neben den Nachrichtentexten auch Videos anbietet. Man wollte damit den Verlagen das neue Tarifkonzept schmackhaft machen. Die Videos bekommen die Verlage gratis. Das neue Tarifmodell ist aber noch nicht in Kraft. «Das Pfand, das die SDA hatte, ging damit verloren», sagt eine Mitarbeiterin. «Wozu sollen sich die Verlage jetzt noch aufs neue Tarifmodell einlassen?»

Die Geschäftsleitung wie der Verwaltungsrat agierten einfach konzeptlos, hört man immer wieder.

Das Hauptproblem ist: Die Besitzer geschäften mit sich selbst. Im Verwaltungsrat der SDA sitzen die Verleger, die selber Kunden der SDA sind. Der Verwaltungsrat hat zum Beispiel das neue Tarifmodell abgesegnet, die Verlage wollen dann aber – sobald sie als Kunden mit der SDA zu tun haben – nichts davon wissen, weil es ihnen zu teuer ist.

Die Alternativen

Ausserdem belastet die Gratiskultur des Internets die SDA. Jede ihrer Meldungen ist innert Kürze im Netz verfügbar, weil die meisten Medienhäuser ihre Websites mit SDA-Meldungen füttern. «Selbst manche Journalisten in meinem Umfeld glauben inzwischen, Meldungen fallen vom Himmel», sagt ein SDA-Journalist, «aber das tun sie nicht. Jemand muss sie schreiben – das gilt auch für SDA-Meldungen.»

Eine Kollegin wendet ein, sie könne aber auch verstehen, wenn die Regionalzeitungen die SDA nicht mehr abonnieren wollten, stünden sie doch selber unter Druck. «Aus deren Chefetagen heisst es: ‹Entweder wir sparen in eurer Redaktion, oder ihr verzichtet auf den SDA-Dienst.› Das ist übel: Da lässt man Journalisten gegen Journalisten antreten.»

Sehr besorgt sind die SDA-JournalistInnen über die Idee der Geschäftsleitung, man könne künftig mit Corporate Publishing, also Auftragstexten, mehr Geld verdienen. Schwab hat zwar intern bereits signalisiert, die PR-Abteilung würde auf jeden Fall von der Nachrichtenredaktion getrennt arbeiten. Ob JournalistInnen aber vielleicht genötigt werden, in den PR-Bereich zu wechseln, ist noch nicht klar.

Unter Druck dürften auch der französisch- und der italienischsprachige Dienst geraten. Beide sind defizitär. Bislang wurden sie durch den Gewinn des deutschsprachigen Dienstes subventioniert.

Im Oktober hat der Bundesrat entschieden, die SDA bekomme ab 2019 zwei Millionen Franken aus dem Topf der Radio- und Fernsehgebühren – vorausgesetzt, die No-Billag-Initiative wird gebodigt. Das Geld wäre unter anderem dafür gedacht, das Defizit der beiden Dienste zu verringern. Die Fusion von Keystone und SDA könnte das nun zunichte machen. Denn wenn die neue Firma – wie intern kommuniziert – ab 2021 Dividenden ausschütten soll, wird es wohl keine Gebührengelder geben. Der Bund wird nämlich kaum zulassen, dass mit Gebührengeldern Dividenden finanziert werden.

Das Vermögen

Fatal ist noch ein weiterer Punkt: Weil man dem neuen österreichischen Partner das SDA-Vermögen nicht überlassen will, wird es vor der Fusion verteilt.

Die SDA besass zum Beispiel am Zürcher Sihlquai eine Liegenschaft, die inzwischen verkauft wurde. Insgesamt sollen zwölf bis dreizehn Millionen Franken an die jetzigen AktionärInnen ausgeschüttet werden. Tamedia mit einem Aktienanteil von knapp dreissig Prozent und die NZZ mit einem Anteil von rund vierzehn Prozent werden an der Fusion einen schönen Batzen verdienen. Danach wird die SDA ohne Reserven nackt dastehen.

Die Vorstellung, dass die SDA in den Untergang getrieben werden könnte, hat etwas Unheimliches. Im Zeitalter von Fake News steht sie für zuverlässige, nüchterne Information. Diesen Wert für ein bisschen Dividende preiszugeben, ist hochgefährlich.

Die SDA-Leitung wurde mit den erwähnten Zahlen, Fakten und Fragen konfrontiert. CEO Markus Schwab liess ausrichten: «Die Geschäftsleitung der SDA hat ihre Mitarbeitenden an verschiedenen Informationsanlässen über den aktuellen Stand der Umsetzung der Fusion mit Keystone orientiert. Die vorgesehenen Massnahmen werden am 8. Januar 2018 kommuniziert. Die Mitarbeitenden erhalten anschliessend die Gelegenheit für Stellungnahmen, welche die Geschäftsleitung bei ihrem definitiven Entscheid nach Möglichkeit berücksichtigen und gemeinsam umsetzen wird.»

Bleibt zum Schluss die Frage: Wo ist Berni? Bernard Maissen lässt ausrichten, er nehme eine Auszeit. Mehr will er im Moment nicht sagen.

