US-Wahlen: Popsong gegen Marschmusik

In Detroit lieferten sich US-Präsident George Bush und sein Herausforderer John Kerry ein Duell um die Gunst der AfroamerikanerInnen.

Gedämpfte Marschmusik ertönte, während das vorwiegend dunkelhäutige, gut angezogene Publikum langsam hereinströmte und Platz nahm. Doch es dauerte gut eineinhalb Stunden und dazu noch die Länge eines Gebetes, bis US-Präsident George Bush am vergangenen Freitag vor die Jahreskonferenz der National Urban League (NUL) im Renaissance Center von Detroit trat, um zu einer 39-minütigen Rede anzusetzen. Die NUL ist die grösste und älteste Schwarzenorganisation der USA.

Bush gab sich jovial, riss Witze, begrüsste prominente Schwarze im Publikum, darunter auch politische Gegner wie den Bürgerrechtler Jesse Jackson.

Er liess gleich zu Beginn erkennen, dass ihm durchaus klar ist, dass er das Publikum mehrheitlich nicht auf seiner Seite hat. Seine Republikanische Partei habe in der Vergangenheit nicht immer das richtige Gespür gezeigt. Nur gerade zwischen acht und zehn Prozent der afro-amerikanischen WählerInnen gaben ihm bei den letzen Wahlen gemäss nachträglichen Umfragen ihre Stimmen. Und immer noch wird ihm von vielen nachgetragen, dass ausgerechnet in Florida, wo einige wenige hundert Stimmen den Ausschlag für seine Wahl gaben, vielen Schwarzen aus formalen Gründen die Stimme aberkannt worden war.

An diesem Tag in Detroit aber nützte Bush seine Chance. Es gelang ihm, mit seiner locker vorgetragenen Rede Barrieren zu überwinden, und er erhielt immer wieder Applaus. Zwar dürfte sein Wahlkampfteam einige Claqueure im rund tausendköpfigen Publikum platziert haben, und der tags zuvor aufgetretene Präsidentschaftskandidat John Kerry heimste lauteren Beifall sowie drei stehende Ovationen ein. Doch Bush muss ja nicht die Mehrheit der Schwarzen auf seine Seite bringen, um Präsident zu bleiben. In heiss umkämpften Staaten wie Michigan oder Florida könnten schon einige Prozente mehr genügen. Bush gelang es in seiner Rede, die zunehmende Zahl der besser gestellten Schwarzen anzusprechen. Ausserdem schaffte er es vor der grossen Wahlkampfshow der Demokraten, welche diese Woche in Boston über die Bühne geht, mit seinen Botschaften prominent in die nationalen Medien. Die «New York Times» handelte seine Rede tags darauf auf der Titelseite ab.

Wie Kerry stellte Bush weitere Steuersenkungen in Aussicht und mehr Förderung der «small Buisnesses» – KMU würde man in der Schweiz sagen. Zwar leben in den USA fast ein Viertel aller Schwarzen unterhalb der Armutsgrenze (gegenüber acht Prozent der Weissen), doch gibt es auch eine wachsende Zahl von gut verdienenden afroamerikanischen Kadern, etwa im öffentlichen Dienst oder bei den grossen Unternehmen. Gerade im Grossraum Detroit lässt sich das klar erkennen: Auf der einen Seite sind da die Schwarzen in Detroit selbst, die achtzig Prozent der Bevölkerung stellen. An den holperigen Hauptstrassen, die von meist verbarrikadierten Gewerbebauten flankiert werden, stehen die Menschen und warten auf Busse, die oft nur unregelmässig fahren. Ganze Wohnquartiere bestehen aus heruntergekommenen oder abgewrackten Häuschen und überwucherten Parzellen. In der Innenstadt fallen neben einigen Renommierbauten wie dem alles überragenden Renaissance Center dutzende von leer stehenden Geschäftshäusern auf, einige Wolkenkratzer stehen seit 25 Jahre leer. Ganz anders die schwarze Vorstadt Southfield: Vor den Einkaufszentren und putzigen Einfamilienhäusern stehen neue, grosse Autos. Banken haben neben der Autobahn Glas&Mac185;paläste hochgezogen.

