Amerikanischer Krieg oder multipolare Weltordnung?: Die kostspielige Moral

Die Welt redet von Solidarität mit den USA. Doch die, die sie leisten sollen, wollen sich dafür bezahlen lassen.

Die erste Schlacht scheinen die Vereinigten Staaten bereits gewonnen zu haben: Die angegriffene Supermacht schwang sich zum Botschafter der Zivilisation auf, ohne offenen Widerspruch zu ernten. Fast über Nacht übernahmen die USA so in Westeuropa wieder, in Russland und China erstmals die Rolle des strategischen Partners.

Doch das Bild vom endgültig angebrochenen amerikanischen Zeitalter trügt. Gleich mehrfach musste der selbst ernannte Garant einer besseren Welt in letzter Zeit wichtige Positionen revidieren: Die Amerikanisierung Russlands erwies sich als kostenspieliger Fehlschlag – Präsident George W. Bush kürzte die Kredite; die Nato-Osterweiterung und der Einsatz des Bündnisses auf dem Balkan drohen zu einer Stärkung Europas auf Kosten der USA zu führen – Bush verlangt stärkeres westeuropäisches Engagement; die strategische Partnerschaft mit China erwies sich als Entwicklungshilfe für einen künftigen Konkurrenten – die Neueinstufung Chinas vom Partner zum Konkurrenten war eine der ersten Amtshandlungen des neuen Präsidenten; und schliesslich stornierte die neue Garde in Washingon auch die Vermittlungsbemühungen im Nahost-Konflikt – Bush erhöhte stattdessen den Druck auf die arabischen Staaten.

Wenn Westeuropa, noch mehr aber Russland und China in dieser Situation Washington Hilfe bei der Bestrafung der Attentäter von New York versprechen, so tun sie das allesamt unter einer Bedingung: Sie wollen konsultiert werden und, wie vor allem aus Moskau zu hören ist, Gegenleistungen erhalten. Die USA befinden sich damit in einem Dilemma: Lassen sie sich auf Konsultationen ein, stärken sie die Position ihrer wichtigsten globalen Konkurrenten. Verweigern sie Konsultationen, verspielen sie weiteren Kredit bei ebendiesen Konkurrenten.

China als potentieller Führer des asiatischen Raumes hat sein Hilfsangebot an die Bedingung geknüpft, dass Beweise für die Urheberschaft der Beschuldigten vorgelegt werden und bei den Strafaktionen keine Zivilbevölkerung zu Schaden komme. Das lässt im Kriegsfall Möglichkeiten genug, sich abzusetzen. Für Russland gilt Vergleichbares. Unter Präsident Wladimir Putin hat sich die russische Politik wieder intensiver nach Süden und Osten gewandt. Moskau versucht in den zentralasiatischen Staaten der ehemaligen Sowjetunion Einfluss zurückzugewinnen, es pflegt vorrangig seine Beziehungen zu China und agiert neuerdings auch zunehmend wieder als potenter Waffenlieferant. Die relative finanzielle Stabilisierung Russlands ist auch ein Ergebnis des wieder gewachsenen russischen Rüstungexports.

Zwar erklärte Wladimir Putin seine Bereitschaft, die USA bei der Bekämpfung Usama Bin Ladens und des Taliban-Regimes zu unterstützen. Offenbar hat er auch seine Verbindungen zu Tadschikistan und Usbekistan aktiviert, um sie zur Duldung eines amerikanischen Aufmarsches gegen Afghanistan zu bewegen. Ein Sturz der Taliban käme Moskau sicher entgegen, beschuldigt es doch die Gotteskrieger der Einmischung in den Tschetschenien-Krieg. Weiter gehen die gemeinsamen Interessen aber nicht. Schon jetzt konkurrieren die USA und Russland um das Öl der kaspischen und kaukasischen Region. Jede verbindlichere Form einer amerikanisch-russischen Militärallianz gegen ein muslimisches Regime würde zudem zu weiterer Destabilisierung des kaukasischen und zentralasiatischen Raumes führen. Zumal die in letzter Zeit wieder bemerkbaren Bemühungen, doch noch eine politische Lösung für den Konflikt um Tschetschenien zu finden, wären damit von vornherein gescheitert.

Grundlage dieser Ansätze sind politische Konzepte, die aus der ideologischen Küche der sich selbst so nennenden neo-eurasiatischen Bewegung stammen. Deren Wortführer, Alexander Dugin, bestimmt Weltpolitik als grundsätzliche Konfrontation zwischen dem territorial-euro-asiatischen und dem maritim-atlantischen Block, also zwischen Russland als potenziellem Führer des eurasiatischen und den USA als Führungsmacht des atlantischen Blocks. Dugin, der noch zu Perestroikazeiten als nationalistischer Extremist galt, avancierte mittlerweile zum Organisator von politischen Kongressen im Dunstkreis des Präsidenten. Die von ihm gegründete Bewegung ist dabei, sich mit Staatsmitteln im Land zu verbreiten. Nach Dugins Lesart sind russische Muslime, insbesondere die tschetschenische Bevölkerung, als Partner in eine Front gegen Amerika einzubeziehen. Es versteht sich, dass diese Linie mit einer militärischen Unterstützung amerikanischer Vergeltungsmassnahmen in Afghanistan schlecht zu vereinbaren wäre.

So ist kaum zu erwarten, dass die Allianz Moskaus mit Amerika über logistische Hilfe und die Duldung eines begrenzten amerikanischen Aufmarsches hinausgeht. Schon dafür werden die USA einen hohen Preis zahlen müssen. Aber selbst die europäischen Nato-Partner, allen voran Frankreich und Deutschland, scheinen bei allen Solidaritätsbekundungen nicht bereit, sich ohne Gegenleistung von den USA in ein militärisches Abenteuer ziehen zu lassen. Ein US-amerikanischer «Krieg gegen den Terrorismus» könnte deshalb eher zu einer Schwächung als zu einer Stärkung der letzten Weltmacht führen. Am Horizont erscheint eine multipolare Weltordnung, in welcher die USA nur noch eine Macht unter mehreren sind.