Zur amerikanischen Bilderpolitik im Irak : Pokerfaces auf der Flucht

Amerikanische Soldaten bekommen jetzt Kartenspiele mit den Bildern der irakischen Führungsriege. Doch hinter dem Spiel mit Bildern lauert ein Bluff.

Als politischer Verfolgungswahn noch von Kalten Kriegern und coolen Geheimagenten betrieben wurde, musste 1966 schon einmal eine Spielkarte herhalten, damals zur Tarnung eines verdeckten Ermittlers. «Agent Pik-Ass – Zeitbombe Orient» hiess der billige James-Bond-Verschnitt, in dem es der Titelheld mit einem Blofeld-artigen Grosskriminellen und dessen atomwaffengestützten Weltherrschaftsplänen aufnehmen musste.

Wenn Verbrecherjagd im Orient hier noch als italienisch-französisch-spanische Koproduktion zur Aufführung kam, haben sich die Allianzen und Rollen mittlerweile geändert. In einem Krieg, den die US-geführten Truppen noch immer als Entschärfung der «Zeitbombe Orient» propagieren, spielen die Amerikaner jetzt doch die französische Karte: Pik-Ass wechselt die Seiten und wird mit Saddam Hussein identisch. Dass dessen berühmtes Konterfei nun tatsächlich die eigentlich unbebilderte Pik-Ass-Karte schmückt, ist einem skurrilen PR-Projekt der amerikanischen Armee zu verdanken, das Ende der letzten Woche in deren Kommandozentrale in Katar bekannt gegeben wurde. 52 Most Wanted Persons aus der irakischen Regierung illustrieren die Vorderseiten eines Kartenspiels, das bereits auf einer Pentagonseite im Internet zu bewundern ist und nun auch an die amerikanischen Soldaten im Irak ausgegeben werden soll. Die Rückseiten der Karten sind mit einem militärischen Camouflage-Muster bedruckt, als ob ein gutes Blatt auch ein gutes Versteck im Feld sein könnte.

Tote und Dunkelmänner

Wie um dem Verdacht vorzubeugen, das Spiel solle amerikanischen Soldaten angesichts des augenscheinlichen Nachlassens militärischer Anstrengungen, etwa beim Totschlagen der Zeit, behilflich sein, verkündete ein Pentagonsprecher allen Ernstes den zu erwartenden Nutzen der Aktion: Die Karten würden den Soldaten auf spielerische Art und Weise helfen, sich die Gesichter der inkriminierten irakischen Führungsriege einzuprägen. Auf dieselbe Art und Weise sei den GIs auch schon das Aussehen giftiger Schlangen und Pflanzen vermittelt worden.

Welch seltsame Fügung, so könnte man finden, dass daraus nun ein Satz von genau 52 Karten resultiert (plus zwei Jokerkarten, auf denen zum einen die Zusammensetzung irakischer Familiennamen, zum anderen die Rangabfolge militärischer Titel in der irakischen Armee erklärt werden). Zumindest die Anzahl der irakischen Pokerfaces scheint sich also noch auf der Flucht den Regeln des prototypisch amerikanischen Kartenspiels zu unterwerfen.

Dieses Rätsel löst sich auf, wenn man berücksichtigt, dass einige der Karten bereits toten oder bereits gefassten Personen zugeordnet werden. So zum Beispiel der längst gefallene Pik-König, Ali Hasan al-Madschid alias Chemie-Ali, oder die Karo-7, Amid Hasan al-Sadi – dieser hatte sich freiwillig ergeben. Warum sich die amerikanischen Soldaten spielerisch auf die Identifizierung von Toten oder Gefangenen trainieren sollen, bleibt hier ebenso fraglich wie der erwartbare Wiedererkennungseffekt von solchen Personen, die offenbar in Ermangelung von Fotografien nur als schwarzer Umriss (gleichsam als Dunkelmänner) auf den Spielkarten abgebildet sind. Ebenso wurde bereits bemängelt, dass prominente Gesuchte nicht mit von der Partie seien, wie der irakische Informationsminister, von dem schliesslich mehr als nur ein Bild existiert.

Die Kartenspielliebhaber unter den Soldaten wird es gefreut haben, dass also weniger Wert auf die Zusammenstellung einer relevanten Kollektion von gesuchten Irakern als auf die Funktionalität des Spieles selbst gelegt wurde. Ausserdem entspricht der eher zweifelhafte Status der einen oder anderen Karte so sehr dem Geist des Pokerspiels, wie das Spiel als Modell geheimdienstlich gestützter Kriegsführung taugt. Dealen, Raisen, Bluffen: Möglichst ungerührt wird eine Pokerpartie zum Showdown getrieben, zum Offenlegen der Karten. In diesem Moment stirbt der Verlierer dann den – zumindest ökonomischen – Tod.