Bush betete vor der NUL sein liberales Wirtschaftsprogramm herunter: Hilfe zur Selbsthilfe, «faire Regeln, aber weniger Regulation», weitere Schritte hin zur «Besitzergesellschaft». Nach vier Jahren seiner Regierungstätigkeit hätten die Menschen heute mehr Geld in der Tasche, und es gebe 1,5 Millionen mehr Jobs. Kerry dagegen nannte als eines der drängendsten Probleme im Land die 44 Millionen Menschen, die über keine Krankenversicherung verfügen - 43 Prozent davon sind Schwarze. er versprach, nach seiner Wahl solle sich jeder in den USA eine Krankenversicherung leisten können, «wie heute schon in allen anderen Staaten der Welt». Kerry strich auch die hohe Arbeitslosigkeit unter der schwarzen Bevölkerung heraus: Zehn Prozent der AfroamerikanerInnen sind ohne Job – in vielen Grossstädten sogar jeder und jede Zweite. Doch Kerrys Rezepte gegen die Arbeitslosigkeit bleiben vage. Neben Steuererleichterungen für die Mittelschichten, meinte er allgemein, müsse man die Firmen dazu bringen, «Jobs im guten alten Amerika zu schaffen». «Amerika muss Güter exportieren und nicht Jobs», rief er ins Publikum. Bush dagegen verteidigte die globale Wirtschaft ganz generell – gerade, weil die Länder Afrikas davon profitierten. Die Regierung habe sich auch stark für die Eindämmung von Aids in Afrika eingesetzt und mache Druck auf die sudanesische Regierung, die Gewalt im Land zu stoppen. Bush versuchte beim schwarzen Publikum damit zu punkten, dass er die afroamerikanischen Mitglieder seiner Regierung aufzählte. «Ich habe die Leute für mein Team von überallher genommen – alles gute Leute.»

Kerry wie Bush sprachen auch über das Schulwesen: «Die Klassenräume sind überfüllt und die LehrerInnen unterbezahlt», deklarierte Kerry, ohne konkrete Vorschläge zur Verbesserung zu machen, während Bush von seinem Programm «kein Kind soll zurückbleiben» erzählte: Die Regierung Bush fördert mit einheitlichen Prüfungen und der Abgabe von Bildungsgutscheinen die Privatisierung der Schulen. Zu einer Verbesserung der staatlichen Schulen in den ärmeren Gemeinden der USA trägt dies allerdings nicht bei. Exakt fünfzig Jahre nachdem das Oberste Gericht der USA die rassengetrennten Schulen als verfassungswidrig erklärte, werden zum Beispiel in Detroit viele Schulen ausschliesslich von Schwarzen besucht. Die Segregation sei heute nicht mehr rassistisch bedingt, sondern ökonomisch, stellte während des NUL-Kongresses Dennis Archer fest, der ehemalige Bürgermeister von Detroit. In den USA verfügen dreissig Prozent der über 25-jährigen Weissen über einen Collegeabschluss, bei den Schwarzen sind es siebzehn Prozent.

«Dies ist die wichtigste Wahl in Ihrem Leben», verkündete Kerry am Schluss seiner Rede – ein Textbaustein, den er in letzter Zeit oft gebraucht hat. Doch ob er die rund zwanzig Millionen Schwarzen, die bei der letzten Wahl zu Hause blieben, zu mobilisieren vermag, bleibt offen. Seine Reformvorschläge sind zu unkonkret. Er profitiert allerdings davon, dass sich viele sagen, jeder, bloss nicht mehr Bush. Der jetzige Präsident hat dagegen in Detroit gezeigt, dass er sich durchaus auch im Minderheitenprogramm versteht. Die inhaltlichen Unterschiede zu Kerry sind klein, es ist letztlich vielleicht eine Frage der Kultur. Bei Kerry lief unmittelbar nach seiner Rede ein patriotischer Popsong, nach dem Schlussapplaus für Bush ertönte wieder Marschmusik.

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