SP-Sicherheitspapier: Repressive Lokomotive

Nr. 28 –

Wie ist es überhaupt entstanden? Der Entwurf zeigt: Es gab einen überhasteten Perspektivenwechsel.


«Das Sicherheitspapier wurde an einer einzigen Sitzung besprochen», sagt Patrick Angele. Der junge Dübendorfer Gemeinderat und Sekretär der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) sitzt in der Fachkommission der SP Schweiz für Friedens- und Sicherheitspolitik. Die Fachkommissionen sind das Bindeglied der Partei zwischen Basisleuten, ParlamentarierInnen und ExpertInnen. Sie treffen sich viermal jährlich am Rand der Sessionen in Bern.

«Die Sitzung fand während der Sommersession statt. Die Diskussion war haarsträubend: Daniel Jositsch und Martin Killias erwiesen sich als repressive Lokomotiven», sagt Angele. Jositsch und Killias sind beide Professoren für Strafrecht an der Universität Zürich. Jositsch wurde im letzten Herbst in den Nationalrat gewählt - nicht zuletzt wegen eines Zwölfpunkteplans zur Jugendgewalt, verfasst gemeinsam mit SP-Nationalrätin Chantal Galladé und «unter Beizug von Martin Killias». Und was war die Rolle von Kommissionspräsidentin Evi Allemann? «Sie hat die Sitzung geleitet», sagt Angele.

Einstimmige Annahme

Fachsekretär Peter Hug widerspricht dieser Darstellung vehement. Dem Papier sei ein intensiver Diskussionsprozess von vier Jahren vorangegangen. Ein ausführlicher Entwurf wurde vor den eidgenössischen Wahlen schubladisiert. Der nächste Schritt sei eine Resolution mit dem Titel «Öffentliche Sicherheit» gewesen, zuhanden des Parteitags vom 1. März 2008 in Basel. Dort wurde die Resolution zurückgewiesen - mit dem Auftrag, für den nächsten Parteitag ein Sicherheitspapier vorzulegen. Das habe man nun präsentiert, sagt Peter Hug. Und: «Der Einfluss von Daniel Jositsch tendiert gegen null. Er ist gleich gross wie jener der übrigen Kommissionsmitglieder. Die Kommission ist auch nicht zerstritten. Das Sicherheitspapier wurde einstimmig angenommen.» Auch die Geschäftsleitung, neu unter Christian Levrat, hat ihm zugestimmt.

Dass es einen ersten Entwurf gab, bestreitet Patrick Angele nicht. Nur sei es damals um die Militarisierung und die Privatisierung der inneren Sicherheit gegangen. Die Lektüre des Entwurfs, der Resolution im Frühling und des Sicherheitspapiers gibt ihm recht: Die Kommission und die Partei haben in den letzten Monaten einen Perspektivenwechsel vollzogen.

Der Entwurf ging von der grundsätzlichen Frage aus, wie die Gewalt des Staates eingesetzt werden soll. Die Forderungen: Das Militär soll aus der inneren Sicherheit zurückgedrängt, Sicherheitsdienste eingeschränkt und stattdessen die Polizeikräfte aufgestockt werden. Zur Videoüberwachung hiess es: «Die SP ist beunruhigt darüber, dass deren Wirkungen weniger präventiver, sondern repressiver Art sind.» Und zum Vermummungsverbot: «Die Polizei soll nicht darüber rätseln, ob die Kleidung der DemonstrantInnen Tarnung, Verkleidung oder gängige Arbeitstracht ist.» Vom Kapitel «Leitbild Polizei» existieren leider erst die Zwischentitel: Die Kommission wollte sich unter anderem Gedanken machen über die Rekrutierung und die Informationspolitik der Polizei. Kurz: Es war ein Entwurf fern jeder Hysterie. Ein Entwurf, der die Macht kontrolliert, statt dass er die Ohnmächtigen tritt.

Änderungsanträge

Auch die Resolution an den Parteitag im letzten Frühling spricht in den ersten Punkten noch von «gut qualifizierten Polizeikräften» und fordert «institutionelle Reformen im System der inneren Sicherheit». Es fallen aber bereits Begriffe wie «Ausländerkriminalität» oder «organisierte Bettelei». Im Sicherheitspapier schliesslich ist die Wende vollzogen: Der Ausdruck ist das Problem: «Herumhängende Jugendliche» werden zur Bedrohung, selbst die «nichtorganisierte Bettelei» nimmt ein stark störendes Ausmass an, «verschmutzte Spielplätze» beeinträchtigen die Lebensqualität. Oder wie es in der letzten WOZ hiess: «Die Übernahme feindlichen Vokabulars zeugt vom eigenen Sprachverlust.»

Patrick Angele hat dem Sicherheitspapier in der Fachkommission zwar am Ende zugestimmt. «Aber nur, weil sich die SP zum Thema äussern soll. Ich werde am Parteitag am 25. Oktober meine Änderungsanträge stellen.» Ein Änderungsantrag dürfte genügen: der nach einem Perspektivenwechsel zurück.