Deutschlands Linke: Zum Scheitern entschieden

Nr. 3 –

Als die Verantwortlichen von Union und SPD nach ihrem nächtlichen Verhandlungsmarathon endlich selbstzufrieden vor die Presse traten, dürften im Élysée-Palast in Paris die Korken geknallt haben. Lange hatte man dort auf ein Signal aus Berlin gewartet, hatte Emmanuel Macron unbeirrt hochtrabende Pläne für die Zukunft Europas verkündet, während in Deutschland die «Jamaika»-Koalition scheiterte, das Land regierungslos blieb. Zumindest für den französischen Präsidenten dürfte sich das Warten gelohnt haben: Gleich zu Beginn des 28-seitigen Sondierungspapiers, das die Grosse Koalition in spe präsentierte, wird so symbolträchtig wie wolkig ein neuer Aufbruch für den Kontinent beschworen.

Dass sich die SozialdemokratInnen – vorausgesetzt, die Basis stimmt dem Plan der Parteispitze zu – trotz anfänglicher kämpferisch-trotziger Absage nun schon zum dritten Mal auf eine Regierung mit Angela Merkel einlassen, ist ansonsten beileibe kein Grund zur Freude. Wer auf einen Aufbruch nach links oder zumindest die Erneuerung verkrusteter Parteistrukturen hoffte, wird bitter enttäuscht. Und von der im Wahlkampf vom Parteivorsitzenden Martin Schulz viel beschworenen und doch nicht mit Inhalt gefüllten «sozialen Gerechtigkeit» ist sowieso längst nichts mehr übrig.

Stattdessen gibt es nur mutlose Antworten auf grosse Probleme. Die Erhöhung des Spitzensteuersatzes, die Einführung einer gerechten Krankenversicherung, der langfristige Abbau ökonomischer Ungleichheit: Fehlanzeige. Die VerwalterInnen des Bestehenden verabschieden sich lieber vom selbstgesteckten und noch im Wahlkampf zugesicherten Klimaziel und ignorieren damit das wichtigste Thema der nächsten Jahrzehnte, während sich Koalitionspartnerin SPD nach rechts anbiedert und einmal mehr für massive Asylrechtsverschärfungen Hand bietet.

So bleibt der Familiennachzug, dessen Verbot die Parteilinke stets zu kippen versuchte, weiterhin ausgesetzt. Die Obergrenze, gegen die sich die SPD stets aussprach, wird hingegen beschlossen. Zudem sollen Flüchtlingslager nach bayerischem Vorbild entstehen – mit Sach- statt Geldleistungen für die BewohnerInnen und einer verschärften Residenzpflicht; Zentren, die das Einleben und Zurechtfinden aktiv verhindern und aus denen möglichst viele möglichst schnell wieder ausgeschafft werden sollen. Die einzige Maxime: dass sich der «Flüchtlingssommer» 2015 nicht wiederholt.

Grund zur Freude hätte angesichts solchen Opportunismus allein die AfD. Wechseln die Sozialdemokraten in die Regierung, wird die Rechtsaussenpartei doch noch unverhofft zur Oppositionsführerin, darf künftig bei Debatten nach Merkel das Wort ergreifen und den Diskurs noch weiter radikalisieren. Das Dilemma, in das sich die SPD manövriert hat, ist übrigens auch bei einer Absage an die Grosse Koalition nicht abzuwenden: Die Partei befindet sich in einer tiefen Krise. Und wenn die Mitte-rechts-Allianz versagt, profitiert die Rechte.

Derweil spukt der Geist einer «neuen Volkspartei» durch die deutsche Linke, einer von Sahra Wagenknecht angeführten «Sammlungsbewegung» aus unzufriedenen Linken, Grünen und SozialdemokratInnen, ideologisch vereint durch eine reaktionäre Migrationspolitik und die unerfüllbare Sehnsucht nach der Rückkehr der Arbeiterklasse – ganz so, wie es der Populist Jean-Luc Mélenchon im westlichen Nachbarland vorgemacht hat, dessen Ein-Mann-Bewegung bei der letzten Wahl knapp zwanzig Prozent der Stimmen erreichte und für Teile der Linken als Blaupause gilt.

Bisher ist praktisch niemand ernsthaft auf Wagenknechts durchsichtige Voten zu ihrem eigenen Machterhalt eingegangen. Doch das heisst nicht, dass der Ruf nach mehr Radikalität, nach einer neuen linken Bewegung nicht richtig wäre. Einer Bewegung, in deren Zentrum die Linkspartei steht, wie es in einem kürzlich veröffentlichten Aufruf des linken Parteiflügels heisst und wie es Jeremy Corbyn in Britannien mit seiner erfolgreichen Erneuerung von Labour vorgemacht hat. Einer Bewegung jedoch, die Geflüchtete und ArbeiterInnen nicht wie Wagenknecht gegeneinander ausspielt, sondern die begreift: Für eine zeitgemässe Klassenpolitik können die Kämpfe nur zusammen geführt werden.