Armes Amerika, armes Afghanistan: Stoppt die Krieger

Am Montag zeigten die Fähnchen schwingenden Börsianer an der New Yorker Wallstreet, wen sie zu den Gewinnern der Terrorattacke von vergangener Woche zählen. Während die Börsen in der ersten Stunde nach der Wiedereröffnung regelrecht einbrachen, begann die «Rallye» auf Aktien der Sicherheitsbranche. Am meisten legten Firmen, die sich auf die Sicherheit an Flughäfen spezialisieren zu (bis plus 165 Prozent), gefolgt von Unternehmen, die Gesichtserkennungstechnologien (bis 142 Prozent) Fingerabdruck-Scanner (bis 73 Prozent) und kugelsichere Westen sowie Sicherheitsdienste anbieten (bis 39 Prozent). Ebenfalls im Plus lagen die grossen Rüstungskonzerne (bis 38 Prozent).

Diese Hitliste erstaunt nicht, nachdem der US-Kongress letzte Woche einstimmig 40 Milliarden US-Dollars aus dem Sozialversicherungssystem in die «Terrorbekämpfung» umgelenkt hat. Zucker für die Krawattenkrieger der Wallstreet, welche am Montag bespielsweise die Aktien von Engineered Support Systems, Inc. um 34 Prozent in die Höhe trieben. Übers Wochenende hatte die Firma eine erste Bestellorder der US-Army für das so genannte «Striker System» bekanntgegeben. «Striker» ist ein hochmodernes Bodenaufklärungssystem, das in unbemannten Flugzeugen installiert wird und den «Brigade Combat Teams» der Armee bei Bodenoperationen perfekte Zielidentifikation ermöglichen soll. So viel zu den Gewinnern.

Die – nach den direkten Opfern des Terrors nächsten – Verlierer sind ebenfalls identifizierbar. Einen Turban tragen möchte man in den USA zurzeit nicht. Auch für Bürgerrechte sein, für Frieden, für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung oder sonstwie liberal, links oder, Gott behüte, antiimperialistisch, ist dort gegenwärtig nicht angesagt. Angesagt sind Wanted-dead-or-alive-Aktionen. Zum Beispiel der Plan, ein Land zu bombardieren, das bereits auf zwanzig Jahre Dauerkrieg zurückblickt, in dem mehr als ein Fünftel der 25 Millionen EinwohnerInnen vom UN-Hungerhilfeprogramm abhängt und das eine Regierung aus einem CIA-Drehbuch besitzt. Armes Amerika! Armes Afghanistan!

Und Europa? Ein Turban garantiert zwar auch auf europäischen Flughäfen erhöhte Aufmerksamkeit. In Deutschland soll die Bundeswehr nun endlich «im Innern» eingesetzt werden. Und in der Schweiz trimmen FDP und SVP die Armee auf Terror und unser Aussenminister die Neutralität auf Nato-Überflugrechte, bevor darum jemand gebeten hätte. Aber im Durchschnitt und mit den erwartbaren Ausnahmen von Blair bis «Blick» scheint Europa den «Angriff auf die Zivilisation» zivilisiert abwehren zu wollen: «Kein unkontrollierter Gegenschlag!», lautet die Devise.

Man darf hinter der relativen Gemessenheit der europäischen Staatsmänner die Sorge um nationale Sonderinteressen vermuten und die Angst, sich als Juniorpartner «in America’s new war» einmal mehr zu blamieren. Die Bereitwilligkeit, mit der europäische KommentatorInnen von links bis rechts die Terroranschläge in den Kontext globaler Ungleichheit stellen, ist dennoch erklärungsbedürftig.

Man muss sich klar darüber werden, dass zwei ähnlich tönende, aber gegensätzliche Geschichten über den Terror im Umlauf sind. Die linke Version lautet: Die USA dominieren das neoliberale System. Dessen strukturelle Gewalt hat ein Ausmass erreicht, das einerseits den Einsatz für eine gerechtere Welt zwingend und andererseits eine blindwündige Gegenreaktion wahrscheinlich macht. Darauf antwortet das System mit Repression, die sich letztlich gegen die berechtigte Kritik wendet.

Die zweite Geschichte geht so: Die USA dominieren das neoliberale System. Dessen Probleme haben ein Ausmass erreicht, das eine blindwündige Gegenreaktion hervorruft. Repression ist daher nötig, aber zugleich muss man die Probleme in den Griff bekommen. Das ist die Geschichte, die schon lange von rechts gegen die Antiglobalisierungsbewegung erzählt wird.

Der militante amerikanische Patriotismus ist beängstigend. Amerikanische GlobalisierungskritikerInnen müssen Lynchjustiz im Wildwest-Stil fürchten, weshalb sich die tragende Bewegungskoalition von der auf den 29. September in Washington angesagten Demonstration gegen Weltbank und Währungsfonds zurückgezogen hat. Auch Europas regierende Rechte werden im kommenden «Krieg gegen den Terrorismus» ihre Geschichte durchsetzen und die Schatten der Twin Towers über die Antiglobalisierungsbewegung legen wollen. Dafür wird ihnen jede zerbrochene Fensterscheibe und jede von einem umgeworfenen Auto aufsteigende Rauchsäule gerade recht kommen.

Gleichgültigkeit oder gar heimliche Schadenfreude darüber, dass es mit den USA nun einmal «die Richtigen» getroffen hätte, wäre daher nicht nur moralisch falsch, sondern politisch dumm. Die Bewegung muss klar sagen, dass sie mit diesen Attentaten in keiner Weise etwas zu tun haben will und dass sie sich mit unschuldigen Opfern von Terror und Gewalt überall solidarisiert. Das heisst natürlich nicht, dass Kritik zurückgenommen werden müsste. Nur jammern über globale Ungerechtigkeit und beten für den Frieden nützt nichts. Die Kritiken am neoliberalen Kapitalismus, an der Demontage des demokratischen Rechtsstaates und am neuen Militarismus müssen zusammengedacht, die GewinnerInnen und VerliererInnen weltweit klar benannt werden.

Eine breite Mobilisierung gegen die Kriegseskalation ist jetzt wichtig, wenn die gesellschaftliche Ausstrahlung der neuen Kapitalismuskritik nicht gebrochen werden soll. Es gibt hoffnungsvolle Zeichen. In Deutschland zum Beispiel haben Attac und die Überreste der Friedensbewegung spontan eine gemeinsame Kampagne gestartet. Und in Genf wollen Attac-Gruppen aus Frankreich und der Schweiz, die Anti-WTO-Koordination, Solidarités, die GSoA und weitere Organisationen am 30. September mit einer Demonstration ein erstes starkes Zeichen gegen den globalisierten Terror im kriegerischen Neoliberalismus setzen.