Die USA im Krieg zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Politische Filmstars und schreibende Krieger

Schauspieler profilieren sich in Wort und Tat als Kriegsgegner. Zur gleichen Zeit simulieren JournalistInnen den militärischen Nahkampf. Im Vorfeld eines Showdown mit dem Irak sind der Weltmacht USA Fiktion und Realität ganz und gar durcheinander geraten.

Die Affinität der USA zu allem Theatralischen – von Talentshows im Kindergarten über Reality-TV bis zum Broadway und nach Hollywood – ist so bekannt wie Hamburger und Hot Dogs. Viele US-BürgerInnen zählen gemäss aktueller Sozialforschung die Figuren von beliebten Fernsehserien wie selbstverständlich zu ihrem Bekanntenkreis; Verwandte und Freundinnen aus Fleisch und Blut vermissen sie deshalb gar nicht so sehr. Doch zunehmend übertreten oder verwischen auch Medienprofis die feine, aber entscheidende Linie zwischen Wunsch und Wirklichkeit, Schein und Sein, Aktion und Analyse.

Kapriziöse Seitensprünge

Dabei zeigt sich, dass auch bei dieser Grenzüberschreitung für Herr und Knecht verschiedene Regeln gelten. Wenn sich prominente FilmschauspielerInnen gegen den Krieg mit dem Irak zusammenschliessen (etwa in der von «Mash»-Star Mike Farrell und Filmproduzent Robert Greenwald gegründeten Gruppe Artists United to Win without War) oder wenn über hundert Berühmtheiten aus Theater und Film einen offenen Friedensappell an Präsident Bush unterzeichnen, erregt das die gewünschte mediale Beachtung: Namen wie Kim Basinger, Al Pacino, Matt Damon, Sharon Stone oder Lawrence Fishburne garantieren Publizität. An der grossen nationalen Friedensdemo am vergangenen Wochenende in Washington D. C. ist der Schauspieler Martin Sheen, der in der TV-Serie «West Wing» den Präsidenten der Vereinigten Staaten verkörpert, live aufgetreten. «Ihr kennt meine Rolle im Fernsehen», rief er in die Menge, «doch dies hier ist real. Wenn das Volk vorangeht, folgen die Führer.» Das war der «New York Times» mehr Zeilen wert als alle Antikriegsaktionen im ganzen Land, die das Weltblatt vage unter «Tausende protestieren» zusammenfasste.

Doch das politische Engagement der Stars wird in den Medien grundsätzlich als ein kapriziöser Seitensprung mehr abgehandelt. Das war schon bei Jane Fonda und Vietnam so, und das gilt auch, wenn Vanessa Redgrave sich für den tschetschenischen Rebellenführer Achmed Zakajew einsetzt – diese Schauspieler, die müssen wohl einfach fremdgehen. Und so sitzen zwar der Zuschauer und die Zuschauerin in den USA massenhaft vor der Glotze, wenn Sean Penn auf eigene Initiative und mit den besten politischen Absichten ins Feindesland reist und an der Pressekonferenz in Bagdad in nachträglich klein gestampften Soundbytes für Frieden mit dem Irak plädiert; doch insgeheim fragen sie sich, wie das wirklich war damals mit Madonna ...

Patriotische Traumfabrik

Hollywood selbst hingegen gebärdet sich ungeniert und weitgehend auch unkritisiert als Propaganda-Apparat der Regierung. Wie schon im Kalten Krieg unterwirft sich die Traumfabrik der Nation auch im «Krieg gegen den Terror» wieder einem vorauseilenden Gehorsam und produziert fürchterliche patriotische Schinken, in denen das Wohl der Welt nach hartem Kampf auf wunderbare Weise mit den Interessen der USA zusammenfällt. Wer anderes denkt, riskiert Zensur, bereits bei der Produktion, oder passiven Widerstand, spätestens wenn es um den Vertrieb der Filme geht. Aktuelles Beispiel ist «Quiet American» von Phillip Noyce, Regisseur etlicher erfolgreicher patriotischer Tom-Clancy-Kriegsfilme.

Nur auf Intervention des Starschauspielers Michael Caine, der für seine Rolle kürzlich mit dem zweiten Preis der US-Filmkritik geehrt wurde und sich gar einen Oscar erhofft, wurde «Quiet American» in den USA überhaupt gezeigt: für zwei Wochen in Los Angeles und New York. Die Vertriebsfirma Miramax hält den Film für «unpatriotisch» und «geschmacklos in Anbetracht des 11. September». Die Geschichte des jungen naiven Amerikaners im kolonialen Indochina der fünfziger Jahre erinnert offenbar zu stark an Vietnam – und an die Irak-Pläne der Gegenwart. Graham Greene, auf dessen gleichnamigem Roman der Film basiert, hatte übrigens seinerzeit eigene Erfahrungen mit dem politischen Angstklima in den USA gemacht: Weil der überzeugte Katholik als junger Oxford-Student einige Wochen lang kommunistisches Parteimitglied war, wurde ihm 1952 die Einreise in die USA verweigert. Als er schliesslich doch ein einmaliges Sondervisum nach Hollywood zur Verfilmung eines seiner Bücher erhielt, fand er den Ort «beherrscht vom McCarthy-Terror».

