Abstimmung Mindeststeuer: Keller-Sutter verheimlicht «Plan B»

Nr. 21 –

Falls die Vorlage zur OECD-Mindeststeuer an der Urne abgelehnt würde, fliesse Steuergeld ins Ausland ab, warnt die Finanzministerin. Interne E-Mails zeigen nun: Das stimmt nicht.

Finanzministerin Keller-Sutter an der Medienkonferenz zur OECD-Mindestbesteuerung vom 24. April
Journalist:innen in die Irre geführt: Finanzministerin Keller-Sutter an der Medienkonferenz zur OECD-Mindestbesteuerung vom 24. April. Foto: Peter Klaunzer, Keystone

Es war bis anhin das Totschlagargument von FDP-Finanzministerin Karin Keller-Sutter und den übrigen Befürworter:innen der OECD-Mindeststeuervorlage, die am 18. Juni an die Urne kommt: Falls die Bevölkerung diese zur Korrektur ans Parlament zurücksende, werde die Schweiz Milliarden ans Ausland verlieren. Würden die Gewinne von Grosskonzernen ab 2024 nicht mit fünfzehn Prozent besteuert, könnten nämlich andere Länder, in denen die Firmen ebenfalls operieren, die Differenz einkassieren. Bei einem Nein, so die implizite Behauptung, wäre eine neue Vorlage nicht rechtzeitig parat. Es gehe am 18. Juni darum, ob die Schweiz das Geld behalte oder ins Ausland «verschenkt», wie Keller-Sutter kürzlich an einer Medienkonferenz sagte. Die Ja-Kampagne griff die Behauptung dankend auf. «Damit das Geld in der Schweiz bleibt», steht auf ihren Plakaten.

Nun zeigen jedoch interne E-Mails aus dem Finanzdepartement, die die WOZ mittels Öffentlichkeitsgesetz herausverlangt hat: Keller-Sutter weiss, dass das so nicht stimmt. Sie hält für den Fall eines Neins einen «Plan B» bereit, mit dem eine korrigierte Reform rechtzeitig umgesetzt werden könnte. Doch das ist nicht alles: Das Finanzdepartement und Keller-Sutter persönlich haben die WOZ und andere Medien auf entsprechende Nachfragen hin wiederholt in die Irre geführt.

Irritierende Behauptungen

Anfang Jahr forderte Heidi Gmür, Keller-Sutters persönliche Mitarbeiterin, die Steuerverwaltung auf, ihre Chefin an einer tags darauf angesetzten Sitzung über einen möglichen «Plan B» zu informieren. Kurz darauf legte die Dossierverantwortliche per E-Mail innerhalb der Steuerverwaltung den entsprechenden Plan vor: Darin ist festgehalten, dass die Vorlage im Falle eines Neins bereits «in der Herbstsession» vom Parlament korrigiert werden und im März darauf an die Urne kommen könnte. Die Steuer könne dann rückwirkend auf Anfang 2024 in Kraft gesetzt werden, was «rechtlich zulässig» sei.

Die WOZ hatte nur zwei Tage zuvor bei der Steuerverwaltung angefragt, wie der Bund im Falle eines Neins sicherstellen würde, dass das Geld nicht ins Ausland fliesst. Als ein nichtssagender Satz als Antwort kam, hakte die WOZ nach: Ob es nicht möglich wäre, eine erst später beschlossene Reform rückwirkend auf Anfang Jahr in Kraft zu setzen? Die Antwort: Dies könne erst nach einer Abstimmung «abschliessend beurteilt» werden. Dabei lag der «Plan B» am Tag der Antwort intern bereits vor.

Auszug aus einer internen E-Mail der Steuerwaltung vom 28.2.2023
Der «Plan B»: Auszug aus einer internen E-Mail der Steuerwaltung vom 28.2.2023.

Etwas später, an Keller-Sutters Medienkonferenz zur OECD-Mindeststeuer Ende April, fragte eine SRF-Journalistin explizit nach einem «Plan B». Zwar war die Frage an eine anwesende Kantonsvertreterin gerichtet. Im Anschluss ergriff aber auch Karin Keller-Sutter das Wort. Nicht nur verschwieg sie dabei ihren «Plan B», sie platzierte hier sogar die oben erwähnte Behauptung, wonach es am 18. Juni darum gehe, ob die Schweiz das Geld behalte oder dieses ins Ausland «verschenkt». Als die WOZ die Finanzministerin fragte, ob sie ausschliessen könne, dass die OECD-Reform bei einem Nein nicht doch irgendwie «rechtzeitig» umgesetzt werden könnte, antwortete sie, dass sie nicht spekulieren wolle. Aber: «Sicherlich», behauptete die Bundesrätin, wäre man «nicht auf den 1. Januar 2024 bereit».

