Die Rede des US-Präsidenten an die Nation: Ave, kleiner Caesar!

Propagandaritualen und einförmigen Massenmedien zum Trotz: Die Kriegsbegeisterung in den USA ist gering.

Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist! Zum Beispiel viertelstündige Gratiswerbespots am sonst profitorientierten Fernsehen, und das zu den besten Sendezeiten. Dazu eine loyale, ja liebevolle redaktionelle Nachbereitung mit passenden Thinktanks und Actionhelden, mit patriotischem Pomp und Gloria.

Der Regent George W. Bush selber, schmallippig wie immer, konnte sich am Montagabend das Grinsen für einmal verkneifen, als er «die tödlichsten Waffen, die jemals erfunden wurden», ausgerechnet im Irak vermutete, dessen Militärbudget vierhundertmal kleiner ist als das der USA. Er wirkte überhaupt sehr seriös. «Ganz so wie wir ihn haben wollten», lobte Vizepräsident Dick Cheney hinterher.

George Bush verbalisiert am besten mit der Pistole an der Schläfe – an der Schläfe eines Gegners wohlverstanden. Und es ist zu befürchten, dass er diese für ihn erfolgreiche Methode noch eine Weile beibehalten wird: Nordkorea, kommt ihm bereits ganz geläufig über die Lippen, der Iran, Syrien, Libyen, Kuba ... «Shock and awe» nennt der Präsident die Radikalkur: Angst und Schrecken – beim Feind heisst das Vorgehen Terrorismus. Und mit geradezu doppelzüngiger Fertigkeit liefert er die zur Schocktherapie gehörenden imperialen Versatzstücke: Die Uno wurde im Grunde als Organisation für gezielte Präventivschläge gegründet; wenn sie versagt, müssen die USA an ihre Stelle treten und die gerechten Forderungen der Welt vertreten. Pax americana.

Mit Schutz, Charme und Pistole

Dagegen wäre nun einiges einzuwenden in einer Demokratie. Aber Amerika ist nicht mehr unbedingt eine Demokratie. Oder jedenfalls spiegelt sich die Volksherrschaft nicht in den Massenmedien wider. Noch weniger als vor dem Golfkrieg um Kuweit werden heute öffentliche Debatten geführt, noch seltener wird über die Protestbewegung berichtet. Im harten Wettbewerb einer Hand voll Mega-Medienkonzerne wird auf die sicheren Karten gesetzt: Patriotismus und (Militär-)Aktion. Und daran wird sich so bald nichts ändern: Solange es im politischen Establishment keine dezidierte Opposition gibt, so lange meiden auch die Medienfürsten die Kontroverse und Eigenständigkeit. «Embedding», Einbettung, ist das neue Codewort für die alte Kunst des Hofierens. Über 600 Berichterstatter im Irak etwa überlassen sich dem Schutz und Charme der US-Armee, die so bestimmt ein ganz menschliches Antlitz erhalten wird. Der oberste Befehlshaber der Armee, General Bush, seinerseits darf verlässlich auf einer rosa Wolke von Infotainment-Watte ruhen. Und die Zuschauer werden gleich miteingebettet und zugedeckt.

Woher bloss nahmen die Medienunternehmer am Montag das ganze Fussvolk für den gemütlichen Rede-an-die-Nation-Abend? Woher all die zerknitterten Historiker-Anzüge, die freundlich distanziert über vergangene Kriege und Imperien plaudern? Woher die salbungsvollen Psychologenstimmen, die uns angesichts der schwierigen Zeiten zu besonders viel Liebe und Sorge anhalten. Und, liebe Eltern, wenn Sie in den nächsten Tagen an den Krieg denken, trinken Sie bitte nicht zu viel! Wo hat man die beiden ausrangierten Militärs ausgegraben, die vor einer technisch höchst raffinierten Landkarte mit realistischer Flugperspektive sitzen und mit bübischer Begeisterung imaginäre Invasionspläne der USA diskutieren? Mit ganz ähnlich dynamischen Pfeilen und strategischen Kreisen hatte uns der Lateinlehrer acht lange Jahre lang das römische Heer näher gebracht. Ich erinnere mich einzig daran, dass es meist eine diplomatische List war, eine noch unbekannte Technik, ein Überraschungsangriff oder ein schmutziger Trick, die den Sieg brachten. Das wird wohl hier nicht anders sein. Wozu also die Sandkastenspiele? Wozu die Dokumentaraufnahmen aus der computerisierten Kommandozentrale in Kuweit? Wozu die Panzerfahrten in der Hitze, die Flüge gegen Sonnenuntergang? Shock and awe. Ablenken von den wirklichen Alltagssorgen um Job, Gesundheitsversorgung, das Dach über dem Kopf. Umlenken der Ängste in die von oben verordnete Bedrohung von aussen. Einlenken der Vox Populi auf die Stimme des Führers. Ave, kleiner Caesar!

Trenne deine Gegner

Ausserhalb des Weissen Hauses würde der Präsident keine fünf Amerikaner finden, die darauf brennen, Iraker umzulegen, behauptet der Filmemacher Michael Moore in einem offenen Brief an George W. Bush. Schliesslich seien die Iraker auch noch nie in die USA gekommen, um hier BürgerInnen umzubringen. Er hat Recht. Die Kriegsbegeisterung ist sogar nach dem Propagandaritual vom letzten Montag vergleichsweise gering. Die Friedensbewegung ist präsent. In den grossen Städten sind es grosse bunte Märsche, in kleinen Orten kleine Grüppchen im flackrigen Kerzenlicht. Die Organisationen tun ihr Bestes, die Leute elektronisch zu vernetzen. Sie haben Angst vor der Vereinzelung, der Marginalisierung von Friedensbewegten, sobald «unsere Truppen» zum Einsatz kommen. Sie fürchten die Einsamkeit des Kriegsgegners, falls es militärische Erfolge gibt; oder die Ächtung der Pazifistin, wenn Gegenschläge die USA treffen. Wie kann man in solchen Situationen eine Bewegung zusammenhalten, die trotz zunehmender Beteiligung von kirchlichen und gewerkschaftlichen Gruppen mehrheitlich aus Einzelpersonen unterschiedlichster politischer Prägung besteht?

Divide et impera, trenne deine Gegner und herrsche, war die Devise schon des römischen Imperiums. Erfolgreichste Gegenstrategie der Beherrschten war es bisher, sich auf gemeinsame Werte und Interessen zu besinnen und diese hartnäckig zu verhandeln – ohne allzu rigiden ideologischen Überbau, mit offenem Ausgang, Schritt für Schritt. Auf internationaler Ebene scheint so ein Prozess in Gang gekommen zu sein; die potenziellen Untertanen haben die US-Imperiumsgelüste ein Stück weit isoliert. Jetzt brauchte es in den USA selbst einen innenpolitischen Schub Richtung aktiver Demokratie. Auch hier wäre ein Regimewechsel für DissidentInnen sehr motivierend. Spätestens im Wahlherbst 2004.