Pokerspielen mit den Köpfen der irakischen Herrscher: Das ist symbolische Leichenfledderei und eine Demütigung des Feindes, das gewaltsame Überstülpen der eigenen Kultur analog zur Verhüllung einer Hussein-Statue durch das Sternenbanner und die Tolerierung vollständiger Plünderungen der Herrscherpaläste durch das verarmte irakische Volk. Was die amerikanische Mithilfe beim bestens ins Bild gesetzten Sturz der Saddam-Statue allerdings bildpolitisch bedeutet, bleibt fraglich.

Restaurierung der Symbole

Schon erkennen findige Kunstgeschichtler in solchen Szenen das Modell von den zwei Körpern des Königs wieder, das sich im 16. Jahrhundert im angelsächsischen wie französischen Raum entwickelt hat und im Anschluss an das berühmte Buch von Ernst H. Kantorowicz zu einem kulturwissenschaftlichen Begriffsklassiker geworden ist. Es sei zu unterscheiden zwischen dem Amtskörper des Herrschers und seinem leiblichen Körper, der ohne die symbolischen Insignien seine ganze Macht verliere – ein Gedanke, der scheinbar selbst George W. Bush angeflogen hatte, als er kürzlich verlauten liess, er wisse zwar nicht, wo Saddam Hussein sei, auch nicht, ob er lebe oder nicht, er wisse nur, dass er nicht länger an der Macht sei.

Insbesondere das Pokerspiel und vor allem der kurze, aber umfassende Medienreflex auf seine Ankündigung könnten aber gerade ein Indiz dafür sein, dass die Amerikaner den Regimesturz gar nicht durch einen wirklichen Bildersturm besiegeln wollen. Nicht nur die Tatsache, dass Husseins Spielkartenkonterfei nun massenhaft durch amerikanische Druckerpressen läuft, nährt den Verdacht, dass zeitgleich zur Zerstörung der irakischen Herrschersymbole deren Restaurierung betrieben wird.

Die vor den Fernsehkameras betriebene Zerstörung der Saddam-Statue macht dies besonders deutlich: Im filmischen und fotografischen Millisekundentakt dokumentiert, erfährt Saddams Symbol im Moment seiner Zerstörung eine ungeahnte bildhafte Präsenz – zum ersten Mal weltweit. Im Nachhinein wurde eingeräumt, dass wesentlich mehr Fotografen und Journalisten vor Ort gewesen seien als jubelnde Iraker. Trotzdem wird diese metaphorische Sequenz künftig wohl ein heisser Kandidat für jeden Jahresrückblick sein («Saddams Sturz») und ins fernseharchivierte Geschichtsgedächtnis eingehen.

Will man unter diesen Bedingungen partout am Theorem von den zwei Körpern des Königs festhalten, ist zu berücksichtigen, dass sich Herrschaftsformen offenbar auch über die Verfasstheit ihrer Feindschaften definieren können. Wenn in einer von vornherein antagonistisch ausfantasierten Kriegskonstellation der Weltenretter Bush dem Weltenbedroher Saddam gegenübersteht, ist die Herrschaft des einen nicht denkbar ohne das Bild des anderen. Was nicht heisst, dass dieses Bild nicht auswechselbar wäre – dies hat der schnelle Wechsel von Staatsfeind Bin Laden zu Staatsfeind Saddam eindrucksvoll bewiesen.

Steckbriefliche Ikonisierung

Es darf daran erinnert werden, dass auch Bin Laden nach dem 11. September 2001 zu einer Ikone wurde und in den USA sogar eine kleine Industrie etablierte, die sich der Herstellung und Distribution von Konterfeis des Chefterroristen verdankte. Die Kombination von Bin-Laden-Bart und Fadenkreuz wurde zum T-Shirt-Klassiker, während sich im Versandhandel besonders widerstandsfähige Aufkleber beziehen liessen, die zur Ausgestaltung von Urinalen gedacht waren und jedem Amerikaner das Selbstverständnis eines terroristenjagenden Scharfschützen ermöglichen sollten. Für den Fall, dass nicht schnell mit einer genetisch identifizierten Leiche aufgewartet wird, ist zu erwarten, dass die USA dem Personen- und Bilderkult Saddam Husseins mit einer steckbrieflichen Ikonisierung korrespondieren.

Im Bilderkult ist es wie mit der Karriere von «Pik-Ass»: Vom terroristenjagenden Agenten zum gejagten Terroristen ist es gar nicht mal so weit – und kaum jemand wüsste das so gut wie der alte 007-Fan Saddam Hussein selbst. 1980 engagierte er Terence Young, der drei James-Bond-Filme gedreht hatte (darunter den ersten überhaupt, «Dr. No»), als Regisseur einer sechsstündigen Filmbiografie über sich, Saddam Hussein, selbst. Die Rolle des Herrschers spielte damals Saddams Schwiegersohn, Hussein Kamel Madschid. 1996 liess ihn sein Schwiegervater liquidieren.