Rassismus: Wem dient der Rechtsstaat?

Nr. 2 –

Nach über zwölf Jahren hat sich in Deutschland die öffentliche Wahrnehmung des Falls Oury Jalloh endlich gewandelt. Bisher war Jalloh bloss der Asylsuchende aus Sierra Leone, der sich in einer kalten Januarnacht im Jahr 2005 in einer ostdeutschen Polizeistation unter massivem Einfluss von Drogen und Alkohol selbst in Brand steckte – mit einem Feuerzeug, das aus dem Nichts kam, und obwohl er an Armen und Füssen an einer feuerfesten Matratze festgebunden war. Dass die Geschichte mehr als nur ein paar Ungereimtheiten aufwies, interessierte praktisch niemanden, am wenigsten die Behörden.

Inzwischen setzt sich eine andere Erzählung durch: Statt auf Selbstmord deutet fast alles auf Mord hin. Jalloh war allem Anschein nach also nicht Täter, sondern Opfer von Polizeigewalt. Opfer rassistischer Strukturen innerhalb eines Apparats, in dessen Wahrnehmung Menschen ohne politische Lobby immer auch irgendwie selbst schuld sind. Diesem Muster entsprechend war auch in den Fällen der von der Terrorzelle NSU Ermordeten jahrelang behauptet worden, den rassistischen Taten lägen «Abrechnungen im Migrantenmilieu» zugrunde. Es sind die beiden wohl grössten Justizskandale in Deutschland in jüngerer Zeit.

Dass im Fall Jallohs die Mordthese mittlerweile breit diskutiert wird, ist vor allem ein paar engagierten AktivistInnen zu verdanken, die in all den Jahren nicht lockergelassen haben. Jeweils am 7. Januar begaben sie sich raus in die Kälte, um gegen die Untätigkeit des deutschen Staates zu protestieren, der den Todesfall bis heute nicht aufgeklärt hat. Zum 13. Todestag von Oury Jalloh haben sich am Sonntag über 4000 Menschen versammelt. Sie drängen auf die Wiederaufnahme der Ermittlungen, die erst im Oktober des vergangenen Jahres eingestellt wurden. Und weil ihr Vertrauen in den deutschen Staat schon lange erschüttert ist, wollen sie eine unabhängige Kommission, bestehend aus internationalen ExpertInnen. Diese soll Ermittlungen vorantreiben, an denen die eigentlich zuständigen Behörden offensichtlich kein Interesse haben.

Ihre unermüdliche Initiative zeigt, dass sich Widerstand letztlich lohnt. In Zeiten, in denen der rechte Populismus in vielen Ländern Europas immer mehr an Boden gewinnt, in denen die teilweise offen rechtsextreme AfD den öffentlichen Diskurs in Deutschland immer weiter verschiebt, ist allein das schon eine überaus wichtige Erkenntnis.