Nachtrag vom 11. Januar 2018 : Vierzig Stellen weg

Die Schweizerische Depeschenagentur (SDA) baut massiv ab: Rund 40 der 155 Redaktionsstellen sollen gestrichen werden.

Mehrere SDA-MitarbeiterInnen hatten sich noch vor Weihnachten in der WOZ kritisch zur bevorstehenden Fusion der SDA und der Bildagentur Keystone geäussert, vor allem, weil sie eine klare Strategie vermissten. Sie hofften, dass eine Aussprache mit der Geschäftsleitung am 8. Januar mehr Klarheit bringen würde. Doch die Klarheit fehlt immer noch – ausser dass die Agentur massiv geschrumpft und Ressorts zusammengelegt werden sollen.

Die SDA-Geschäftsleitung argumentierte am Montag, es müsse gespart werden, weil die Zahlungsbereitschaft der grossen Verlage gesunken sei. Dass die Einnahmen 2018 um 3,1 Millionen Franken sinken würden, sei auch auf Fehler des SDA-Managements zurückzuführen, «das ein neues Tarifmodell einführte, welches bei den Kunden auf grosse Kritik stiess», schreibt die Mediengewerkschaft Syndicom in einer Medienmitteilung: «Das Unternehmen wurde dabei in seiner Scharnierfunktion aufgerieben, da die Kunden zugleich die Besitzer des Unternehmens sind.» Als SDA-Besitzer segneten die Medienunternehmen, die im Verwaltungsrat der SDA sitzen, das neue Tarifmodell ab – als Kunden finden sie es nun aber zu teuer und wollen nicht zahlen.

Für die Redaktion sei es bitter, die Folgen dieser Entwicklungen tragen zu müssen, konstatiert Syndicom.

Zwar soll die SDA weiterhin ihre Meldungen in drei Landessprachen publizieren, doch werden künftig zwangsläufig weniger Meldungen publiziert. Die Redaktion fürchtet ausserdem, dass es zu einem weiteren Stellenabbau kommt, sobald die Wettbewerbskommission die Fusion von SDA und Keystone abgesegnet hat.

Susan Boos

Nachtrag vom 1. März 2018 : SDA-MitarbeiterInnen wollen weiterverhandeln

Die Proteste bei der Schweizerischen Depeschenagentur (SDA) gehen in die nächste Runde: «Die Stimmung ist nach wie vor kämpferisch», sagt SDA-Redaktor Sebastian Gänger. «Wir sind zwar perplex ob der Haltung des Verwaltungsrats und teils ein bisschen müde. Aber wir geben noch lange nicht auf.»

Ende Januar war die Redaktion in einen unbefristeten Streik getreten, da sie von drastischen Abbaumassnahmen bedroht ist: Insgesamt sollen 35,6 von 150 Vollzeitstellen abgebaut, 19 von 180 MitarbeiterInnen entlassen werden. Darunter sind 11 über Sechzigjährige – sie zwingt man geradezu in die Frühpension. Weitere 51 MitarbeiterInnen müssen eine Reduktion von bis zu dreissig Prozent ihres Pensums in Kauf nehmen.

Nachdem sich der SDA-Verwaltungsrat Anfang Februar nach vier Streiktagen endlich zu Verhandlungen bereit gezeigt hatte, sistierte die Belegschaft ihren Streik bis auf Weiteres. Doch schon nach vier Gesprächsterminen erklärte der Verwaltungsrat die Verhandlungen für gescheitert. Nun soll die Einigungsstelle des Staatssekretariats für Wirtschaft schlichten.

Eine solche Vermittlung kann sich die SDA-Belegschaft durchaus vorstellen – unter einer Bedingung: Die Kündigungen und Stellenkürzungen müssen ausgesetzt werden, zumindest bis das Schlichtungsverfahren abgeschlossen ist. Dies solle der Verwaltungsrat bis zum 1. März schriftlich bestätigen, fordert die Redaktion.

«Wir wollen verhandeln und sind bereit, diesen Weg zu gehen», sagt Gänger. «Aber wir müssen verhindern, dass zugleich hinter den Kulissen weiter abgebaut wird. Deshalb brauchen wir dieses Bekenntnis als Pfand.»

Stephanie Vonarburg, Vizepräsidentin der Mediengewerkschaft Syndicom, die gemeinsam mit dem Berufsverband Impressum den Widerstand der SDA-Belegschaft unterstützt, sieht das genauso: «Man kann nur etwas schlichten, das verhandelbar ist und nicht bereits durch vollendete Tatsachen zementiert wurde.»

Tritt die SDA-Redaktion wieder in den Streik, wenn der Verwaltungsrat die Kündigungen nicht sistiert? Damit werde sich die Redaktion beschäftigen, wenn es so weit sei, sagt Vonarburg. Aber auch die Direktion der SDA sollte sich Gedanken um die Zukunft machen: «Bislang konnte niemand plausibel darlegen, wie die SDA mit viel weniger Stellen umfassend und qualitativ hochwertig arbeiten soll.»

Merièm Strupler