Unerwarteter Feindkontakt

Begeisterte GrenzgängerInnen in umgekehrter Richtung – von der Welt der Information in die Welt der Illusionen – sind zurzeit die JournalistInnen. In Scharen strömen sie seit Ende November in die vom US-Militär organisierten «boot camps» (Rekrutenschulen). Angeboten werden martialische Intensivkurse mit Gewaltmärschen, knappen Essensrationen, simulierten Kidnappings samt Psychoterror, Gasmaskentraining unter realistischen Bedingungen (immerhin bloss Tränengasschwaden) und unerwarteten Feindkontakten. Die TeilnehmerInnen zahlen für Kost und Logis, die Armee stellt Ausrüstung und Ausbilder, und die ReporterInnen schreiben zum Dank dafür enthusiastische Berichte über sich selbst als HeldInnen und über den Krieg als Abenteuer und Spiel.

Die real existierende blutige Tradition der Trainingskaserne Fort Benning hingegen, wo in den letzten Jahrzehnten tausende von lateinamerikanischen Militärs – erwiesenermassen auch Angehörige von Todesschwadronen – ausgebildet worden sind, kommt nicht einmal als Fussnote in den aufgeregten Geschichten und spektakulären Fotos vor. Denn was die ReporterInnen erregt, ist die unmittelbare Aktion: mit Uniformen und militärischen Befehlen, mit echtem Hunger und Durst und dem erhebenden Gefühl dazuzugehören. In den Pausen überkommt einige der schreibenden Krieger dann doch noch das schlechte Gewissen: Wie objektiv kann eine solche Berichterstattung aus dem Herzen des Ungeheuers noch sein? Sollen ReporterInnen im Ernstfall Camouflage tragen, um die Truppe nicht zu gefährden, oder doch farbige Westen, um sich von den KämpferInnen abzugrenzen?

In Vietnam hatten die KriegsberichterstatterInnen noch hingeschaut. Die Abendnachrichten in den USA zeigten ungeschminkte Bilder der Grausamkeit; die Zahl der Toten, vor allem der toten GIs, wurde täglich aktualisiert. Bis heute schiebt das Pentagon dieser dokumentarischen Abbildung der Realität die Verantwortung am verlorenen Krieg zu. Operation «Desert Storm» von 1991 dagegen war ein wohl inszenierter Kriegsfilm mit kühner «Top Gun»-Fliegerästhetik und ganz ohne Bilder von getöteten Menschen. Zum einen wurden die Medienleute im Golfkrieg vom damaligen Verteidigungsminister (und heutigen Vizepräsidenten) Dick Cheney, der die Presse als notwendiges Übel ansah, an ganz straffer Leine gehalten. Zum andern folgte, wie erst nachträglich bekannt wurde, schon der militärische Angriff selbst den Gesetzen des Mainstream-Katastrophenfilms: Die Rache der Hauptdarsteller, der «good guys», ist stets schrecklich, unaufhaltsam, vernichtend – aber ohne allzu gruselige Details. Tatsächlich wurden tausende von irakischen Soldaten, die wie im Ersten Weltkrieg von Schützengräben aus kämpften, von pflugartigen US-Panzern einfach mit Sand zugeschüttet. Hinterher folgten schwere Walzen, die sperrige Arme und Beine und Ausrüstungsteile sauber zuplanierten. So wurde der Feind dem Erdboden gleichgemacht und der Weg zum Happy End à la Hollywood oder CNN geebnet.

Krieg als ultimative Reality-Show

In Afghanistan bestimmte die alles überschattende Sicherheits- und Geheimhaltungsneurose der Regierung Bush die entweder spärliche oder dann plump propagandistische Information: grünlich-schummrige Nachtbilder über irgendeine mutmassliche Armee-Intervention. Was verspricht sich das Pentagon von seiner neuesten Kehrtwendung, dem militärischen Spezialtraining für ausgewählte JournalistInnen? Ist es die klassische Integrationsstrategie: «If you can’t beat them, join them»? Erhofft man sich die sprichwörtliche Loyalität von Kriegskameraden? Soll der Krieg diesmal als ultimative Reality-Soap, als authentischer Ersatz für Fernsehshows wie die «Osbournes», «Survivor» oder «Fear Factor» präsentiert werden? Mehr Front-Reportagen und Nahaufnahmen, die individuelle Heldentaten besingen, weniger unbequeme Analysen und Fragen nach dem Sinn des Ganzen? Sozusagen ein Ablenken von der Realität durch immer raffiniertere Detailabbildung eines Realitätsausschnittes?

Das Imperium, das vor kurzem noch eine Metapher war, der Wunschtraum einiger Herren, das Feindbild von liberal bis links, ist beängstigend schnell eine politische Option geworden. Die Allmachtsfantasie einer Weltherrschaft, beliebtes Sujet von Science-Fiction-Filmen und -Büchern, wird immer dreister und selbstverständlicher als nüchterne Kalkulation, als einzig mögliche Realpolitik präsentiert. Aus Freiheit wird Sicherheit, aus Demokratie Kontrolle, aus kriegerischem Ernst ein spielerischer Scherz. Wie hiess es doch auf der Titelseite des ersten «New York Times Magazine» im neuen Jahr: «Das Amerikanische Imperium. (Gewöhn dich daran)».