Damit konfrontiert, schreibt das Finanzdepartement in einer Stellungnahme, dass das SRF die Frage an die Kantonsvertreterin gerichtet habe, Keller-Sutter habe die Antwort lediglich «ergänzt». Mit ihrer Antwort, wonach eine neue Vorlage nicht auf Anfang 2024 bereit sein würde, habe die Bundesrätin zudem lediglich ausgeschlossen, dass eine Vorlage «noch in diesem Jahr zur Abstimmung kommen würde». Die WOZ habe nicht explizit nach einer Rückwirkung gefragt. Zudem stellt sich das Departement auf den Standpunkt, dass eine erst im März abgesegnete Reform eben nicht als «rechtzeitig» bezeichnet werden könne, auch wenn sie rückwirkend auf Anfang Jahr gelten würde. Man halte fest, dass die Bundesrätin die Frage «wahrheitsgemäss» beantwortet und nichts verschwiegen habe.

Es sind irritierende Behauptungen. Fakt ist, dass das Finanzdepartement und Keller-Sutter persönlich auf die explizite Frage nach einer möglichen Rückwirkung beziehungsweise eines «Plan B» dessen Existenz verschwiegen haben. Die korrekte Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit für eine «rechtzeitige» Umsetzung einer neuen Vorlage hätte zudem gelautet, dass diese mittels Rückwirkung bestehe. Wenn Keller-Sutters Departement nun behauptet, sie habe damit lediglich eine erneute Abstimmung noch in diesem Jahr ausgeschlossen, dann hat sie schlicht die gestellte Frage nicht beantwortet. Und damit die Stimmbevölkerung in die Irre geführt.

Hauptargument fällt weg

Das Bekanntwerden von Karin Keller-Sutters «Plan B» ist auch inhaltlich brisant: Wie bei den Vorlagen zur Unternehmenssteuerreform III (2017) oder der Teilabschaffung der Verrechnungssteuer (2022), die beide an der Urne bachab geschickt wurden, liegt mit der Umsetzung der OECD-Mindeststeuer erneut ein rechtes Maximalprogramm vor: entworfen von Exfinanzminister Ueli Maurer, dem Zuger SVP-Finanzdirektor Heinz Tännler und Economiesuisse. FDP und SVP haben es im Parlament durchgedrückt.

Das allermeiste zusätzliche Geld, das anfällt, wenn Grosskonzerne mindestens fünfzehn Prozent Gewinnsteuern zahlen, soll an Tiefsteuerkantone wie Zug und Basel-Stadt gehen. Und daran würde der Finanzausgleich kaum etwas ändern, wie diese Zeitung ausgerechnet hat (siehe WOZ Nr. 18/23). Die beiden Kantone planen, einen Grossteil des Geldes über Subventionen oder Steuersenkungen für Vermögende an die Konzerne und deren Kader zurückzuschleusen. Damit würde die Schweiz nicht nur die OECD-Mindeststeuer faktisch aushebeln, für die progressive Kräfte weltweit seit Jahrzehnten gekämpft haben. Auch würde das Reichtumsgefälle zwischen den Kantonen weiter verstärkt – und der Steuerwettlauf verschärft.

Um dies zu verhindern, hatten SP und Grüne gefordert, die Zusatzeinnahmen dem Bund zu überlassen. Und auch die GLP, Die Mitte und bürgerlich regierte Kantone wie Bern und St. Gallen haben Maurers Plan ursprünglich scharf kritisiert. Ein Kompromissvorschlag zugunsten einer faireren Verteilung, den Bürgerliche zusammen mit der Linken zimmerten, wurde jedoch im Ständerat von SVP-, FDP- und Mitte-Politiker:innen vom Tisch gefegt.

Mit Keller-Sutters «Plan B» liegen die linken Forderungen, oder zumindest der links-bürgerliche Kompromiss, wieder auf dem Tisch: Falls die Stimmbevölkerung am 18. Juni Nein sagt, braucht das Parlament die gemachten Pläne nur noch aufzugreifen. Die Vorlage würde im Herbst beraten, im März an die Urne kommen und bei einer Annahme rückwirkend auf Anfang 2024 in Kraft gesetzt.

Mit dem Verschweigen dieser Lösung und ihren irreführenden Behauptungen hat Bundesrätin Keller-Sutter eine Debatte über Alternativen verhindert.